Mats Schönauer: Der Wahrheit auf der Spur
In einer Welt, in der Fake News, Verschwörungserzählungen, Tratsch und Sensationen Millionen Leser fesseln, sind qualifizierte Faktenchecker wichtiger denn je. Einer von ihnen ist Mats Schönauer. Der Berliner Medienjournalist begann mit einem studentischen Watchblog. Heute erreichen seine Youtube-Videos teils Hunderttausende Klicks. Dieser Beitrag ist in Gänze im „medium magazin“ 06/2024 erschienen.
Text: Jeanne Wellnitz
Mats Schönauer zieht das Klatschblatt „Die Aktuelle“ aus dem Zeitschriftenregal: „Uh, das ist eines der ganz üblen Exemplare!“ Auf dem Titelbild: Schlagerstar Helene Fischer. Die Schlagzeile: „Warum wird ihre Tochter weggegeben?“ Schock. „Dabei hat Papa doch so viel Zeit!“ Was ist da los? Mats Schönauer blättert flink zur Titelstory, scannt den Artikel: „Ah, hier steht es: Ihr zweijähriges Kind geht in die Kita!“ Und es ist noch viel krasser: Sie könnte ihre Tochter eigentlich schon um zwölf abholen, statt um 15 Uhr! Die Kita ließe das zu. Dazu ein Paparazzifoto des Vaters und eine Einschätzung, wie traurig es ist, dass die Kleine in der Kita wartet, während Helene Spaß hat. „Eine miese Masche!“, sagt Schönauer und steckt das Blatt zurück.
Seine Augen wandern zur ersten Reihe des Regals: „Freizeit Extra“, „Freizeit Exklusiv“, „Freizeit Heute“, „Freizeit Spaß“, „Freizeit pur“. Wo der ungeübte Blick sich schnell verirrt, erkennt Mats Schönauer sofort: „Die ‚Freizeitwoche‘ fehlt.“ Die hätte er sich gern gekauft, denn er hatte am Morgen bereits online gesehen, dass sie eine uralte Verschwörungserzählung aufwärmt. Und zwar, dass das Grab von Lady Diana angeblich leer sei. „Das wäre was fürs Schlagzeilenbasteln.“ Mats Schönauer hat in den vergangenen zehn Jahren vermutlich Tausende solcher Boulevard-Bomben gelesen.
Er kennt die Klatschblätter in- und auswendig, die Mediengiganten wie die Funke Mediengruppe, Hubert Burda Media und die Bauer Media Group Woche für Woche in die Welt spülen. Der 35-jährige Journalist ist allerdings kein Showbiz-Fan oder begeistert von der Glamourwelt der Royals. Mats Schönauer ist Verifikationsprofi. Ihn interessieren journalistische Standards, saubere Quellen, die Wahrung von Persönlichkeitsrechten, ja, letztlich die Glaubwürdigkeit des Journalismus. Also alles, was sich Boulevardjournalismus und Regenbogenpresse deutlich mehr zu Herzen nehmen sollten. Trotzdem haben diese Blätter eine gigantische Fanbase, die vieles davon glaubt – selbst Helene Fischers Oma tut das.
Klatsch und Tratsch sind gefragt
Insgesamt verkauft die Regenbogenpresse rund 200 Millionen Exemplare pro Jahr. Jede Woche gehen also mehr als doppelt so viele Klatschblätter über den Ladentisch, wie „Spiegel“, „Stern“ und „Focus“ zusammen an Ausgaben verkaufen. Die treuesten Leser sind ältere Frauen – eine eher analoge Zielgruppe. „Man müsste Aufklärungsflyer auf Schlagerkonzerten verteilen oder eine Guerillaanzeigenkampagne in den Blättern starten, die Statements von geplagten Promis enthält“, sagt Schönauer. Alles Ideen, die er schon oft durchdacht und dann wieder verworfen hat. Seine Ziele sind andere: die Medienkompetenz in der Gesellschaft stärken und öffentlichen Druck ausüben, der bestenfalls personelle oder juristische Konsequenzen nach sich zieht.
Deshalb tanzt Mats Schönauer auf vielen Hochzeiten: Er postet Cover-Collagen – etwa von „Das Goldene Blatt“, das insgesamt 40-mal die bevorstehende Scheidung von Camilla und Charles titelte –, Screenshots von erzwungenen Gegendarstellungen in Klatschblättern, seine eigenen Faktencheck-Videos und Recherchedokumentationen. Und das alles auf Instagram, Tiktok, X, Facebook und Youtube. Mit Erfolg: Seine Arbeit wurde in Shows wie „Wetten, dass …?“ und „Joko & Klaas“ gezeigt, er recherchierte für Böhmermanns Magazin-Royale-Sendung „Das Geschäft der Klatschpresse“, seine Camilla-und-Charles-Collage hängt in der Ausstellung „Streit“ im Museum für Kommunikation, außerdem überführte er einen Interviewfälscher – und legte sich schon als Mittzwanziger mit der mächtigsten Boulevardzeitung Deutschlands an: der „Bild“.
Vom Hinweisgeber zum Chefredakteur
Dortmund, 2013. Mats Schönauer steht kurz vor dem Abschluss seines Journalistik-Studiums, als er auf die Berichterstattung über einen Kindermord stößt. Einige Medien nennen den Namen des Opfers, obwohl die Staatsanwaltschaft in der Pressekonferenz ausdrücklich darum bat, ihn zu verschweigen.
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Das ganze Porträt über Mats Schönauer können Sie im neuen „medium magazin“ 06/24 lesen. Außerdem: Alle Preisträgerinnen und Preisträger in sämtlichen Kategorien der „Journalistinnen und Journalisten des Jahres“ 2024 können Sie im „medium magazin“ 06/24 entdecken. Dort finden Sie auch das große Titel-Interview mit Justus von Daniels, Anette Dowideit und Jean Peters. Auch in dieser Ausgabe: Der Jahresvorausblick 2025. Zwölf Medienschaffende wagen (nicht ganz ernstgemeinte) Prognosen für das kommende Jahr. Dazu gibt es wieder jede Menge praktischer Tipps von unsichtbar Recherchieren bis zum Test von KI-Transkriptions-Tools. Das neue „medium magazin“ ist ab sofort digital oder als Printausgabe hier erhältlich oder im ikiosk.