Regeln für die Staatsferne

Womit Roland Koch laut Dieter Dörr recht hat:

Der hessische Ministerpräsident hat durchaus recht, wenn er darauf hinweist, dass die Verwaltungsratsmitglieder bei der Beschlussfassung nur die Rechte wahrgenommen haben, die ihnen nach dem ZDF-StV (ZDF-Staatsvertrag) zustehen.

Die ablehnenden Stimmen im Verwaltungsrat bleiben auch dann wirksam, wenn ihnen illegitime Motive zugrunde liegen sollten. Es liegt nämlich außerhalb der Möglichkeiten des Rechts, illegitime Motive zu verhindern.

Wie die Wirkung illegitimer Motive zu begrenzen ist:

Die Rechtsordnung kann Vorkehrungen für bestimmte Fallgruppen treffen, bei denen sachfremde Erwägungen zu besorgen sind. Zudem sollen die Mehrheitserfordernisse gewährleisten, dass illegitime Motive Einzelner nicht ungehindert zum Zuge kommen.

Es geht also um das Problem, wie die Gremien unter Berücksichtigung der Rundfunkfreiheit und dem daraus abzuleitenden Grundsatz der Staatsferne zu besetzen sind.

Was der Grundsatz der Staatsferne besagt:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Gesetzgeber verpflichtet, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten so zu organisieren,

* dass der Rundfunk nicht einer oder einzelnen gesellschaftlichen Gruppen ausgeliefert wird,

* dass die in Betracht kommenden Kräfte im Gesamtangebot zu Wort kommen können und

* dass der Rundfunk auch nicht mittelbar staatlich dirigiert werden kann. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt, dass der Staat den Rundfunk nicht beherrschen bzw. dominieren darf.

Der Fernsehrat und der Verwaltungsrat sind beim ZDF die beiden entscheidenden Gremien.

Wie wenig staatsfern der ZDF-Fernsehrat besetzt ist:

Beim ZDF besteht der Fernsehrat aus insgesamt 77 Mitgliedern.

19 sind direkte staatliche Vertreter, wovon 16 von den vertragsschließenden Ländern und drei vom Bund entsandt werden. Diese Zahl staatlicher Vertreter ist für sich allein, betrachtet am Maßstab des Beherrschungsverbots, noch nicht bedenklich, zumal es um eine Mehrländeranstalt und damit föderal gebrochene Macht geht. Es ist aber notwendig, die anderen Fernsehratsmitglieder daraufhin zu untersuchen, ob und inwieweit sie dem Staat zuzurechnen sind.

Zwölf Vertreter der politischen Parteien: Der ZDF-StV sieht vor, dass dem Fernsehrat zwölf Vertreter der politischen Parteien entsprechend ihrem Stärkeverhältnis im Bundestag angehören. Daher ist zu klären, ob der Grundsatz der Staatsferne auch gegenüber politischen Parteien gilt. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht eingehend Stellung genommen. Demnach sind die Vertreter der politischen Parteien im Fernsehrat dem Staat zuzurechnen und bei der Frage mit zu berücksichtigen, ob eine staatliche Dominanz zu besorgen ist.

Weitere 16 Vertreter aus zwölf Bereichen werden durch die Ministerpräsidenten berufen. Maßstäbe für die Auswahl werden nicht vorgegeben. Dadurch besteht zumindest die Gefahr eines staatlichen bzw. parteipolitischen Einflusses. Dies rechtfer-tigt es, auch diese Vertreter dem Staat zuzurechnen.

25 Vertreter von Verbänden und Organisationen, die jeweils Dreiervorschläge aufzustellen haben. Einen aus jedem Dreiervorschlag wählen die Ministerpräsidenten aus. Auch dieses Berufungsverfahren bringt jedenfalls die Gefahr staatlichen und politischen Einflusses mit sich.

Hinzukommt, dass die insgesamt drei Vertreter, die der Deutsche Städtetag, der deutsche Städte- und Gemeindebund sowie der Deutsche Landkreistag vorschlagen dürfen, in jedem Fall dem Staat zuzurechnen sind.

Fünf Kirchenvertreter (von der katholischen und der evangelischen Kirche sowie dem Zentralrat der Juden in Deutschland entsandt): Sie sind die einzigen Fernsehratsmitglieder, die ohne die Gefahr staatlichen Einflusses bestimmt werden.

Die Konsequenz: Der Fernsehrat muss staatsferner besetzt werden

Damit steht fest, dass selbst bei Anlegung großzügiger Maßstäbe die Gefahr eines bestimmenden staatlichen Einflusses besteht. Die Zusammensetzung des Fernsehrates bedarf daher einer erheblichen Nachbesserung.

Der Grundsatz der Staatsferne muss auch für den Verwaltungsrat gelten …

Das Bundesverfassungsgericht hat dazu zwar noch nicht ausdrücklich Stellung genommen, dies ist aber beim Verwaltungsrat des ZDF im Hinblick auf dessen gewichtige Aufgaben zweifellos der Fall. So können der Chefredakteur und der Programmdirektor vom Intendanten nur im Einvernehmen mit dem Verwaltungsrat bestellt werden. Sowohl dem Chefredakteur als auch dem Programmdirektor kommt bei der Programmgestaltung entscheidende Bedeutung zu.

… doch der ZDF-Staatsvertrag wird dem nicht gerecht:

Sechs direkte staatliche Vertreter von insgesamt 14 (fünf von Landesregierungen, einer vom Bund) könnte man eventuell noch für hinnehmbar halten.

Bei den acht vom Fernsehrat zu wählenden Mitgliedern wirkt sich die zu beanstandende Zusammensetzung des Fernsehrates aus. Angesichts dessen staatsnaher Besetzung ist die Gefahr staatlichen Einflusses bei der Wahl der Verwaltungsratsmitglieder nicht ausgeschlossen.

Was zu tun ist:

Das eigentliche Problem, das sich bei den Diskussionen um eine erneute Berufung von Nikolaus Brender zum Chefredakteur des ZDF offenbarte, liegt also in der staatsnahen Zusammensetzung des Verwaltungsrates. Diese hat ihre entscheidende Ursache wiederum in der verfassungswidrigen Zusammensetzung des Fernsehrates. Insoweit bedarf der ZDF-StV dringend einer Nachbesserung, um den verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht zu werden.

Wie ein Normenkontrollverfahren ausgehen könnte:

Wenn es an seine bisherige Rechtsprechung anknüpft, wird das Bundesverfassungsgericht eine Gremienzusammensetzung wie im ZDF-Staatsvertrag für unvereinbar mit der Rundfunkfreiheit erklären. Es wird aber keineswegs die politischen Parteien von jeder Mitwirkung in den Gremien ausschließen.

Die Lager im ZDF-Verwaltungsrat

Wer der SPD angehört oder ihr zugerechnet wird

1. Kurt Beck*, SPD, Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrates, Ministerpräsident Rheinland-Pfalz

2. Matthias Platzeck*, SPD, Ministerpräsident in Brandenburg

3. Ilse Brusis**, SPD, NRW-Arbeitsministerin a.D.

4. Roland Issen**, SPD, ehemaliger Vorsitzender der DAG

5. Reinhard Scheibe**, SPD, Staatssekretär a. D. in Niedersachsen

Wer der CDU angehört oder der Union zugerechnet wird:

1. Roland Koch*, CDU, stv. Vorsitzender ZDF-VR, Ministerpräsident Hessen

2. Peter Müller*, CDU, Ministerpräsident Saarland

3. Edmund Stoiber*, CSU, Ministerpräsident a. D. Bayern

4. Bernd Neumann***, CDU, Staatsminister für Kultur und Medien

5. Hans-Henning Becker-Birck**, CDU, Landrat a. D.

6. Dieter Beuermann **, Verleger

7. Willi Hausmann** CDU, ehemaliger CDU-Bundesgeschäftsführer

8. Hildegund Holzheid**, Präsidentin a. D. des bayer. Verf.-gerichtshofs und des OLG München, bis 2000 stv. Vorsitzende der Frauenunion Bayern

9. Gerd Zimmermann**, Rektor der Bauhaus-Universität Weimar (wurde 2008 Mitglied im Expertenkreis der CDU Thüringen)

Legende: * Ländervertreter / ** Vom Fernsehrat gewählt / *** Bundesvertreter,

siehe auch ZDF-Darstellung: http://bit.ly/aoeVtL

Der Verwaltungsrat (VR) besteht aus 14 Mitgliedern: fünf Vertreter der Länder und ein Vertreter des Bundes, acht Mitglieder werden vom Fernsehrat gewählt und dürfen weder in einer Regierung noch in einer gesetzgebenden Körperschaft eingebunden sein.

*Der autorisierte Text gibt gekürzt Aussagen des Rechtswissenschaftlers Prof. Dr. Dieter Dörr aus Vorträgen und Aufsätzen wieder (Zusammenstellung und Zwischenüberschriften: Axel Buchholz, „medium magazin“). Siehe auch Interview Seite 56f.

Axel Buchholz ist Journalist und Professor am Journalistischen Seminar der Universität Mainz. Bis 2002 war er Chefredakteur Hörfunk und stv. Programmdirektor beim Saarländischen Rundfunk. Kontakt: autor@mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 03/2010 in der Rubrik „Medi
en“ auf Seite 58 bis 59 Autor/en: Dokumentation Axel Buchholz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.