Kollateralschaden

76 Journalisten wurden nach Angaben der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ allein im Jahr 2009 weltweit getötet. Vor allem in Krisenregionen werden Reporter immer häufiger Ziel von Gewalttaten und Entführungen. Recherchen in Afghanistan, Irak, Iran, Birma, Jemen oder Gaza werden für Journalisten häufig zur Tour de Force.

Unsere Studie zur aktuellen Situation und den Potenzialen des Krisenjournalismus (s. Kasten) kommt zu ernüchternden Ergebnissen: Eine seriöse Aufklärungsarbeit ist immer weniger gewährleistet. Reporter sind im Krisengebiet meist auf sich gestellt. Fast ausnahmslos nannten die Befragten gravierende Mängel bei der handwerklichen Vorbereitung und Betreuung von solchen Einsätzen. Das wirkt sich zunehmend nachteilig auf die Berichterstattung in deutschen Medien aus.

Steigender Wettbewerbs-, Zeit- und Spardruck sorgen für eine weitere Verschärfung der Situation: Wenn es sich eine Redaktion überhaupt noch leistet, Reporter in Krisengebiete zu entsenden, bleibt vor Ort selten Zeit für sorgfältige Recherchen. Dabei sollten gerade in einer von Naturkatastrophen, Kriegen und Terroranschlägen gebeutelten Welt fundierte journalistische Angebote Überblick, Einordnung und eben jenen Halt bieten, der in solchen Zeiten des emotionalen Durcheinanders so schnell verloren geht. Bei der Befragung der führenden Auslandsreporter zeigten sich vier zentrale Trends, die einen dringenden Handlungsbedarf offenbaren:

Krisenreporter sind immer häufiger selbst das Ziel von Gewalt: Ob diktatorische Regime, Paramilitärs, Terroristen, Freiheitskämpfer oder Aufständische – alle wollen ihre Sicht der Dinge dem Rest der Menschheit aufzwingen und unabhängige Nachrichtenquellen zum Schweigen bringen. Journalisten werden in Ländern wie Irak und Afghanistan von bewaffneten Gegnern nicht mehr als neutrale Beobachter wahrgenommen, sondern mitverantwortlich gemacht für die Politik ihres Landes, wie es Susanne Koelbl („Spiegel“) bei ihren vielen Kriseneinsätzen beobachtet hat. Oder Medienvertreter werden als lukrative Entführungsobjekte missbraucht, fürchtet Reiner Luyken („Zeit“). Mord ist mittlerweile die Haupttodesursache von Journalisten in vielen Krisenregionen. Um die Bedrohung von Leib und Leben nicht durch Unerfahrenheit und Risikobereitschaft der Reporter weiter zu erhöhen, fordern einige Befragte eine verpflichtende Teilnahme an psychologischen und physischen Sicherheitstrainings, wie sie zum Beispiel von der Bundeswehr im fränkischen Hammelburg oder privaten Dienstleistern in Großbritannien angeboten werden.

Kriseneinsätze gelten als Karrieresprungbrett – mit fatalen Folgen: Vor allem junge, ambitionierte Kollegen zieht es in Unruheregionen, ohne dass sie für die Ausnahmesituation ausreichend gewappnet wären – sowohl psychisch als auch handwerklich. Hinzu kommt: Für Nachwuchsjournalistinnen sind Auslandskorrespondenzen in Krisenregionen eine seltene Gelegenheit, um geschlechtsspezifische Nachteile innerhalb der Redaktionshierarchien zu überwinden. Auch aus diesem Grund sieht die freie Reporterin Susanne Fischer eine erhöhte Risikobereitschaft bei ihren eigenen Kolleginnen – die im Regelfall nicht einhergeht mit der erforderlichen Vorbereitung. Ein weiterer Trend: Nur noch wenige Berichterstatter halten sich länger in Krisengebieten auf, um Land, Leute und deren kulturbedingte Probleme näher kennen zu lernen. „Es reicht nicht, einfach nur kurz vorbeizukommen“, betont Christoph Reuter („stern“). Wer jedoch nur für einige Tage oder Wochen eingeflogen wird, muss zwangsläufig ins kalte Wasser springen. Ein Zusammenschluss aus erfahrenen und jüngeren Reportern, zum Beispiel in Form einer Task Force, könnte einem Mangel von entsprechender Aus- und Fortbildung entgegenwirken: Erfahrungsaustausch sei das A und O, betont Maike Rudolph (NDR). Denn, so sagt Antonia Rados (RTL): „Die größten Katastrophen für Reporter geschahen, weil sie sich auf ihren Bauch verließen.“ (s. a. Interview Seite 68 f.)

Krisenberichterstattung mutiert zum Knalleffekt. Diese Entwicklung wird beschleunigt durch die sich zuspitzende wirtschaftliche Schieflage in der Medienbranche. Ob Haiti, Jemen oder Afghanistan: „Durch neue Medien wie Twitter, Blogs, Videos, die quasi in Echtzeit ins Netz eingespielt werden, kommt noch einmal eine neue Geschwindigkeit in die Berichterstattung und verstärkt den Trend, dass erfolgreich und erwünscht ist, was knallt und raucht“, sagt Susanne Koelbl vom „Spiegel“. Das habe es früher so extrem nicht gegeben. Konzentrierte, investigative Recherche sei heutzutage für viele Kollegen im Tagesgeschäft fast unmöglich geworden, sagt auch Souad Mekhennet (u.a. „New York Times“, ZDF). Susanne Fischer spricht gar von einem „Verdrängungswettbewerb der Konflikte“. So sei der Irak wieder allzu bald aus dem Blickfeld geraten, obwohl sich die Krisensituation im Nahen Osten kaum geändert habe. Die Folge der Stakkato-Berichterstattung der aktuellen Medien wie Fernsehen und Tageszeitungen: Horrormeldungen werden schnell langweilig. „Das sind Dinge, die keine Sau mehr interessieren“, so Reiner Luyken von der „Zeit“. Doch das quoten- und schlagzeilenträchtige Spektakel zählt mehr, als die unaufgeregte Analyse. Gleichzeitig führt die ungeheure Intensität medialer Aufmerksamkeit rasend schnell zur Übersättigung. Diese Entwicklung erschwert die Arbeit von Krisenreportern zusätzlich. „Manchmal würde man sich ein bisschen mehr Nachdenken wünschen“, sagt Ariane Reimers (ARD). Die Medien, die ernsthaft um Qualitätsjournalismus bemüht sind und damit um die Sicherung ihres eigenen Fundaments, dürfen gerade nicht an der rechercheintensiven Kriegs- und Krisenberichterstattung sparen. Sonst greifen besorgniserregende Trends weiter um sich – z.B., dass gestresste Korrespondenten Hören-Sagen als nachrichtlichen Fakt verkaufen, Recherchen an einheimische „Stringer“, an Informanten delegiert werden, deren Zuverlässigkeit aber nicht garantiert werden kann. Oder dass Berichte aus tausende Kilometer entfernten Redaktionsbüros abgesetzt werden, obwohl nur eine Vor-Ort-Recherche eine korrekte Wiedergabe der Lage ermöglichen könnte. Die Gefahr fataler Fehleinschätzungen wächst um so mehr, weil auch die Sachkenntnis in den Heimatredaktionen mangels Spezialisten für die meist komplexen Themen nicht mehr gewährleistet ist: Der freie Fernsehjournalist Christoph Maria Fröhder, der für die ARD u.a. aus den beiden Irak-Kriegen berichtet hat, meint, er kenne viele Redaktionen, in denen gar nicht mehr über Inhalte gesprochen werde. „Da steht nur das Bewältigen des aktuellen Themas im Vordergrund.“ Das verstärkt eine absurde Tendenz: Eigene Analysen der Korrespondenten vor Ort und Themenansätze, die von den Ticker-Nachrichten der Agenturen abweichen, seien kaum noch durchsetzbar, so Fröhder.

Auslandskorrespondenten wandeln sich von Krisendeutern zu Moderatoren: Dank Social Networks, Blogs und Twitter werden auch Nachrichten aus Kriegs- oder Katastrophengebieten schneller, ungeschützter und scheinbar authentischer veröffentlicht – wie die Massenunruhen im Iran eindrucksvoll gezeigt haben. Das macht professionelle Krisen-Berichterstattung nicht überflüssig, sondern im Gegenteil: Analyse und Einordnung werden umso wichtiger.

Doch die Videos und Fotos von Laien via Handy und Internet beschleunigen den Informationskreislauf immens. Redaktionen wie Korrespondenten geraten zunehmend in die Situation, sich mehr mit Augenzeugenberichten und Nutzervideos beschäftigen zu müssen, als selbst in Krisenregionen recherchieren zu können. „Die Nachrichten werden dadurch anonymisiert und damit manipulierbarer“, kritisiert unter anderen Gerhard Kromschröder (ehem. „stern“). Hinzu kommt eine ungebändigte Flut an Propagandainhalten, die von Regierungen, Konfliktparteien und Terroristen gezielt über das Internet gestreut werden – natürlich mit dem Ziel, Fehlinforma
tionen zu verbreiten. ZDF-Krisenexperte Elmar Theveßen betont: „Die Gefahr steigt, dass wir Fehler begehen – weil wir im Wettbewerb glauben, wir müssten jetzt unbedingt diese Bilder auch senden und könnten darauf nicht verzichten. Dabei müssten wir sicherstellen, dass wir eben nicht mitschwimmen.“

Das Gefühl für den Nachrichtenwert geht verloren: Wenn im akuten Krisenfall das Chaos regiert, muss Klarheit herrschen, wie Medien in ihrer Berichterstattung mit dem unbegreiflichen Leid oder den lebensbedrohlichen Gefahren umgehen sollten.

Stattdessen entscheidet jeder Journalist, jede Redaktion auf eigene Faust über die Grenzen des Zumutbaren. Allzu häufig kommen nur noch oberflächliche Kriterien wie Ereignisgröße und Betroffenheit zum Tragen, welche die Wahrheitsfindung innerhalb der Krisenberichterstattung erheblich erschweren. Die Gier nach schnellen Nachrichten aus Krisengebieten führt zu Vereinfachung, zu vorschnellen Ursachen- und Schulddeutungen.

Ein weiterer Negativtrend: Wo harte Fakten fehlen, berichten Reporter über sich selbst. Was Authentizität und Nähe vorgaukeln soll, wird vom Gros der Befragten als Unsitte bezeichnet, die vom eigentlichen Thema ablenke und eher ein Zeichen für die Kapitulation der Medien vor der Krise sei.

Fazit: Krisenjournalismus als unabhängige Orientierungs- und Aufklärungsinstanz braucht dringend redaktionelle Richtlinien, die eine fundierte Berichterstattung garantieren – etwa nach dem Vorbild der entsprechenden BBC-Regeln. Bis dahin scheint es aber noch ein weiter Weg. Ariane Reimers (ARD) steht daher nicht allein, wenn sie sagt, es müsse jetzt stärker eingefordert werden, Reporter wie Heimatredaktionen besser auf die Berichterstattung über Krisen vorzubereiten. Das wäre immerhin ein wichtiger, überfälliger Schritt.

Erschienen in Ausgabe 04+05/2010 in der Rubrik „Special“ auf Seite 48 bis 49. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.