Die iPad-App der „Frankfurter Rundschau“ lobt die Jury des European Newspaper Award als vorbildlich. Woran haben Sie sich orientiert bei der Entwicklung?
Rouven Schellenberger: Zum Start im Juni/Juli 2010 haben wir uns erst mal angeschaut, was bei anderen Applikationen gut oder schlecht funktioniert, bei Zeitungen und Magazinen international, aber auch bei Spielen und Bildungsangeboten. Wir haben sehr schnell festgestellt, dass ein iPad-Format eine magazinige Oberfläche braucht, also einen höheren Bildanteil, eine andere Form des Geschichtenerzählens als die herkömmliche in Print und Online.Das Nutzungsverhalten eines iPad-Lesers zeichnet sich, anders als bei Online, durch eine gewisse Sehnsucht nach Leseruhe aus. Das haben unsere Markttests gezeigt. Allzu viel Spielerei irritiert eher. Das Angebot muss sich deutlich vom Web-Auftritt absetzen – erst recht, wenn man Geld dafür verlangen will. Das entspannte Lesen langer Texte, verbunden mit Zusatzinformationen und eindrucksvollen Bildern, ist da ein entscheidendes Moment.
Wer betreut das redaktionell?
Ein eigenes Team mit drei Textern und fünf Layoutern. Das Layout ist ein entscheidender Punkt. Mit guten Grafiken und intelligentem Layout nutzen wir die spielerischen Möglichkeiten des iPad aus – zum Beispiel, indem Sie auf Landkarten navigieren oder sich durch die zehn wichtigsten Punkte der Rentenreform klicken können. Die Layouter arbeiten zum Teil in einem rotierenden System für die Zeitung und das iPad. Und der Redaktionsleiter iPad, Michael Bayer, führt gleichzeitig auch die Online-Reaktion, was die Abstimmung erleichert. In der Projektphase hatten wir zudem den externen Berater Uwe Dulias gebeten, nach dem bestmöglichen Workflow in der Redaktion zu suchen. Da wir Print und Online schon eng verzahnt hatten, konnten wir auf diesem System aufsetzen. In jedem Ressort gibt es Online-Verantwortliche, über diese Organisation steuern wir nun auch die iPad-Produktion. Sonst würden wir für den gleichen Aufwand mehr Personal benötigen.
Eine eigene achtköpfige Redaktion klingt ziemlich luxuriös, wenn sonst hart gespart werden muss.
Das mag auf den ersten Blick üppig erscheinen. Aber wenn Sie auf diesem Markt etwas bewegen wollen, können Sie nicht mit einer Kompromisslösung trumpfen. Der iPad-Kunde unterscheidet sehr genau zwischen automatisierten PDF-Anwendungen und einem eigenen kreativen Ansatz. Dazu müssen Sie sich aber intensiv mit Inhalten beschäftigen – und das geht nicht einfach nebenher. Das war uns und unseren Gesellschaftern sehr schnell klar. Die App dient dem Verlag gleichzeitig als Test-Pilot. Von den Erfahrungen können auch alle anderen profitieren. Außerdem zieht Qualität nicht nur Leser, sondern auch Werbekunden an. Die sehen sich sehr genau das Umfeld an und wollen kein reines PDF, wo eine Anzeige irgendwo reingequetscht wird. Der Verlag konnte zum Start zwei große Werbekunden – die Reiseländer Jordanien und Kalifornien – gewinnen.
Wen wollen Sie mit der App vor allem ansprechen?
Wir wollen möglichst neue Leser gewinnen. Durch die gute Resonanz zum Start sind Leser auf die „Frankfurter Rundschau“ aufmerksam geworden, die sich womöglich jahrelang nicht mit dieser Zeitung beschäftigt haben. iPad-Nutzer sind in der Regel Menschen mit hoher Technik-Affinität und hohem Anspruch an Qualität. Wir müssen daher technisch Anspruchsvolles anbieten und gleichzeitig das Profil der Marke auf die neue Plattform tragen. Unsere Blattreformen kommen dem entgegen: hintergründigere Reportagen, große Texte, die Art, wie wir Themen in mehreren Erklärstücken aufarbeiten – das sind hervorragende Vorlagen für das iPad.
Wie haben Sie festgelegt, was die App kosten soll?
Beim Einzelpreis haben wir uns an den im App-Store vorgegebenen Kategorien orientiert. Wir haben uns für 79 Cent pro Ausgabe entschieden, weil wir diesen Preis für den Beginn des Angebots als angemessenes Minimum betrachten. Abo-Modelle wollen wir kurz vor Weihnachten anbieten, für 17,90 Euro im Monat – und 9,90 Euro für die Abonnenten unserer Printausgabe.
Im Gegensatz zu vielen anderen Apps erfordert die Nutzung der FR-App sowohl vertikales als auch horizontales Scrollen. Warum?
Das Navigieren in beide Richtungen erschien uns als die intuitivste Form der Nutzung. Die Leser geben uns recht und sind von den Möglichkeiten der App begeistert. Zudem bieten wir auch einen Lesemodus im Hochformat an. Damit halten wir uns technisch zudem die Option offen, einen Suchmodus zu integrieren. Kritik gab es anfangs ausschließlich am hohen Dateivolumen. Das haben wir inzwischen durch technische Optimierung halbiert, auf etwa 80 bis 90 MB. Damit ist auch die Kritik verschwunden.
Wie wichtig sind Bewegtbild-Elemente für das iPad?
Sehr wichtig. Überregionale Video-Inhalte integrieren wir daher sehr gezielt, aber auch dosiert. Wir betten alle Bewegtbilder in die App ein, so dass unser Angebot immer auch offline – etwa im Zug – nutzbar ist. Daher müssen wir uns bei der Menge der Videos beschränken. Lokal haben sich unsere Fotoreporter für die Audioslideshow entschieden. Das kommt unserer Art des Geschichtenerzählens entgegen. Das Format ist ruhiger, entspannter, erzählerischer als bei Videos und deshalb besonders gut für das iPad geeignet – auch als Unterscheidungsmerkmal zu unseren Online-Angeboten.
Wie groß ist das Bedürfnis des Nutzers nach Interaktivität?
Das ist sehr groß, und da müssen wir auch nachlegen – also z. B. die Möglichkeit zur Verlinkung auf die sozialen Netzwerke, zu Weiterempfehlungen usw. Wir werden hier in den nächsten Monaten weitere Schritte erleben, auch eine Push-Funktion soll kommen.
Welche Rolle spielen regionale Themen in Ihrem Konzept?
Im Unterschied zur Printausgabe mit verschiedenen Ausgaben von maximal acht Seiten Regionales in der Deutschlandausgabe bis 24 Seiten in den Regionalausgaben – haben wir beim iPad nur eine Ausgabe. Ich will nicht ausschließen, dass es künftig auch mehr regionale Inhalte geben kann. Eine Differenzierung des Angebots ist aber erst dann sinnvoll, wenn mehr Geräte im Markt sind.
Der „Kölner Stadt-Anzeiger“, ebenfalls DuMont, hat eine eigene APP gestartet. Lief das getrennt?
Was die redaktionelle Konzeption betrifft, weitgehend ja. Technisch nutzen wir das gleiche Betriebssystem, arbeiten beide mit Woodwing. Der technische Dienstleister ist in beiden Fällen die DuMont Net. Da wir unterschiedliche Märkte ansprechen – die FR hat auch eine große überregionale Leserschaft, der KStA ist regional orientiert – können die Gesellschafter, die uns beim iPad sehr ermutigt haben, Erfahrungen mit zwei Modellen sammeln. Das kann in dieser frühen Marktphase kein Schaden sein. Wir werden uns aber immer wieder anschauen, was wir gemeinsam machen können und was wir getrennt machen müssen.
Und was raten Sie Kollegen, die auch eine App planen?
Sie sollten nicht überlegen, wie sie die Zeitung aufs iPad kriegen, sondern nachdenken, wie sie selbst das iPad gerne nutzen würden.
Erschienen in Ausgabe 12/2010 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 64 bis 64 Autor/en: Interview: Annette Milz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.