Stimmt es, dass der „Stern“ 18.000 Euro für das preisgekrönte Interview mit Murat Kurnaz bezahlt hat?
Dr. Med.: So steht es jedenfalls in einem Bericht des Bremer Landesamtes für Verfassungsschutz. Aber mittlerweile regt sich ja auch kaum noch jemand über solche Fälle von Scheckbuchjournalismus auf. In den Redaktionen wird gern damit argumentiert, dass es sich bei den Zahlungen um eine Art Aufwandsentschädigung handelt – allerdings geht ein Betrag von 18.000 Euro weit darüber hinaus. Das Irritierende in diesem Fall ist aber, dass der „Stern“ ausgerechnet für das gekaufte Interview ausgezeichnet worden ist. Beim LeadAward im Februar erhielt man dafür die Goldmedaille für den besten Beitrag des Jahres, was die Brust von „Stern“-Chefredakteur Thomas Osterkorn zu einem Selbstlob der Extraklasse verleitete. In einem Editorial erzählte er danach stolz den Lesern von den Auszeichnungen und lobte den LeadAward ganz unbescheiden als deutschen „Medien-Oscar“. Dass der „Stern“ das Interview mit viel Geld gekauft hat, schrieb er natürlich nicht, und auch die Lead Academy dürfte es nicht geahnt haben (s. a. Seite 30 ff). Fragt sich, ob sie die Goldmedaille überhaupt an den „Stern“ vergeben hätte, wenn man dort gewusst hätte, dass der beste journalistische Beitrag des Jahres 2007 schnöde mit Geld ermöglicht wurde.
Die Nachfrage zu der Zahlung beantwortete der „Stern“ nur ,mit einer „Bitte um Verständnis“, dass man sich zu der Frage „nicht äußern möchte“.
Kämpft „Vanity Fair“-Chef und Sportwagenfan Ulf Poschardt wirklich für ein Tempo-Limit?
Dr. Med.: Es geht ja schon seit Jahren so: Poschardt schreibt nicht über Autos, er besingt sie – am liebsten die ganz schnellen unter ihnen. Über den Audi R8 fielen ihm neulich diese Worte ein: Der Sportwagen sei „eine Ode an jene fantastischen Autobahnen, die allein Grund wären, Deutschland zu mögen.“ Doch es gibt eine Autobahn, die Poschardt nicht so gern mag. Sie verläuft nicht allzu weit entfernt von seinem Haus im Berliner Stadtteil Nikolassee. Es ist die Avus, auf der früher Autorennen stattfanden und auf der heute Tempo 100 gilt – unten, wo Poschardt wohnt, sogar nur 80. Zu viel, findet er – 60 muss reichen. Denn der Krach, den Autos und LKWs zwischen der Ausfahrt Spanische Allee und dem ehemaligen Kontrollpunkt Drei Linden machen, dringt zu ihm und deswegen kämpft er dagegen. Er unterstützt sogar die Bürgerinitiative „Avus-Lärmschutz“. Nach Dienstschluss ist er jetzt trotz des Autolärms oft im Garten. Er sehnt sich nach Familie und nach Kindern – aus manchen seiner Kolumnen kann man herauslesen, dass es bald so weit ist. „Es ist nicht leicht, eine Frau zu finden, die bei Tempo 300 auf dem Beifahrersitz noch lächelt“, hat er mal gesagt. Er hat wohl doch noch eine gefunden. Wahrscheinlich fährt er einfach nicht mehr so schnell. Er ist ja jetzt ein anderer. Er ist wie der R8. Man kann mit ihm langsam fahren, aber auch schnell.
Wie kam beim „Spiegel“ eigentlich der Gaga-Titel über Berlin zustande?
Dr. Med.: Das wissen natürlich nur die Eingeweihten, aber ich stelle mir das so vor: Am Donnerstag vor Drucklegung lieferte der Kulturchef Matthias Matussek ein langes Stück über die Hauptstadt ab, das Chefredakteur Stefan Aust viel zu feuilletonistisch war. Der ging daraufhin zu dem Spezialisten für die ganz harten Fälle – mit bürgerlichem Namen Gabor Steingart – und gab dem den Auftrag, das Stück umzuschreiben, was Steingart gemeinsam mit sage und schreibe 15 weiteren Autoren tat. Nun kommt in der Titelgeschichte von Hitler über Pofalla bis Klaus Wowereit und Ernst Thälmann wirklich jeder Prominente vor, der in Berlin lebt oder gelebt hat – und es finden sich so dadaeske Einschübe darin wie der, dass Berlin mit London um den Titel der „Weltrettungshauptstadt“ kämpft und dass die Bauten der Politiker „gigantische Speicher für Berliner Luft“ sind. Wenn man die Luft aus dieser peinlichen Titelgeschichte raus ließe, bliebe wahrscheinlich nicht viel mehr übrig als die bloße Erkenntnis, dass es anscheinend der Wahrnehmung nicht förderlich ist, wenn Journalisten an einem Retorten-Ort wie dem Pariser Platz residieren, wie es beim „Spiegel“ der Fall ist.
„Zeit-Magazin“, „FAZ-Bilder&Zeiten“ – wieso wärmen die Verlage die ganzen alten Sachen auf?
Dr. Med.: Tatsächlich reibt man sich erstaunt die Augen: Da haben sich die Manager in den vergangenen Jahren regelrecht verschanzt, haben angesichts der Rezession Redaktionen ausgedünnt und Beilagen und Hefte abgeschafft – und nun, wo es wieder aufwärts geht, fällt ihnen nichts Besseres ein, als die alten Sachen wieder aus der Mottenkiste zu holen. Die „FAZ“-Samstags-Tiefdruck-Beilage „Bilder & Zeiten“ wurde neu belebt (nur ohne Tiefdruck), wobei das Wort Leben eine Übertreibung ist. Bei der „Zeit“ reanimiert man zum 24. Mai das „Zeit-Magazin“ und kündigt groß an, dass darin Helmut Schmidt eine Kolumne haben wird. Darauf muss man erst mal kommen – so etwas groß anzukündigen. Auch sonst fühlt man sich am Kiosk wie auf einer Zeitreise – zum Beispiel beim Blick auf die Cover von „Vanity Fair“. Till Schweiger, Liz Hurley, Demi Moore – mehr Neunzigerjahre geht nicht. Vielleicht sollte mal jemand beim Bauer-Verlag anrufen, ob es nicht Zeit ist, die „Quick“ wieder neu aufzulegen. Und wer hat eigentlich die Namensrechte an „Twen“?
Erschienen in Ausgabe 4/2007 in der Rubrik „Journaille“ auf Seite 16 bis 17. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.