* Für Ihre Reportage haben Sie eine ungewöhnliche Form gewählt. Sie haben mit dem Ghanaer John Ekow Ampan dessen Flucht nach Europa rekonstruiert, sind mit ihm noch einmal von Ghana bis nach Spanien gereist. Warum?
Klaus Brinkbäumer: Ich habe lange überlegt, wie sich die Geschichte eines afrikanischen Flüchtlings am besten erzählen lässt. Die erste Idee war, eine Flucht zu begleiten, aber je mehr ich über das Thema gelesen, je mehr Filme ich gesehen hatte, desto mehr hatte ich das Gefühl: Ein Reporter, der mit einem Migranten reist, verfälscht oder sagen wir lieber: verändert das Schicksal des Flüchtlings.
* Warum?
* Allein die Tatsache, dass ein Weißer mit einem roten EU-Reisepass dabei ist, beeinflusst die Wirklichkeit der Flüchtlinge. Migrantinnen und auch Migranten werden anders behandelt, wenn zwei weiße Männer an ihrer Seite sind, alles ist anders: Aus Herablassung wird Respekt, die Preise verändern sich. Letztlich, fand ich, ist eine Rekonstruktion einer Flucht authentischer und ehrlicher.
* Wie haben Sie eigentlich John gefunden?
* Das erste Mal sind wir uns schon vor einigen Jahren, 2002, begegnet. Damals waren der Fotograf Markus Matzel und ich in der Meerenge von Gibraltar unterwegs. In einem Keller in Algeciras haben wir eine junge Nigerianerin interviewt: Joy, die nach fünf Jahren Flucht in Spanien angekommen war. Joy hatte alles erlebt, was einer Frau auf so einem Weg zustoßen kann, und auf den letzten Metern der Überfahrt war auch noch ihre beste Freundin über Bord gegangen. John kümmerte sich um Joy, brachte ihr Pizza, besorgte einen Anwalt, so haben wir uns kennengelernt.
* Warum haben Sie sich entschieden, ausgerechnet seine Geschichte zu erzählen?
* Das hat sich erst im Laufe der Recherche ergeben. Ich wollte wissen: Warum verlassen Flüchtlinge ihre Heimat, ihre Familien, ihre Kinder und nehmen diesen Weg auf sich? Und was erleben sie unterwegs? Eigentlich wollten Markus und ich das Schicksal einer Afrikanerin nacherzählen, aber auf der zentralen Landroute durch die Sahara sind vor allem Männer unterwegs. John hat drei Kinder und seine Frau in Accra zurückgelassen. Seine Flucht hat vier Jahre gedauert und dann war plötzlich die Idee da: Warum nicht John? Denn er würde mitkommen und die eigene Reise wiederholen und Markus und mich so in die Welt der Migranten hineinführen können.
* War es schwer, ihn für die Geschichte zu gewinnen?
* Nein. Zunächst war er erschrocken, aber als er begriff, dass das bedeutete, dass er nach 15 Jahren seine Familie wiedersehen würde, gab es kein Halten mehr.
* Sieben Wochen waren Sie mit ihm unterwegs.
* Wir sind die Strecke, die John vor 15 Jahren zurückgelegt hat, abgereist, teils auf Flüchtlings-Lastern, teils mit eigenen Autos, manchmal sind wir auch gelaufen. Ich glaube, dass man oft mehrere Wochen oder jedenfalls viele Tage mit Menschen verbringen muss, um an den wahren Kern ihrer Geschichte zu kommen.
* Sie beschrieben in Ihrer Reportage, wie sie auf einem Laster durch die Sahara Richtung Libyen fahren. Sie sitzen auf der Ladefläche mit 31 Flüchtlingen, sind der Weiße mit Geld in der Tasche. Geld, das den Flüchtlingen oft fehlt, um ihre Schlepper zu bezahlen. Wie haben sich die Flüchtlinge Ihnen gegenüber verhalten?
* Offen, neugierig, freundlich. Wir haben auf dem Pickup Brot und Wasser verteilt, nie Geld. Die Flüchtlinge waren froh, dass sie nicht alleine waren, dass ihnen endlich jemand zuhörte, sie wollten ihre Geschichte erzählen. Und natürlich wollten sie auch viel von uns wissen: Wie ist es in Europa? Wie hoch sind die Zäune in Ceuta, wie kommen wir rüber nach Spanien? Wie findet man Arbeit? Wie kriegt man eine deutsche Frau? Gefährlich war es auf den Lastwagen nie und auch sonst nur sehr selten.
* Was ist passiert?
* Lagos ist heftig. Einmal steckte unser Wagen in Schlaglöchern fest, und 50, 60 junge Männer hievten ihn raus, und dann kreisten sie uns ein und wollten Geld. Das war nicht komisch. John hat solche Konflikte entschärft. Er konnte sich verständigen, wo ich sprachlich nicht weiter kam, er war ein kluger Begleiter, ein Lehrer.
* Wie haben Sie Ihre Eindrücke festgehalten?
* Es ist unmöglich, während der Fahrt durch die Sahara zu schreiben, und für ein Diktiergerät ist es zu laut. Sobald eine Pause war, habe ich mir Notizen gemacht. Parallel habe ich Tagebuch geführt, jeden Abend, und wann immer ein Internetcafé in der Nähe war, habe ich Mails an meine Freunde geschrieben. Diese Mails haben mir später beim Schreiben geholfen.
* Wie konnten Sie das, was John Ihnen erzählt hat, überprüfen?
* Ich habe es, so gut es ging, gegengecheckt, die Daten, die Zahlen, all das. Ich habe ohne Johns Beisein mit seiner Familie geredet und mit seinen Vertrauten in Spanien. Unterwegs haben wir Menschen getroffen, denen John auf seiner Flucht damals begegnet war. Auch bei ihnen habe ich nachgefragt.
* Ausgangspunkt ihrer Reise war Accra, Johns Heimatstadt. Als Sie gemeinsam aus dem Flieger stiegen, stand Johns Frau da, seine Kinder, die er seit so vielen Jahren nicht mehr gesehen hat – ein extrem intimer Moment.
* Kaum auszuhalten. John hatte vorher gesagt, sie würden tanzen und singen und kreischen, aber dann standen sie einfach nur sprachlos und hilflos voreinander. In Accra habe ich mich zurückgehalten und John und seine Familie tagelang allein gelassen.
* Wie ist das Verhältnis zwischen John und Ihnen?
* Wir haben in engen Räumen geschlafen, zusammen in der Wüste übernachtet, es war eine lange Reise, und natürlich sind wir heute vertraut oder sogar befreundet. Trotzdem durfte ich ihm nicht blind vertrauen, denn Flüchtlinge neigen dazu, ihre Geschichten zu dramatisieren, weil die dramatischste Geschichte die besten Chancen auf Asyl und Bleiberecht bietet. Wir hatten von Anfang an eine Absprache: Lüg nicht, sag die Wahrheit, und wenn du etwas nicht mehr weißt, sprich es bitte aus!
* In Ihrer Geschichte, so hat man den Eindruck, rückt John teilweise in den Hintergrund.
* Mag sein, es gab so viel zu berichten, ich hätte endlos weiterschreiben können. Ursprünglich hatte ich in den Text sogar noch eine Erzählebene mehr eingebaut – großartige Geschichten von Migranten, in Ich-Form erzählt. Cordt Schnibben, mein Ressortleiter, hat mir dringend geraten, sie wieder rauszunehmen. Sie hätten die Reportage überfrachtet. Das Streichen tat körperlich weh, aber manchmal haben Chefs leider recht.
Interview: Eva Lehnen
Erschienen in Ausgabe 7/2007 in der Rubrik „Best of Henri-Nannen-Preis 2007“ auf Seite 44 bis 44. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.