Stimmt’s?

1. Stimmt‘s, dass die Eigentümer der „Süddeutschen Zeitung“ aufpassen müssen, wen sie als Nachfolger von Hans Werner Kilz installieren?

Nikolaus Brender (ZDF), Sergej Lochthofen („Thüringer Allgemeine“), Hans Werner Kilz („Süddeutsche Zeitung“): Die Zeiten rufen nach Helden im Journalismus. Nach solchen, die unbeeindruckt von äußeren Eingriffen – seien es vorgeblich wirtschaftliche, seien es nachweislich politische – Haltung zeigen, sich nicht verbiegen lassen. In München hält Kilz noch seine schützende Hand über die Redaktion, ganz egal, was die Geschäftsführung, die Gesellschafter gern geändert hätten. Der Wormser kann es sich leisten, mit seinen 66 Jahren, kurz vor Ende seiner letzten Vertragslaufzeit.

Doch was passiert, wenn Kilz, der diese charakterstarke Bande aus Journalisten-Diven seit 1996 erfolgreich zusammenhält, Ende nächsten Jahres die Chefredaktion abgibt? Die natürlichen Nachfolger wären seine beiden Stellvertreter, Kurt Kister und Wolfgang Krach – der eine ein begnadeter politischer Kopf mit exzellenter Schreibe, der andere einer, der sich in der Redaktionsorganisation bewährt. Die Eigentümerin der „Süddeutschen Zeitung“, die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH), hätte sicherlich gerne einen Bequemeren an der Spitze der größten und vielleicht besten deutschen Tageszeitung. Und dann? Wer könnte, würde gehen, heißt es in München. Glaube keiner, ein Kurt Kister, ein Heribert Prantl und mit ihnen weitere, auch jüngere Kollegen, müssten lange warten, bis sie einer ruft. Was bliebe übrig von der DNA der Zeitung? Eben. Dessen muss sich selbst die SWMH bewusst sein.

Das führt zu einer anderen Frage:

2. Stimmt‘s, dass bei der Neubesetzung von Kilz‘ Posten das Mitspracherecht der Impressionisten gefährdet ist?

Dieses Gerücht kursiert, und es fußt auf der Annahme, dass das Redaktionsstatut Mitte 2010 seine Gültigkeit verliert. Dieses Statut regelt seit seiner Einführung im Jahr 1971, dass die sogenannten „Impressionisten“, also die Mitglieder der Chefredaktion, die Ressortleiter und leitenden Redakteure – kurzum alle, die namentlich im Impressum der „Süddeutschen Zeitung“ genannt sind – ein Vetorecht bei der Berufung des Chefredakteurs genießen. Die SWMH hätte keine Möglichkeit, der Redaktion jemanden vorzusetzen, der ihr nicht passt. Im Statut heißt es eindeutig: Der Chefredakteur und seine Stellvertreter werden von der Gesellschafterversammlung bestimmt, die Entscheidung muss der Redaktion begründet werden; widersprechen jedoch mindestens zwei Drittel der Impressionisten, kann eine Berufung gegen den Willen der Redaktion nicht durchgesetzt werden.

Das Statut verlängert sich immer automatisch um fünf Jahre, wenn es nicht ein Jahr vor Ablauf der Fünfjahresfrist von einer der Seiten – Verlag oder Redaktion – gekündigt wird. Der nächstmögliche Kündigungstermin wäre im August 2010, jedoch erst mit Wirkung zum August 2011. Ende 2010 muss Kilz‘ Nachfolger jedoch berufen sein. Das heißt: Selbst wenn ein Richard Rebmann, der Geschäftsführer der SWMH und des Süddeutschen Verlags, oder aber sonst irgendjemand das Statut und damit das Vetorecht der Redaktion abschaffen wollte: Bei der Besetzung von Kilz‘ Nachfolger wird sich die Redaktion auf ihr Statut berufen können.

3. Stimmt‘s, dass sich Bertelsmann-Chef Hartmut Ostrowski innerlich von Gruner+Jahr verabschiedet hat?

So raunt es aus Hamburg, und das, obwohl Ostrowski im März 2008, kurz nach seinem Antritt als Vorstandsvorsitzender des Gütersloher Konzerns – laut und deutlich, wie es seine Art ist – gesagt hat: „Gruner + Jahr steht nicht zum Verkauf.“ Andererseits ist seither viel Zeit vergangen, und die wirtschaftliche Verfassung des Hamburger Magazinverlags hat sich nicht gebessert. Den Wert der Beteiligung hat Bertelsmann ohnehin längst prüfen lassen. Woran werden die aktuellen Behauptungen, Bertelsmann sei G+J überdrüssig geworden, festgemacht?

Bei einer Veranstaltung in Harvard soll sich Ostrowski aufgeführt haben, als sei er der Vertreter einer Finanzholding, berichten Teilnehmer, mancher soll richtiggehend erschrocken reagiert haben. Es sei deutlich geworden, dass Ostrowski von der Strategie des Vorstandsvorsitzenden Bernd Buchholz, kleine Nischenmagazine zu lancieren, nicht wirklich überzeugt ist; die Strategie von Buchholz‘ Vorgänger Bernd Kundrun mit dem schönen Namen „Expand your brand“ soll er für gescheitert erklärt haben. So sagen es welche, die dabei waren. Die Hoffnung, das Zeitschriftengeschäft ließe sich noch einmal ankurbeln, scheint zumindest in Gütersloh nicht groß zu sein.

Dazu kommt Ostrowskis Auftritt vor dem Club Hamburger Wirtschaftsjournalisten. Dort sprach er davon, dass G+J nach dem Verkauf der Russland-Aktivitäten an Springer weitere internationale Geschäfte abgeben könnte. Genau diesen Eindruck wollte der G+J-Vorstand vermeiden. Wie kommt’s, dass der Vorstand von Bertelsmann und der von G+J nicht dieselbe Sprache sprechen? Gibt es Verständnisschwierigkeiten zwischen Buchholz und Ostrowski? Ja, sagt einer, der es wissen muss, und er fügt hinzu: Man wolle nur mit Blick auf Verhandlungen und die Höhe des Verkaufspreises nicht zugeben, dass weitere Auslandsaktivitäten zum Verkauf stehen. Immerhin stand der Rückzug aus Polen, Rumänien oder Tschechien schon auf der Vorlage für eine Aufsichtsratssitzung, bestätigt ein Mitglied der Führungsetage. Am Ende könnten bei G+J nurmehr die ausländischen Kernmärkte Österreich, Frankreich, Spanien und China und ansonsten überschaubares Geschäft in Italien oder den Niederlanden verbleiben.

„Die Braut wird hübsch gemacht.“ – Kaum ist der Satz, der in Gesprächen über G+J in letzter Zeit häufig fällt, gesprochen, folgen Beispiele: die Schrumpfkur, die fehlenden verlegerischen Perspektiven, der auf gerade mal drei Mitglieder geschrumpfte Vorstand, die Zeitschriftenverkäufe oder Buchholz‘ Weigerung, im Interview mit der „Rheinischen Post“ eine Bestandsgarantie für die „Financial Times Deutschland“ abzugeben. („Handelsblatt“-Chefredakteur Bernd Ziesemer war schon immer der Ansicht, der Markt biete nur Platz für eine, nämlich seine Wirtschaftszeitung.) Ist der Hamburger Standort abgeschrieben?

Immer wieder in solchen Gesprächen wird die Erinnerung an Angelika Jahrs Rede aus dem vergangenen Jahr geweckt. Sie hielt sie bei ihrem Abschied aus dem Vorstand in der Hamburger Fischauktionshalle. Jaja, Ostrowski lege immer wieder überzeugend dar, dass Bertelsmann G+J nicht verkaufen wolle, sagte sie damals, bevor sie ihre Rede mit einem Versprechen schloss: Sollte es doch einmal so kommen, dass Bertelsmann verkaufen wolle, dann würde sie, dann würde die Jahr-Familie zu Gruner + Jahr stehen. Der Liebe wegen.

Sagt so etwas ein Mitgesellschafter über den anderen, wenn so gar nichts dran ist an dem Gerücht? Ostrowski und Liz Mohn sollen jedenfalls not amused reagiert haben.

Was ist der Antrieb von Bertelsmann: Liebe oder Geld? Dazu passt eine Theorie, die derzeit durch die Branche wabert. Wie gesagt, nur eine Theorie, aber eine, die es in sich hat. Sie lautet wie folgt: G+J baut ja bekanntlich die Bereiche Vermarktung und Vertrieb auch mit dem Ziel um, Mandantengeschäft aufzubauen, das heißt, die Vermarktung und den Vertrieb von Zeitschriften als Dienstleistung an Dritte zu verkaufen. Das passt zur Bertelsmann-Strategie, mit Serviceangeboten Geld zu verdienen. Darüber hinaus sieht Buchholz in datenbankbasierten Fachinformationen ein Zukunftsgeschäft. Auch das hat weniger mit Journalismus als mit Servicedenken zu tun. Dazu sind zwar Akquisitionen notwendig. Aber vielleicht bekäme er dafür aus Gütersloh positive Signale. Und das Magazingeschäft? Das würde dann vom Dienstleistungsgeschäft getrennt und veräußert, besagt das, noch einmal: nur in der Theorie existierende Gedankenspiel. Die Jahrs mit ihrer Betei
ligung in Höhe von 25,1 Prozent hätten jedenfalls das Vorkaufsrecht.

Erschienen in Ausgabe 01+02/2010 in der Rubrik „Rubriken & Kolumnen“ auf Seite 12 bis 13 Autor/en: Ulrike Simon. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.