Das Brevier für mehr Klartext, Teil 54.
„Die gute Nachricht ist doch …“
Dass muss dem regierenden Bürgermeister erst einmal einer nachmachen. Schon der erste Satz seiner ersten Antwort im Interview mit dem „Spiegel“ (Heft 45/2010) besteht aus einer klassischen Vermeidungsphrase. Der „Spiegel“ fragt, was eigentlich schiefgelaufen sei, dass sich so viele Menschen im linken Lager nach Renate Künast sehnen. Wowereit ignoriert die Frage einfach und schwadroniert von „guten Nachrichten“. Nämlich, dass die Konservativen in Berlin keine Rolle mehr spielten.
„Das Gegenteil ist richtig …“
Und gleich wieder eine Hammer-Phrase als erster Satz der zweiten Antwort. Der Spiegel konfrontiert Wowereit mit dem Vorwurf der „blockierten Stadt Berlin“. Der Profi kontert damit, dass er schlicht das Gegenteil des Vorwurfs behauptet und dann auch gleich noch von „aufgebrochenen Verkrustungen“ schwärmt – noch so eine Phrase. Zwei Phrasen in einer kurzen Antwort – Chapeau!
„Das müssen Sie andere fragen …“
Und es geht heiter weiter mit „Wowis“ Parforceritt durchs Phrasenland. Dritte Antwort, wieder erster Satz. Der „Spiegel“ wollte wissen, was Renate Künast hat, was er nicht hat. „Das müssen sie andere fragen“ ist eine klasse Formulierung, um gleich mal jede mögliche Begründung, die man vielleicht hätte erwarten können auf Null zu reduzieren. Die Fragesteller sind meistens, so auch hier, so verdutzt, dass nicht weiter nachgehakt wird. Wahrscheinlich fragen sie sich stattdessen, wen sie hätten fragen sollen und warum?
„Jetzt mal langsam …“
Frage vier, Phrase vier. Warum denn die Grünen so erfolgreich seien, wollte der „Spiegel“ nun wissen. Wowereit bremst erneut die Erwartung auf eine Antwort elegant aus: „Jetzt mal langsam.“ Momentchen, wer hat eigentlich schnell gemacht? Wowereit behauptet einfach ohne Anlass, dass man „jetzt mal langsam“ machen müsse. Wahrscheinlich im Sinne von „auf den Boden der Tatsachen“ zurückkehren. Aber wer war eigentlich abgehoben? Niemand. Und wer hat eine präzise Antwort erwartet? Wahrscheinlich auch niemand.
„Dieser Satz ist eine Plattitüde“
Zack. Bumm. Plattitüde, nächste Frage. Das beharrliche Zurschaustellen von eigenen Ansichten als unverrückbare Tatsachen ist es, was die wahren Phrasen-Könner auszeichnet. Klaus Wowereit exerziert diese Methode im „Spiegel“-Interview schulbuchmäßig vor. Der Kanzlerinnen-Ausspruch, dass Multikulti gescheitert sei, braucht so keiner näheren Inspektion unterzogen zu werden. Die Fragesteller können ebenfalls nicht länger darauf herumreiten, ohne sich zu verzetteln. Erst einmal müssten Sie, die von Wowereit in den Raum gestellte Plattitüden-Behauptung wieder wegräumen – und bis dahin hätte jeder, vor allem auch der Leser, den Faden verloren.
„Das wird weltweit anerkannt.“
Auch diese abschließende Phrase aus dem „Wowi“-Interview ist in ihrer genialen Schlichtheit kaum zu übertreffen. Irgendetwas behaupten und hinterherschieben: „Das wird weltweit anerkannt.“ Von wem? Wo auf der Welt? Was bedeutet anerkannt? Egal! Wichtig für Phrasen: Sie müssen egal zu welchem Thema, egal an welcher Stelle des Gesprächs einsetzbar sein. Auf alle „Wowi“-Phrasen aus dem Interview trifft dies uneingeschränkt zu. Machen Sie mal den Test: Alle hier zitierten Phrasen können praktisch an jede beliebige Stelle des Interviews gerückt werden – sie passen immer – faszinierend. Ein alter Phrasentrick ist es übrigens auch: Wenn man besonders viele Phrasen geballt absondert, sollte man sich explizit über das Phrasendreschen anderer echauffieren – Zurückhaltung ist hier völlig Fehl am Platze. Und so fehlt auch bei „Wowi“ nicht der Hinweis auf die „vielen Allgemeinplätze“, die seine Konkurrentin Künast in ihrer Bewerbungsrede geboten habe. Mag so sein. Mit seinem Interview hat der Amtsinhaber nun aber tüchtig aufgeholt.
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Erschienen in Ausgabe 12/2010 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 70 bis 70. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.