Phrasendreschmaschine
Von Zeit zu Zeit bekommen die Autoren dieser kleinen Kolumne Leserpost. So schrieb uns kürzlich Mike Seidensticker, Pressesprecher bei Reed Exhibitions Deutschland in Düsseldorf: „Guten Tag, Herr Meier, Hallo, Herr Winterbauer, lese regelmäßig Ihr phrasenblasendes Brevier im medium magazin. Sehr gut.“ Und weiter: „Ich hätte da was für Sie: Auf einer langen Zugfahrt ist die Idee zur Phrasendreschmaschine entstanden, mit der sich im Handumdrehen über 1.700 Phrasen für den Messebetrieb dreschen lassen.“ Unsere Antwort fiel knapp aus: „Her damit!“ Eine Maschine, die uns die Arbeit abnimmt und wir trotzdem das Honorar kassieren – klar wollten wir die haben. Zwei Tage später lag das Wunderwerk aus Pappe in der Post. Und tatsächlich: Auf drei Rädern stehen schön abgehangene Begriffe, die sich je nach Stellung der Räder zu lustigen und irgendwie vertrauten Wort-Ungetümen zusammensetzen lassen. Einige Dresch-Perlen im Zufallssystem: „Nachhaltige Wettbewerbs-Orientierung“, „lupenreine Wertschöpfungs-Strategie“, „internationale Portfolio-Option“. Alle Kombinationen seien hier nicht aufgezählt, die Maschine soll uns ja künftig die Arbeit erleichtern. Dank an Herrn Seidensticker und sein Team!
„Das ist ein weites Feld“
Der Effekt ist bekannt: Je allgemeiner die Frage, desto allgemeiner und damit nichtssagender die Antwort. Die Möglichkeiten, sich mit irgendwelchem Blabla vor einer konkreten Antwort zu drücken, sind riesig. Eine beliebte Ausflucht-Phrase auf eine zu allgemein gestellte Frage („Was sind die Konsequenzen der Globalisierung?“, „Der Markt für Eierkocher ist rückläufig. Warum?“) ist der Verweis auf jene „weiten Felder“, die eben diese Frage eröffne. Der oder die Befragte zieht aus der Antwort gleich zwei Vorteile: Zum einen positioniert man sich als Oberchecker mit Überblick. Wer das weite Feld im Auge hat, ist ein Feldherr, ein Stratege, der alle Aspekte des Themas sicher auch noch im Schlaf vorbeten kann. Zum anderen ist natürlich auch klar, dass man das dermaßen komplexe Thema nicht in einem 1:30-Minuten-Interview dem offenbar unzureichend vorbereiteten Interviewer aufdröseln kann. Und sicher wird der Journalist auch nicht nachhaken, wenn schon seine Einstiegsfrage solche Ausfluchtsmöglichkeiten bietet. Und so werden die weiten Felder weitgehend unbeackert von lästigen Fragestellern bleiben.
„Das ist ein ganz breites Spektrum“
Ganz im Sinne der Phrase des „weiten Feldes“: Wer über „breite Spektren“ referiert, hat sicher keine große Lust, diese auch in allen Farben auszumalen. Eine Möglichkeit, die eine solche Ausfluchts-Phrase bietet, blieb vorhin unerwähnt. Da der Befragte ja soeben erklärt hat, dass seine Antwort wegen des „breiten Spektrums“ quasi in alle nur denkbaren Richtungen abdriften könnte, kann er im Prinzip auch über ein beliebiges Thema seiner Wahl reden. Vor allem in Politiker-Interviews zeigt sich häufig, dass die rhetorisch geschulten Volksvertreter eh nur das sagen, was sie sich im Vorfeld des Gesprächs zurechtgelegt haben. Und so liefert die Sprechblase vom „breiten Spektrum“ die perfekte Eröffnung und Vorbereitung für einen Monolog. Dem Fragesteller bleibt da nur noch die Möglichkeit, sich beim nächsten Mal eine Frage auszudenken, die weniger wischi-waschi ist.
„Immer mehr“
Zum Schluss wollen wir auf eine schöne Phrase verweisen, der die Journalistenschüler Mathias Peer und Lenz Jacobsen unter http://immermehr.twoday.net gleich ein eigenes Weblog gewidmet haben. Die beiden schreiben: „,Immer mehr‘ ist die Lieblingsfloskel der Trendbehaupter. Es verdeckt schlechte Recherche und mangelnde Fakten.“ Schön beobachtet. Denn wo es immer mehr Informationen gibt, herrscht auch immer mehr Verwirrung.
Erschienen in Ausgabe 7/2007 in der Rubrik „Tipps für Journalisten“ auf Seite 89 bis 89. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.