Liebe Kolleginnen und Kollegen, falls Ihr Euch jemals gefragt habt, wo der Staat das ganze Geld hernimmt, das er an die Hypo Real Estate oder an das bankrotte Griechenland bezahlt – hier ist eine von vielen Antworten. Von mir zu Beispiel. Just im Moment der größten Bankenkrise der Nachkriegszeit überfiel mich eine Betriebsprüfung des Finanzamtes, über insgesamt zehn Jahre selbstständige journalistische Tätigkeit.
Recherchen als Privatvergnügen?
Während Angela Merkel vor den Fernsehkameras der Welt mühsam um Fassung rang, verlor ich im Herbst 2008 auf dem Finanzamt Köln die Nerven. Weil eine Betriebsprüferin unter anderem nicht verstehen wollte, dass ich 2002 das Buch „Herr Lehmann“ von Sven Regener zu beruflichen Zwecken erworben hatte. „Schönes Buch“, sagte die Prüferin, „hab ich auch gelesen, das ist aber Privatvergnügen.“ „Nö“, sagte ich, „Sven Regener habe ich für chrismon porträtiert und später in meine Talkshow Tacheles eingeladen. Das war beruflich!“ Schweigen. „Aber Vergnügen hatten Sie trotzdem.“ Und wieder waren 28,51 Prozent aus dem Anschaffungspreis von 18,90 Euro für den Staatshaushalt gerettet. Der Staatshaushalt wurde nämlich zeitgleich mit 20 Milliarden Euro belastet, Überweisung an die Commerzbank.
Für mich, die ich mich bisher für eine erfolgreiche und halbwegs gut organisierte Journalistin gehalten hatte, war dies ebenfalls die größte Krise meiner Berufsbiografie.
Inzwischen habe ich meine Nerven wieder gefunden und ein Buch über dieses vollkommen absurde Steuersystem geschrieben. Habe sympathische, kreative Betreiber einer Kleinkunstbühne interviewt, bei denen Finanzbeamte allen Ernstes die Kaffeepackungen und die Yogiteebeutel nachgewogen haben, um ihnen Steuerhinterziehung vorzuwerfen. Erfolglos übrigens, aber der Laden stand durch den Prüfungsstress kurz vor der Schließung. Habe einen Lehrer getroffen, der seitenlange Exceltabellen erstellte, um dem Finanzamt zu beweisen, dass er seine Lokalzeitung zum Privatvergnügen liest, die „Financial Times“ aber wirklich nur zur Unterrichtsvorbereitung. Kurzum – das Finanzamt quält nicht nur uns JournalistInnen. Aber zwischen dem Finanzamt und uns Medienleuten gibt es einen Clash of Cultures.
Aus mindestens drei Gründen, so war es jedenfalls bei mir: Meine Unterlagen entsprachen nicht dem, was eine Finanzbeamtin unter ordentlicher Buchführung versteht – und das, obwohl ich immer einen Steuerberater hatte.
Meine Art journalistisch zu arbeiten, nämlich auch über meine eigenen Kinder zu schreiben, meine Familie, geht gar nicht beim Finanzamt, Privates und berufliches muss strikt getrennt sein. Und der journalistische Berufsalltag, mit Interviews auch mal am Sonntag, mit Auftraggebern, die reihenweise pleite gehen – der passt so gar nicht in die Vorstellungswelt einer Finanzbeamtin, die von 8 bis 17 Uhr in ihrem Büro sitzt, und das ein Leben lang.
1. Die Tücken der Buchführung.
Zum ersten Punkt nur kurz: Wer seine Buchführung über Jahrzehnte komplett hat und von allen Reisekostenabrechungen noch Kopien, kann diesen Absatz überspringen. Bei mir war es so: Ich bekam im Sommer 2008 den Bescheid zur Betriebsprüfung über drei Jahre (2004, 2005, 2006) und trug voller Gottvertrauen alle Belege zum Finanzamt, ich hatte ein reines Gewissen.
Schnell wurden zwei Fehler klar, die jeder leicht vermeiden kann. Ich hatte immer nur ein Girokonto, für berufliche und private Zwecke. Folge: Die Beamtin prüfte alle – ALLE! – Buchungen mit einem + davor. Also auch Überweisungen meines Freundes mit dem Überweisungszweck „Weinundliebe“. Nicht schlimm, aber peinlich.
Größerer Fehler: Ich hatte Zuschüsse der VG Wort zu meiner Altersversorgung beim Presseversorgungswerk nicht als Einnahme verbucht. Ich dachte, das verrechnet sich mit Angaben zur Altersversorgung. Dieser Fehler – immerhin ging es jährlich um über 2.000 Euro – trug mir ein Strafverfahren ein und die Ausdehnung der Prüfung auf die Jahre 1996 bis 2006 – also elf Kalenderjahre (das Maximum einer Betriebsprüfung). Katastrophe! Damit zum zweiten Punkt:
2. Die Tücken der Themen.
In diese elf Jahre fielen bei mir eine Hochzeit, eine Fehlgeburt, zwei Geburten, eine Scheidung, eine neue Liebe und ein Verlust des Arbeitsplatzes. Ich habe das alles gut überlebt – nicht zuletzt, weil ich als Kolumnistin bei der „Brigitte“ und bei der „Woche“, als Buchautorin über Liebe und Familie, über viele dieser Lebensthemen schreiben konnte. Genau das wurde vor dem Finanzamt zum Verhängnis.
Zum Beispiel konnte ich, als mein Sohn Leo sechs war, eine Geschichte für „Focus Schule“ schreiben, über Städtereisen mit Kindern. Ich fuhr mit ihm nach Hamburg, übernachtete im Hamburger Hafen auf einem Feuerschiff, erkundete mit ihm die Stadt, besuchte noch kurz meine damalige Stammredaktion, die „Brigitte“, und fuhr wieder heim. Ausgaben: 183 Euro für Bahn und Hotel. „Das ist doch Ihr Sohn auf dem Ticket!“ Ja klar, steht ja auch im Artikel. Hätte ich ihn zur Adoption frei geben sollen und am Dammtorbahnhof einen anderen kleinen Forscher kidnappen? Ja, steuerlich wäre es besser gewesen. Eigenes Kind auf dem Ticket, gleich Privatvergnügen.
Aus demselben Grund strich mir die Prüferin auch Bahnreisen an meinen Heimatort Ravensburg. Da hatte ich mir nach der Geburt von Leo mit viel Mühe einen Lehrauftrag gesucht, damit ich arbeiten konnte, während meine Eltern auf das Baby aufpassten. „Kinder auf dem Bahnticket sind immer ein Ausschluss-Kriterium“, sagte die Prüferin, „und ihre Eltern hätten Sie ja sowieso mal besuchen müssen.“
Das betrifft nicht nur berufstätige Mütter. Ich besuchte im Jahr 1996 eine chinesische Migräneklinik in Bayern (Tipp: Steuerberater empfehlen, man solle seine Kalender mindestens zehn Jahre aufheben, sicherheitshalber lieber 13 Jahre!). Ich hatte vorher gleich zwei Großaufträge an Land gezogen: Kliniktagebuch für „Marie Claire“, große Reportage für „Brigitte“. Um beides in Ruhe schreiben zu können, hatte ich ein Einzelzimmer gebucht, diesen Aufschlag von der Steuer abgesetzt. Im Finanzamt, 13 Jahre später, entspann sich folgender Dialog: „In der Klinik sind Sie ja auch gesund geworden.“ Ich: „Nö, steht doch in dem Artikel, hat gar nicht geholfen gegen die Migräne.“ Sie: „Aber es war Privatvergnügen.“ Vergnügen? Mit den ekligen Kräutertees, die schmecken wie Jauche? Egal, die Kosten flogen raus. Und noch ein Posten und noch einer. Interviews mit Bewirtung am Sonntag? Oder nach 22 Uhr? Raus damit. Plus 6 Prozent Zinsen, jedes Jahr seit 1996.
Ich war es irgendwann leid, mein Leben aus den 90er Jahren aufzurollen und habe am Ende sehr, sehr viel Geld nachbezahlt. Zumal – und damit zum Punkt drei – vieles aus meinem damaligen Leben nicht mehr zu rekonstruieren war.
3. Die Tücken der Nachweise
Was soll man tun, wenn ehemalige Auftraggeber nicht mehr existieren: „Marie Claire“ – pleite. „Die Woche“ – pleite. Und mein Journalistenbüro – längst geschlossen. Ich hatte großes Glück, dass die ordentlichste der Bürogenossinnen noch alle Ordner im Keller hatte, Faxrollen-Einkäufe, Klopapier, Telefonabrechungen. Aber Finanzämter hätten offenbar lieber eine alte Lohnbuchhaltung mit Ärmelschonern. Jedenfalls fahndete die Prüferin in den Leitzordnern lange nach einem nicht vorhandenen „Auflösungsvertrag“.
Ja nun, als unser Büro sich auflöste, weil der eine Kollege beim Deutschlandfunk anfing und die andere doch Lehrerin wurde, da machten wir zwar eine Schlussabrechnung und teilten die Malerrechung durch fünf. Aber es fehlte ein Vertrag.
Mein Fehler.
Was ich daraus gelernt habe: Ja, ich habe Fehler gemacht – zum Beispiel alle meine sechs Journalistenpreise nicht versteuert. Schön blöd. Die Zinsen, die ich jetzt dafür bezahlt habe, haben das Preisgeld von damals aufgefressen. Aber ich bin sicher: Wäre ich die Sorte Mensch, die sich das Finanzamt vorstellt, hätte ich diese Preise gar nicht erst gewonnen.
Tipp:
„Total besteuert. Wie ich einmal ganz alleine den Staatshaushalt retten sollte“ von Ursula
Ott erscheint Ende September bei dtv. 160 Seiten, 7,90 Euro. Leseprobe und Infos unter www.totalbesteuert.com
Erschienen in Ausgabe 09/2010 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 48 bis 49. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.