Angriffe auf Medienvertreter häufen sich: Wie schützen sie sich?
Die Aggression gegenüber Journalisten und Journalistinnen wächst hierzulande. Allein 2018 registrierte das European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF) 26 tätliche Angriffe auf Medienvertreter (dreimal soviel wie 2017: 8 Fälle). Bei 22 der 26 Taten wurde ein politisch rechter Hintergrund attestiert, berichtet das medium magazin in seiner aktuellen Ausgabe.
„Die sprachliche Verrohung führt zwangsläufig auch zu physischer Gewalt“, sagt Michael Bewerunge, Leiter des ZDF-Studios Leipzig, gegenüber medium magazin. Zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai hat das Branchenblatt sein aktuelles Titelthema der Frage gewidmet, wie Journalisten und Journalistinnen mit verbalen wie tätlichen Angriffen umgehen. „Am Anfang dachte ich: Security, brauchen wir das wirklich?“, meint Bewerunge, der seit 2017 aus Sachsen berichtet. Doch das gehöre inzwischen längst für ihn zur „Fürsorgepflicht“ gegenüber seinem Team.
Darüber hinaus werden die Reporter und Reporterinnen in einer speziellen Ausbildung trainiert, mit Konfliktsituationen umzugehen. Die ARD-ZDF-Medienakademie hat dazu ein modulares Konzept „Krisenberichterstattung im Inland“ entwickelt. Im Herbst startet das Pilotprojekt eines dreitägigen Workshops in allen ZDF-Landesstudios. Fachgebietsleiter Matthias Harder hält ein solches Training, wie es bereits heute im NDR als Teil des Volontärsprogramms verankert sei, für zwingend erforderlich: „Es ist den Journalisten wichtig zu verstehen, wie sie sich und ihre Funktion trennen und eine professionelle Distanz einnehmen können“, sagt er gegenüber medium magazin.
Doch nicht nur Fernsehleute, die durch Kameras leicht als Journalisten identifizierbar sind, berichten von wachsenden Aggressionen. So geht inzwischen Tobias Wolf, Reporter der Sächsischen Zeitung, nicht mehr ohne Fahrradhelm zu Demonstrationen wie dem montäglichen Pegida-„Abendspaziergang“ in Dresden – als Schutz „für alle Fälle“. Denn: „Früher war klar, mit wem man es zu tun hatte. Heute ist es unberechenbarer“, beschreibt er die veränderte Atmosphäre: „Es könnte jemand sein, die wie eine liebe Omi aussieht, die mir aufs Maul haut.“
Auch Pascale Müller von Buzzfeed Deutschland greift bei Bedarf zu einem Helm und sagt dazu: „Klar ändert sich die Situation in dem Moment, wo ich ihn aufsetze. Aber ich trage nicht zur Eskalation bei, sondern sorge damit dafür, dass ich arbeiten kann.“
Antonie Rietzschel, Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, oder Martin Kaul, Reporter der taz, greifen lieber zu anderen, unauffälligeren Schutzmaßnahmen. „Es wäre falsch, wenn der Eindruck entsteht, dass wir hier in einem permanenten Ausnahmezustand leben“, meint Rietzschel. Um so wichtiger aber sei es, dass die eigenen Redaktionen entsprechende Unterstützung anbieten.
Das betont auch Psychologe Bernd Willkomm. In einem Interview mit medium magazin-Autorin Anne Haeming warnt er: „Bei Kundgebungen und Großdemonstrationen, egal ob bei Pegida oder G20, gilt: Wenn Journalisten erkennbar ihre Arbeit machen, können sie heute als Feinde wahrgenommen werden, daraus resultiert Aggression.“ Der langjährige Bundeswehr-Psychologe rät: „Es ist auf jeden Fall ratsam, nicht mit Gegenaggression zu reagieren, sondern sich zurückzuziehen: Einfach drei Schritte zurückgehen, man muss ja den Ort nicht verlassen.“
In dem medium magazin-Titeldossier „Geht´s noch?“ schildern zahlreiche Journalisten und Journalistinnen ihre Situationen und Reaktionen auf die „Feindbild Journalist“-Stimmung. So beschreibt Annette Binninger, Leiterin des Investigativ-Teams von sächsische.de und Sächsische Zeitung, in zehn Thesen detailliert die Erfahrungen, Fehler und Lehren der Sächsischen Zeitung in Dresden, wo die ersten Hochburgen von Pegida und AfD entstanden sind. Sie rät Kollegen und Kolleginnen unter anderem: „Erklärt Eure Arbeitsweise und macht sie transparent, bevor andere vorgeben das zu tun- zur Diskreditierung“. Aber auch das: „Vor der Meinung kommt die Information: Klärt sachlich auf, erklärt, analysiert!“ und „Bleibt gelassen – so schwer es auch fallen mag“.
Das Titeldossier mit Beiträgen von Annette Binninger, Florian Sturm und Anne Haeming erscheint in medium magazin 02/2019, S. 18-29. Weitere Themen sind u.a. die Mainzer Langzeitstudie zum Medienvertrauen und die Schlussfolgerungen von Studienautor Tanjev Schultz, Special Nachhaltigkeit – was Medien in eigener Sache für den Klimaschutz tun, wie 11 Regionalzeitungen zur Europa-Wahl gemeinsame Sache machen, plus die Journalistenwerkstatt „Besser schreiben: Die Reportage“.
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