Ost-Regionalzeitungen ringen um Zukunft

Von oben bis unten: Das Chefredaktions-Trio im Osten; Jan Hollitzer (Foto: Sascha Fromm, Thüringer Allgemeine), Marc Rath (Foto: Philipp Schulze) und Annette Binninger (Foto: Sächsische Zeitung/Madsack)
Chefredaktions-Trio im Osten; Jan Hollitzer („Thüringer Allgemeine“), Marc Rath („Mitteldeutsche Zeitung/Volksstimme“) und Annette Binninger („Sächsische Zeitung“). Fotos: Sascha Fromm (Hollitzer), Philipp Schulze (Rath), Sächsische Zeitung/Madsack (Binninger)

Steigende Kosten, sinkende Abozahlen, digitale Experimente: Ostdeutsche Regionalzeitungen stehen unter Druck. Stellt sich die Frage: Wie kann Journalismus vor Ort noch funktionieren? Eine Bestandsaufnahme über den Wandel der ostdeutschen Zeitungslandschaft – und die Gefahr von Nachrichtenwüsten. Dieser Beitrag ist in Gänze im „medium magazin“ 01/2025  erschienen.

Text: Senta Krasser

In the middle of Nüscht

Es kommt nicht oft vor, dass eine ostdeutsche Regionalzeitung überregionale Aufmerksamkeit bekommt. Das Kanzler-Duell von ARD und ZDF zwei Sonntage vor der Bundestagswahl war ein solcher seltener Moment: CDU-Kandidat Friedrich Merz zog einen Zettel aus dem Sakko und las ein Olaf-Scholz-Zitat vor. Seitdem wissen zwölf Millionen Menschen, in welchem Interview der (Noch-)Bundeskanzler eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht kategorisch ausgeschlossen hatte: in der „Thüringer Allgemeinen“ (TA).

Das Interview ist aus dem August 2023. Die Fragen stellte seinerzeit Chefredakteur Jan Hollitzer (mit Martin Debes und Chiara Schönau), der sich seit Merz’ unbeabsichtigter PR-Aktion nicht nur über 30 zusätzliche TA-Abo-Abschlüsse freut (deren Langlebigkeit sich allerdings noch beweisen muss). Hollitzer findet: „Es ist ein Beweis, dass man auch im lokalen, regionalen Bereich relevanten Journalismus macht, der auch bundespolitisch wahrgenommen wird.“

Aber ist dem wirklich so, immer und jeden Tag? Haben Regionalzeitungen generell noch Relevanz, auch wenn nicht gerade der Bundeskanzler oder ein Ministerpräsident aus ihnen spricht? Wie ist es möglich, auch in Sachsen oder Brandenburg relevant zu sein und auch zu bleiben, wenn die Medienfeindlichkeit zehn Jahre nach Pegida nirgendwo sonst so dramatisch hoch ist wie in Ostdeutschland? Und geht das überhaupt, wenn die Konzentration auf dem Zeitungsmarkt in dem Maße zunimmt, wie die Meinungsvielfalt abnimmt?

Die gute Nachricht zuerst: Laut einer im Januar veröffentlichten Studie der TU Dresden zu Lokalmedien in Thüringen sind noch keine sogenannten Nachrichtenwüsten entstanden. Allerdings gibt es in den meisten Städten und Landkreisen nur noch eine einzige Lokalausgabe. Das trifft auch auf die anderen vier Bundesländer zu. Redaktionen tun sich zusammen. Die Zuschnitte, die sich lange an den DDR-Altkreisen orientierten, werden größer. Die Tendenz geht zu immer mehr regionalem statt lokalem Journalismus. Und am Ende dieser Entwicklung könnten ganze Regionen von lokaler Berichterstattung abgeschnitten sein. 

Das ist in Zeiten, in denen die AfD bei der Bundestagswahl in fast ganz Ostdeutschland stärkste Kraft geworden ist (mit weit über 30 Prozent Wählerstimmen), natürlich nicht ungefährlich. Wenn sich Zeitungen (um den Titel eines Reisebuchs über die Altmark zu zitieren) „In the middle of Nüscht“ zurückziehen, wo es nicht einmal mehr einen Bäcker vor Ort gibt, dann trifft das Adjektiv „abgehängt“ ein Riesenproblem, das digitale, hyperlokale Alternativmedien und der MDR kaum allein lösen können.

Hinzu kommt, dass das demografische Echo im Osten besonders stark ist. Journalistischer Nachwuchs ist kaum noch zu bekommen (auch wenn es im attraktiveren Dresden einfacher sein mag als in Chemnitz). Ein ehemaliger Chefredakteur fasst es im Gespräch mit „medium magazin“ so zusammen: „Früher haben wir die Leute reihenweise entlassen. Heute schauen wir, dass wir sie festkleben, damit sie uns nicht verlassen.“ 

Wie im Westen nimmt auch bei den Ost-Titeln die Auflage von Jahr zu Jahr ab, was die Verlage hüben wie drüben mit fast jährlich steigenden Abo-Gebühren zu kompensieren versuchen. Allerdings ist die Zustellung der gedruckten Zeitung gerade in der arg dünn besiedelten ostdeutschen Fläche zu einer derart teuren Herausforderung geworden, dass die Menschen im brandenburgischen Landkreis Prignitz deshalb bereits seit Oktober 2023 gar kein Papier mehr bekommen. Madsack hat die Lokalausgabe „Prignitz-Kurier“ der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ (MAZ) in Druckform komplett eingestellt. So was hatte sich in dieser Konsequenz bis dato niemand getraut.

Funke experimentierte zwar im selben Jahr von Februar bis April im Landkreis Greiz mit einer Zwangsumstellung auf E-Paper, ruderte aber zurück, weil die Wandlungsquote nicht ausreichte, um es wirtschaftlich zu halten. Seither kommt die „Ostthüringer Zeitung“ per Boten, auf Verlagskosten. Und ganz frisch ist die Variante der Mediengruppe Hof/Coburg/Suhl/Bayreuth (HCSB). Die Tochter der schwäbischen Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) führte an Dreikönig in Südthüringen den papierlosen Montag ein, verzichtete zugleich auf die nächste Abo-Erhöhung. Stand Mitte Februar: 55 Prozent der Bestandskunden konnten zum E-Paper als Ersatz überredet werden. Im Umkehrschluss heißt das: 45 Prozent lesen „Freies Wort“, „Südthüringer Zeitung“ und „Meininger Tageblatt“ montags nicht mehr. 

HCSB-Geschäftsführer Andreas Heinkel rechnet damit, bis Ende Mai die Umwandlungsquote von 75 Prozent zu schaffen. Das Modell könnte dann sogar auf die Titel in Bayern ausgeweitet werden, was die gesamte Verlagsbranche neugierig beobachten wird, denn es ist ja allen sehr bewusst, dass das Geschäftsmodell Print endlich ist. Irgendwann wird es sich wirklich nicht mehr lohnen, eine Zeitung noch zu drucken. Aber bis dahin? 

Wie mit steigenden Druck- und Logistikkosten umgehen? Was, wenn die 15 Euro Mindestlohn kommen, mit denen die SPD in den Bundestagswahlkampf zog? Und vor allem: Wie umgehen mit der verlegerischen Verantwortung, dass Lokaljournalismus demokratierelevant ist? Ist das Versprechen zu halten oder stehen sich Profit und Purpose unvereinbar gegenüber? 

Die ostdeutschen Häuser, die überwiegend von westdeutschen Konzernen gelenkt werden (mit Ausnahme der „Berliner Zeitung“), haben da unterschiedliche Strategien entwickelt, die (noch) nicht so radikal sind wie in der Prignitz.

Papierlos in Thüringen

Verlegerin Julia Becker wird nicht müde, auf Podien zu betonen, wie sehr ihr der Lokaljournalismus ihrer Funke Mediengruppe am Herzen liegt. Und dass sie nach der vollständigen Anteilsübernahme mit ihren Geschwistern im vorigen Jahr jetzt mehr investieren wolle. Dass also die Gewinne nicht mehr zu 80 Prozent an die Gesellschafter ausgeschüttet werden, sondern im Unternehmen bleiben sollen. Das klingt nach erfreulicher Kehrtwende. Über Jahrzehnte war es so, dass die Mediengruppe aus Essen in Erfurt „den Rahm abgeschöpft hat“, wie es ein langjähriges Redaktionsmitglied einmal formulierte. Als die „irren Umlagen“ aus der Nachwendezeit dann ausblieben, wurde heruntergespart, insbesondere beim Personal.

Jan Hollitzer räumte 2019 in seinem ersten Jahr als Chefredakteur der „Thüringer Allgemeinen“ und nach etlichen Sparrunden gegenüber „medium magazin“ ein: „Noch weniger geht nicht. Das wäre produktgefährdend.“ Gut fünf Jahre später freut er sich, dass seine Zeitung nicht mehr draußen am Feld in Erfurt-Bindersleben vegetiert. Im vorigen Sommer zog die TA zurück ins Zentrum, in schicke Büros am Juri-Gagarin-Ring, Video- und Podcast-Studio nach State of the Art inklusive. Außerdem sei es gelungen, „einen größeren Stellenabbau abzuwenden“. Hollitzer gibt sich kämpferisch: „Die Redaktionen sind Kern der Wertschöpfung. Hier soll nicht gespart werden.“

Dennoch hört man von eben dort Klagen über hohe Arbeitsbelastung und Mangel an Ressourcen. Mit Blick auf […] 

Wie die Ost-Redaktionen den Herausforderungen begegnen, lesen Sie in Gänze im neuen „medium magazin“ 01/25.


Cover des medium magazins 01/25. "Raketenstart in die rechte Umlaufbahn: „Nius“ und Co bekommen Konkurrenz: Das Alternativmedium „Apollo News“ um Max Mannhart wächst rasant. Eine exklusive Recherche zu „Apollos“ fragwürdiger Mission.Außerdem in dieser Ausgabe: Welche Mission verfolgt das junge Alternativmedium „Apollo News“, das einen Raketenstart in die rechte Umlaufbahn hingelegt hat? Eine exklusive „medium magazin“-Recherche zu „Apollos“ fragwürdiger Mission. Zudem geht es in der neuen Ausgabe um die großen Zukunfts-Themen der Branche: Warum „Kollege KI“ trotz aller Bedenken und Herausforderungen eine Chance für den Journalismus darstellt. Ob die Räume des Sagbaren wirklich so ausgedehnt werden sollten, wie es sich Mathias Döpfner vorstellt. Wie und warum man ohne Chefredaktion arbeitet. Was sich ändern muss, damit Kinder für Journalist:innen nicht mehr zum Karrierekiller werden. Wie Journalismus ohne Selbstausbeutung gelingen kann. Und warum Schluss damit sein muss, dass Medien Fake-Anzeigen Platz einräumen, wenn sie ihre Glaubwürdigkeit erhalten wollen. Diese und viele weitere Themen und wie immer jede Menge Praxis-Tipps ab jetzt im neuen „medium magazin“ – ab sofort digital oder als Printausgabe hier erhältlich oder im ikiosk.