„Morgen ist schlecht, da stehen zwei BGH-Entscheidungen an, und, ach, dann ist ja auch wieder Kachelmann … Am Donnerstag kann ich auch nicht, da geht der Prozess gegen Verena Becker weiter …“ Termine finden mit Karl-Dieter Möller – eine Herausforderung. Wir einigen uns auf einen Samstag, den Tag, an dem Möller sich seinem Garten widmen könnte. Er hofft aber auf Regen – „dann schalten mehr Leute den Ratgeber Recht ein“.
Die nächste Woche sieht garantiert genauso aus. Volljurist Möller genießt 17-Stunden-Arbeitstage, wenn er um halb sechs los muss zum Oberlandesgericht Stuttgart, bis zum „Nachtmagazin“ live verfügbar bleibt und bis dahin nur von einem Apfel lebt. So könnte er ewig weitermachen, wenn nicht das Unfassbare nahte: Karl-Dieter Möller, Rechtsexperte der ARD, WISO-Mitbegründer, Grimmepreisträger und seit 1986 Leiter der damals beim SDR gegründeten und heute noch bundesweit einzigen ARD-Rechtsredaktion – Karl-Dieter Möller geht am 1. Dezember in den Ruhestand, nach 24 Jahren Redaktionsleitung oder, wie er es ausdrückt, „nach zwei Verfassungsrichterperioden“.
ARD-Zuschauer dürfte das ähnlich heftig erschüttern wie damals, als Karl-Heinz Köpcke den Sprechersessel der „Tagesschau“ räumte. Der nette Herr Möller mit der runden Brille, dem Schnurrbärtchen und der westfälischen Klangfarbe, zugeschaltet aus Karlsruhe vor dem klobigen Gerichtsgebäude, war eine Institution. Spricht man Möller darauf an, dass man quasi mit ihm aufgewachsen sei, muss er lachen und erzählt, dass der Europäische Gerichtshof den Ruhestand mit 65 für eine zulässige Form der Altersdiskriminierung hält.
Dabei gibt er gern den alten Hasen, beruhigt junge Mitarbeiter, wenn die aufgeregt aus Mannheim anrufen, weil angeblich der Kachelmann-Prozess jede Minute platzt, oder gibt ratsuchenden Kollegen von der Konkurrenz auch mal eine Einschätzung.
In Möllers Redaktion arbeiten nur Volljuristen, ohne Staatsexamen braucht sich dort keiner zu bewerben. „Jeder Redakteur muss sich in jedes Rechtsthema innerhalb von zwei bis drei Stunden einarbeiten können“, sagt Möller, und das gilt auch für ihn selbst: Von Haus aus Verfassungsrechtler, beantwortet er im „Ratgeber Recht“ Fragen wie: Ist im Wald alles umsonst? Oder: Müssen Anwohner mehr zahlen, wenn die Stadt die Straße vor dem Haus saniert? Solche Fälle kommen oft auch von Zuschauern, an denen man ja „nicht vorbeisenden“ könne.
So entscheidet er auch, welche BGH- oder Verfassungsgerichtsurteile es als 90-Sekünder in die „Tagesschau“ schaffen. Die Redaktion von ARD-aktuell habe ihm da als Korrektiv immer geholfen: „Die fragen nie: Welche verfassungsrechtliche Bedeutung hat das Urteil? Sondern immer: Wie viele Leute betrifft das?“
Möllers Königsdisziplin.
Vereinfachen, erklären, anschaulich machen – und sei es, wie im „Ratgeber“, in Comic-Form: Für Möller ist das die Königsdisziplin.“Ich bin in erster Linie Journalist“, sagt er. Am liebsten wäre er noch näher dran: „Wir müssen öfter in die Amtsgerichte, in die Arbeitsgerichte. Dort sehen wir, was wirklich schiefgeht in den Betrieben.“ Und dort schärfe ein guter TV-Rechtsexperte sein Gespür für Unrecht, damit er für die Bürger kämpfen könne.
Möller ist nicht der Typ, der das offen sagen würde, doch der Boulevard ist ihm suspekt. Sein ironischer Kommentar „Zu Kachelmann muss ich nicht, da sind ja genug Fachjournalistinnen“ ist nicht ohne Echo verhallt. Mit ARD-aktuell-Chef Kai Gniffke entschied er, dass die „Tagesschau“, dem Hype zum Trotz, erst vom zweiten Prozesstag berichten sollte, als die Anklage vorlag. Vor der Urteilsverkündung wird Kachelmann dort wohl auch nicht mehr auftauchen. „Bis dahin ist das Thema in Brisant gut aufgehoben.“
Lehren und ein Wunsch zum Abschied.
Der Prozess ist auch ein Lehrstück in Litigation-PR (siehe „medium magazin“ Nr. 9/2010) – dem Versuch cleverer Agenturen, ihre Mandanten in der Öffentlichkeit reinzuwaschen und so die Richter unter Druck zu setzen. Gerichtsjournalisten, sagt Möller, sollten sich nicht „die Ohren vollblasen lassen“ – auch dann nicht, wenn der Boulevard Köpfe rollen sehen will. Einflüsterer hätten es leicht: Viele Journalisten, die nur ab und zu aus dem Gericht berichteten, seien juristische Laien. Die ließen in ihrer Verunsicherung oft einfach Verteidiger oder Staatsanwälte reden „und ordnen das nicht ein“.
Für solche Patzer hat er noch Verständnis. Aber über ein n-tv-Team regt er sich bis heute auf. Als Roman Herzog dem Verfassungsgericht vorsaß, durften die Kamerateams nach dem Aufruf zur Sache noch zehn Minuten durch eine Scheibe filmen, ohne Ton. Einmal ließ n-tv die Kamera einfach an und sendete live aus der Verhandlung. „Und uns, die wir uns an die Gesetze gehalten haben, hat man als Schlafmützen verhöhnt.“ Die Sache hatte Konsequenzen: Heute bleiben die Kameras bis zur Urteilsverkündung aus. „Wenn ich mir heute die alten Bilder angucke, wie Lafontaine am Pult sprach und die Richter sich in der Scheibe spiegelten – das kriegen Sie heute gar nicht mehr.“
Dafür kriegt er Statements exklusiv, das sei der Vorteil, wenn man etwas bekannter sei. „Nach einem Urteil stürzt sich die ganze Meute auf die Politiker. Auf mich kommen sie zum Teil von sich aus zu.“
Die Schalte nach Karlsruhe ist in den letzten Jahren immer wichtiger geworden, seit Gesetze dort eher landen als im Vermittlungsausschuss. „Heute ist ein Gesetz ja noch nicht mal fertig, da ruft die Gegenseite schon: Wir gehen nach Karlsruhe!“ Spielt sich das Verfassungsgericht als Nebenregierung auf? „Wer sich über eine Nebenregierung beklagt, sollte sich fragen, ob er selbst nicht hätte besser arbeiten können.“ Und er erinnert an die Autorität der höchsten Gerichte, die noch nicht Opfer von Politik- oder Systemverdrossenheit sind. „Die Urteile werden akzeptiert und stiften Frieden.“
Zum Abschied wünscht Möller sich, dass die ARD ihre Rechtsredaktion bundesweit einsetzt – so wie das ZDF. „Die Regionalisierung wirft die ARD zurück: Prozesse in Köln macht der WDR, Verfahren in München der BR.“ Er habe zudem „dicke Bretter gebohrt, damit wir auch die europäischen Gerichte in Luxemburg und in Straßburg machen können“ – bislang vergeblich. Vielleicht kommt sein Nachfolger Frank Bräutigam (34) da weiter.
Karl-Dieter Möller bleibt den SWR-Zuschauern als Kommentator der Sendung „Marktcheck“ erhalten. Und daheim in Ettlingen will er jetzt endlich die Terrasse neu fliesen.
Erschienen in Ausgabe 10+11/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 32 bis 33 Autor/en: Daniel Kastner. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.