Preis & Wert

Plötzlich haben es alle gewusst. Wie sich da Sportreporter und-moderatoren auf allen Kanälen und in allen Medien plötzlich als die Saubermacher der Nation gebärden, wie sie reuige Dopingsünder inquisitorisch mit strenger Mine befragen und mehr Sauberkeit im Sport zur nationalen Pflicht erklären – es wäre lachhaft, wenn es nicht so traurig wäre. Und dennoch hat das traurige Spiel sein Gutes: Der elende Verbrüderungsjournalismus im Sport, Reporter, die sich mehr als Schulterklopfer denn als Fragesteller verstehen, all das gehört jetzt hoffentlich endgültig der Vergangenheit an. Vor allem aber: Glaubwürdigkeit und seriöse Recherche stehen plötzlich wieder ganz hoch im Kurs – sogar in den eigenen Reihen.

 

Das Beispiel Hajo Seppelt möge da eine nachhaltige Lehre sein: Der ARD-Sportreporter in rbb-Diensten hat sich bereits seit Jahren kritisch mit dem Thema Doping auseinandergesetzt – lange als Einzelkämpfer, auch gegen massive Widerstände im eigenen Senderverbund. Dafür verlieh ihm das „netzwerk recherche“ im vergangenen Jahr den Preis „Leuchtturm für herausragende publizistische Leistungen“ – zu einer Zeit, als Seppelt vom eigenen Sender weitgehend kaltgestellt war. „Während leitende Sportredakteure mehr an Harmonie interessiert waren und Stars mit geheimen Verträgen an sich banden, gilt Seppelt als Reporter, der mehr Distanz und journalistische Substanz in der Sportberichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender fordert und praktiziert. Damit hat er sich bei seinen Chefs nicht beliebt gemacht“, lobte das „netzwerk recherche“ damals den standhaften Reporter, ohne den die ARD als langjähriger Medienpartner des Radsportsponsors Telekom heute auf ziemlich ehrverlorenem Posten stünde. Wie zur Wiedergutmachung darf Seppelt nun sogar die aktuellen Doping-Geständnisse in den „Tagesthemen“ der ARD kommentieren. Doch immer noch bleibt er einer der wenigen Stimmen im eigenen Haus, die die Rolle der Öffentlich-Rechtlichen beim fröhlichen Radeln öffentlich kritisch hinterfragen (s.a. „medium magazin“ 1/2007, „Journalisten des Jahres“).

 

Dafür wurde an anderen Stellen in den vergangenen Wochen vehement die Notwendigkeit eines unabhängigen, kritischen Qualitätsjournalismus beschworen. „Ohne Glaubwürdigkeit verlieren wir unser Publikum und mit dem Publikum unser Geschäftsmodell – am Ende also verlieren wir dann alles“. Was Jan-Eric Peters, der Direktor der Axel Springer Akademie, Mitte Mai zur Verleihung der Axel Springer Preise für junge Journalisten (s.a. „Best of … Nachwuchsjournalismus“, Seite 35 ff.) in Berlin sagte, hat da wie dort, im Sport wie in allen anderen Ressorts, seine Gültigkeit. „Einordnung und Gewichtung, Verifikation und Interpretation, diese Kernaufgaben des Journalisten werden im digitalen Zeitalter noch viel wichtiger als früher sein“, mahnte der neue Chefausbilder im Hause Springer. „Deshalb darf es nie dazu kommen, dass in Redaktionen geistige Arbeit in Akkord geleistet werden muss, während auf der anderen Seite eine ganze Medien-Manipulationsindustrie entstanden ist. PR und Lobbyismus sind besser organisiert als je zuvor.“ Fast zeitgleich sprach der Publizist Klaus Harpprecht bei der Ehrung der Wächterpreisträger (s.a. Seite 70 f.) über „die Grenzen der, Vierten‘ Gewalt“, ihren Exzessen und Entgleisungen, und den Perspektiven: „An guten Federn mangelt es nicht. Sie wachsen nach. Sie müssen nur Platz und Abnehmer finden. Raum, wie er ihnen früher im, Spiegel‘ gewährt wurde, der seine brillanten Essayisten und Reporter nur noch selten zu Wort kommen lässt, weil sie vermutlich der schleichenden Entpolitisierung und sachten Popularisierung den Weg verstellen. Das gilt nicht nur für den, Spiegel‘ …“

 

Kurz zuvor hatte auch Bernd Kundrun, Vorstandschef von Gruner + Jahr, bei der Henri-Nannen-Preisverleihung (s.a. Seite 10, 84 ff.) die Frage nach dem Platz für Qualitätsjournalismus gestellt – und beantwortet: „Gibt es wirklich keinen Platz mehr für Journalismus, der „mit dem Herzen“ erzählt, der die Wahrheit sucht und beschreibt, die hinter den immer schnelleren, härteren und aufgeregteren Nachrichten liegt? Doch, ich bin davon überzeugt, diesen Platz gibt es und es wird ihn auch in Zukunft geben, weil das Bedürfnis, die Welt zu verstehen, eben nicht durch die anschwellende Flut im Stakkato präsentierter Nachrichten gestillt wird.“ Die Ehrungen sind vorbei. Der Alltag ist nicht glamourös. Dafür bietet er reichlich Stoff für unabhängigen, kritischen Qualitätsjournalismus. Es gilt umso mehr, den notwendigen Platz dafür zu ermöglichen.

Annette Milz

Erschienen in Ausgabe 6/2007 in der Rubrik „Editorial“ auf Seite 3 bis 3. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.