* Die Hauptfigur Ihres Artikels, der Araber Yasser, sagt: „Die Amerikaner sind Verbrecher, Israel muss zerstört werden.“ War er von Anfang an so offen zu Ihnen?
Christoph Wöhrle: Ja. Yasser und seine Freunde haben einen ungeheuren Hass auf Amerika und Israel, und sie haben kein Problem damit, so dargestellt zu werden. Unsere erste Begegnung war allerdings privat: Ich habe das orientalische Café besucht, weil ich gerne Fruchttabak aus der Wasserpfeife rauche. Ich kam mit Yasser ins Gespräch, bald redeten wir über Politik. Damals machte ich noch keine Anstalten, dieses Erlebnis zu verwerten, ich dachte nur: Es lohnt sich, das Café und seine Gäste im Auge zu behalten. Und ich habe Yasser gesagt, dass ich Journalist bin und irgendwann gerne mal aufschreiben würde, was er denkt. Zwei, drei Monate später bin ich eigens zur Recherche zweimal in das Café gegangen.
* Hatten Sie keine Sorge, als Sprachrohr fundamentalistischer Muslime missbraucht zu werden?
* Im Artikel bewerte ich die Aussagen der Café-Gäste zwar nicht, aber im Gespräch habe ich sie schon in Frage gestellt. Als ein Araber erzählte, er wäre stolz, wenn sich sein Sohn als Selbstmordattentäter in die Luft sprengen würde, habe ich gefragt, ob er es gutheißen würde, wenn dabei Kinder sterben. Je mehr sich die Diskussion hochschaukelte, umso schwieriger wurde es, sich einzumischen: Immer mehr Männer redeten in allen erdenklichen Sprachen durcheinander, bis Yasser säbelschwingend rief: „Wir werden siegen, schreib das!“ Ich habe nur eingegriffen, wenn die Diskussion zu sehr abdriftete. Für die Araber im Café war ich „einer von denen“, also jemand, der auf der Seite Israels steht – aber trotzdem war der nötige Respekt da.
* Wie haben Sie das geschafft? Auf Grund Ihrer Position hätte Yasser Sie doch eigentlich als Feind ansehen müssen …
* Weil ich Yasser nicht als Feind angesehen, sondern ihm erst einmal zugehört habe. Yasser und die anderen leben in ihrem Café in einem Mikrokosmos, sie bewegen sich nicht unter Deutschen. Aber sie finden es gut, wenn jemand sich für sie interessiert. Die meisten Männer im Café sind arbeitslos, sie klagen, dass die deutsche Gesellschaft sie nicht haben will, dass wir Deutsche ihren Kindern keine Ausbildungsplätze geben wollen.
Ich habe mich während meines Studiums mit Migration und Integration beschäftigt und finde, dass wir Journalisten Integration fördern müssen. Dazu gehört auch, die unangenehmen Aspekte von Einwanderung sichtbar zu machen und auf die Konsequenzen verfehlter Einwanderungspolitik wie die fehlenden Sprachkurse in den 60ern hinzuweisen.
Noch etwas war für die Recherche wichtig: Wenn man Arabern etwas entlocken will – das habe ich auf meinen Reisen in den Nahen Osten gelernt – muss man einen männlich-kumpelhaften Ton anschlagen, eine vertraute Atmosphäre schaffen.
* An einer Stelle scheinen Sie die Geduld mit Ihrem Kontrahenten zu verlieren und schreiben: „Yasser schwurbelt vor sich hin“ – nämlich das islamische Glaubensbekenntnis. Warum geben Sie da Ihre Zurückhaltung auf?
* Für mich hat „schwurbeln“ eher etwas von „plappern“ bzw. „unkontrolliert daher reden“. Dass ich dieses Wort gewählt habe, hat einen ganz banalen Grund: Es macht mir Spaß, ungebräuchliche Wörter zu benutzen. Ich sammle sie in einem Notizbuch – und wenn ich einen Text schreibe, krame ich das Buch raus und schaue, welches Wort passt. Ich bin eben noch ein junger Journalist und spiele gern.
* Warum haben Sie der Reportage aus dem Café und dem türkischen Burger-Grill ein Interview mit einer Islamwissenschaftlerin gegenübergestellt?
* Die Aussagen der Islamwissenschaftlerin waren wichtig, damit die Leser die Sprüche von Yasser und seinen Freunden einordnen können. Ich habe es vor der Recherche im Café und im Burger-Laden geführt, weil ich mich gut vorbereiten wollte. Dass die Wissenschaftlerin mit ihrer Analyse richtig lag – Islamismus als Reaktion auf die empfundene Ablehnung des Islam und die Erfahrung, in unserer Gesellschaft nicht dazuzugehören – war bei den Jungs zu spüren. Ich habe das Interview dann bewusst ausgelagert, damit die Reportage auch Reportage bleibt.
* Die Geschichte spielt in Neukölln und Kreuzberg. Sind Sie für die „Berliner Morgenpost“ in diesen beiden Stadtvierteln unterwegs?
* Nein, ich biete der „Berliner Morgenpost“ dann eine Geschichte an, wenn sie passt. Mit der Reportage im Lokalteil wollte ich einfach zeigen, welche Menschen unter uns leben. Migration und Integration ist mein innenpolitisches Leib- und Magenthema. Deshalb habe ich auch bis vor Kurzem in Neukölln gelebt und wohne jetzt in Kreuzberg – auf dem Prenzlauer Berg finde ich keine Geschichten.
Mein nächster Artikel zum Thema Islamismus wird etwas tiefer gehen als die Reportage in der „Berliner Morgenpost“, die bewusst keine investigative Recherche nach Terrorzellen war. Gestern war ich wieder im Café und habe nach passenden Gesprächspartnern Ausschau gehalten. Diesmal wird es gezielt um den politisierten Islam gehen.
Interview: Eva Keller
Erschienen in Ausgabe 8/2007 in der Rubrik „Best of Theodor-Wolff-Preis 2007“ auf Seite 42 bis 42. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.