Von Berlin bis Warschau sind es gerade mal 600 Kilometer. Und doch ist Polen für die meisten Deutschen ganz weit weg. Zumindest mental. Umfragen belegen: Die Polen sind den Deutschen egal oder im Zweifelsfall suspekt. Seit die Kasczynski-Zwillinge Europa mit Quadratwurzeln und allerlei politischen Querschüssen nerven, ist das Verhältnis zwischen den Nachbarn richtig düster geworden.
„polenplus“ erscheint im kleinen Berliner Valerius Verlag und hat sich vorgenommen, vier Mal im Jahr etwas zur Aufhellung und zur Verständigung beizutragen. Gerade ist das zweite Heft erschienen. »Savoir Polski« verspricht der Titel und überrascht schon auf dem Cover mit grün-bunter Flowerpower-Optik. Das setzt sich auf den Innenseiten fort: alles wirkt frisch, selbstbewusst, originell. Chefredakteurin Elisabeth Martha Münchow gelingt ein ebenso unterhaltsamer wie informativer Themenmix. Wer etwas über den Mythos polnischer Hauskultur erfahren möchte, Trends der neuen polnischen Küche entdecken oder eine kluge Analyse von Gesine Schwan über die Rolle Polens im zukünftigen Europa lesen möchte – der findet hier anregende Lektüre. Das die Fotoqualität noch nicht optimal ist, wollen wir dem Newcomer-Magazin nachsehen. Gute Fotos kosten nun einmal viel Geld. Sofort abrücken aber sollte Artdirector Michael Okraj (Agentur Designerdeutsch) von seiner Idee, Leerzeilen mit Farb-Balken aufzufüllen. Das mag stellenweise originell sein, über die gesamte Heftstrecke jedoch ist es irreführend und störend. Fazit: „polenplus“ ist ein Plus im Printmarkt, jetzt braucht es Auflage und Anzeigen, dann hat es Marktchancen. www.polenplus.eu
Auflage braucht auch „Capital.“ Das 1962 gegründete Gruner + Jahr-Flaggschiff hat legendäre Chefredakteure wie Adolf Theobald (1962-71) und Johannes Gross (1974-80) erlebt und zu Zeiten des Börsenbooms ungeahnte Auflagenhöhen. Doch das ist Vergangenheit. Heute herrscht im Wirtschaftstitel-Segment harter Verdrängungswettbewerb. Klaus Schweinsberg heißt der neue Chef und er ist auch für den radikalen Relaunch verantwortlich, dem sich „Capital“ unterzog. Ressorts wurden verschmolzen, die ganze Optik – einschließlich Logo – umgekrempelt. Vorher sah das Magazin ein bisschen aus wie „Focus“, jetzt wie eine gekonnte Mischung aus „brand eins“ und „Neon“. Klugerweise hat die Redaktion entschieden, nicht mit Tageszeitungen oder Online-Angeboten zu konkurrieren, sondern auf informative Unternehmensgeschichten und gut recherchierte Hintergrund-Storys zu setzen. Inhalt und Optik ergänzen sich ideal: Qualitätsjournalismus mit viel Nutzwert, interessante journalistische Formate. Das unaufgeregte Layout wechselt gekonnt zwischen Zwei- und Dreispaltigkeit, mixt lesefreundlich Grotesk- und Antiqua-Schrift und spielt souverän mit Farbfonds und Weißraum. So sieht ein modernes Wirtschaftsmagazin aus. Klaus Schweinsberg und Andreas Wiedemann (Art Direction) ist ein Wurf gelungen. Glückwunsch! Mehr Opulenz und Emotionalität und ich werde Abonnent. www.capital.de
Das „Zeitmagazin“ war einmal eine strahlende Printmarke. Spannender Journalismus, brillante Autoren, ungewohnte Fotostrecken. Doch irgendwann in den späten Achtzigern hat das Blatt Patina angesetzt, wurde selbstgefällig und langatmig. Es verlor an Schwung und Aura und als die Anzeigen auch noch ausblieben, wurde es zu Grabe getragen. Seit einigen Wochen ist es wieder auferstanden und heißt jetzt trotzig „Zeitmagazin LEBEN“ Die Erwartungshaltung war groß, die Ernüchterung noch größer: viel Retro, wenig Überraschendes. Sicher, es gibt lesenswerte Reportagen und Porträts, hervorragende Fotostrecken, unterhaltsame Kolumnen von Martenstein und Altkanzler Schmidt, und die Doppel-Cover-Dramaturgie ist eine schöne Idee. Aber insgesamt ist das Blatt eine Enttäuschung. Das liegt auch am Layout, für das Katja Kollmann verantwortlich ist. Es ist routiniert, aber nicht ambitioniert, nirgendwo wirklich originär. Mit den gewählten Typomix habe ich meine Schriftsetzerlehre verbracht – und das liegt ein paar Jahre zurück … Wer als Supplement am Kiosk nicht um Leser kämpfen muss, der darf mutiger sein. Was bleibt? Prinzip Hoffnung!
Erschienen in Ausgabe 8/2007 in der Rubrik „Ortners Blattkritik“ auf Seite 61 bis 61. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.