Die Sicht der anderen Seite
Der promovierte Jurist und Richter Laurent Lafleur, Leiter der Pressestelle am Oberlandesgericht München, über die Zusammenarbeit mit Medien. Dieser Beitrag erschien in gekürzter Fassung in der aktuellen Journalisten-Werkstatt „True Crime. Wie über Kriminalfälle erfolgreich, effizient und emphatisch berichtet werden kann“, Autor: Andreas Thieme. Diese Werkstatt liegt im Abonnement dem „medium magazin“ 05/2024 bei und kann hier bestellt werden.
Gastbeitrag: Laurent Lafleur
„Im März 2023 erlässt Karim Khan, Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), einen Haftbefehl gegen Wladimir Putin“.
Mit diesem Text bewirbt die ARD-Mediathek den (sehr sehenswerten) Dokumentarfilm War and Justice über die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs. Ein kurzer Satz, der den Klassiker unter den Fehlern in der Berichterstattung über Straftaten, ihre Aufklärung und ihre strafrechtliche Aufarbeitung aufweist. Und es ist einer der Fehler, den auch großzügige Strafjuristen für sehr ärgerlich halten, weil er die in einem Rechtsstaat entscheidende Aufgabenverteilung verwischt: Haftbefehle, also die Entscheidungen darüber, einen Bürger einzusperren, für den (noch) die Unschuldsvermutung gilt, werden sowohl vor dem Internationalen Strafgerichtshof als auch in Deutschland nicht von Staatsanwälten, sondern von unabhängigen Richtern erlassen. Staatsanwälte können diese Haftbefehle nur beantragen.
Dieser Beitrag soll aber gerade kein Worst-of der schlimmsten Fehler in der Gerichtsberichterstattung aufzählen, sondern soll zunächst einmal einen großen Dank für Ihre Arbeit aussprechen. Denn ohne Ihre Arbeit findet die Justiz in der Öffentlichkeit nicht statt. Wir brauchen Ihre Arbeit, um die Menschen zu erreichen. Die breite Bevölkerung verirrt sich nur selten in die Gerichtssäle.
Unser Rechtssystem ist aber darauf angelegt, dass die Bevölkerung von unserer rechtsprechenden Tätigkeit erfährt. Sie soll erfahren, dass der Patient nach einem ärztlichen Kunstfehler einen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld hat. Die Bevölkerung soll auch erfahren, dass Mörder den Rest ihres Lebens im Gefängnis verbringen müssen. Sie soll aber auch erfahren, dass Angeklagte bei Zweifeln an ihrer Schuld freigesprochen werden.
Wenn wir an die klassischen Strafzwecke denken, so wird schnell erkennbar, dass die sogenannte negative Generalprävention nur mit der Bevölkerung möglich ist. Wie soll ein Urteil gegen ein Mitglied organisierter Banden von Taschendieben auf dem Oktoberfest (wird in München immer mit einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung bestraft) eine abschreckende Wirkung entfalten, wenn es niemand außer dem Angeklagten mitbekommt? Das gleiche gilt für die positive Generalprävention: Wie soll die Bevölkerung erkennen, dass Normen durchgesetzt werden und damit aktiv Geltung beanspruchen, wenn dies nicht kommuniziert wird? Und für diese Kommunikation unserer Arbeit brauchen wir Sie.
Um Sie bei Ihrer Arbeit zu unterstützen, haben Gerichte und Staatsanwaltschaften Pressestellen eingerichtet. Je nach Größe des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft stehen teilweise sogar mehrere Pressesprecherinnen und Pressesprecher bereit, um Ihnen zu helfen. Wie dies konkret aussieht, möchte ich Ihnen am Beispiel der von mir geleiteten Pressestelle des OLG München kurz erläutern: Zunächst einmal erteilen wir gerne und jederzeit Auskünfte zu unseren Verfahren. Wollen Sie also wissen, wann eine bestimmte Verhandlung beginnt oder in welchem Sitzungssaal sie stattfindet, sind Sie bei uns an der richtigen Adresse. Auch wenn Sie wissen wollen, wie ein Verfahren ausgegangen ist, können wir Ihnen gerne Auskunft geben.
All dies machen wir einerseits natürlich aus den oben angegebenen Gründen. Aber auch, weil wir gesetzlich dazu verpflichtet sind. Redakteuren steht aus Art. 4 Abs. 1 des Bayerischen Pressegesetzes (entsprechende Regelungen gibt es in den Pressegesetzen aller Bundesländer) ein Anspruch auf Auskunft gegenüber Behörden zu und auch Gerichte sind in diesem Sinne eine Behörde. Die Auskunft darf nur verweigert werden, soweit auf Grund beamtenrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Vorschriften eine Verschwiegenheitspflicht besteht. Hieraus ergibt sich ein allgemeines Abwägungsprinzip, bei dem sich Grenzen des presserechtlichen Auskunftsanspruchs auch ergeben können, wenn die Beantwortung einer Anfrage Grundrechte Dritter, insbesondere etwa das allgemeine Persönlichkeitsrecht, berührt. Die widerstreitenden Rechtspositionen sind dabei in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Das ist dann Aufgabe des Pressesprechers. Wenn Sie zu Recherchezwecken ein Urteil benötigen, werden Sie auch dies von uns bekommen. Auch hierauf haben Sie übrigens einen von der Rechtsprechung entwickelten Anspruch und sind nicht (allein) auf unsere Freundlichkeit angewiesen (BVerfG, Beschluss vom 14. September 2015 – 1 BvR 857/15). In bayerischen Pressestellen erhalten Sie zudem jeweils eine Woche vor Verhandlungsbeginn anonymisierte Abschriften von Anklagesätzen, um sich auf den Prozess richtig vorbereiten zu können.
Gute Pressesprecher zeichnen sich aber neben diesen Serviceleistungen vor allem dadurch aus, dass sie – mit Ihnen – sprechen. Wir stehen als Ansprechpartner für Sie bereit, als Übersetzer juristischer Sachverhalte und als Erklär-Bären, wenn Sie die Verwarnung mit Strafvorbehalt oder den Erlaubnistatbestandsirrtum noch einmal erläutert haben wollen. Nehmen Sie dieses Gesprächsangebot an – der Rest ergibt sich dann von selbst.
Typische, nicht dramatische, aber vermeidbare Fehler in journalistischen Texten sind aus meiner Sicht Unschärfen bei juristischen Begriffen. Etwa, dass es „die Generalbundesanwaltschaft“ nicht gibt, sondern nur den Generalbundesanwalt oder die Bundesanwaltschaft. Häufig wird auch verkannt, dass Ordnungswidrigkeiten mit Geldbußen geahndet werden und Straftaten mit Geldstrafe, dass der Begriff Verbrechen kein Synonym für Straftat ist (sondern die Straftatbestände umschreibt, die eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe vorsehen) oder dass die Spruchkörper an den Oberlandesgerichten Senate heißen und die an den Landgerichten Kammern. Auch, dass gegen erstinstanzliche Strafurteile des Landgerichts lediglich das Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof gegeben ist, lernen Sie dann on the job und fragen uns einfach. Oder lesen es bei Frank Bräutigam nach („Recht richtig formulieren“, erschienen bei Springer VS).
Die Präzision im Ausdruck ist zwar wichtig, kleinere Fehler sind aber schnell verziehen. Was ich persönlich deutlich schwieriger finde als die Verwechslung von Berufung oder Revision sind Journalisten, die ihre Rolle mit der des Gerichts verwechseln. Der nach meiner bescheidenen Auffassung große Gerichtsreporter Gerhard Mauz hat seine Tätigkeit einmal folgendermaßen zusammengefasst: „Der Journalist, der aus dem Gerichtssaal berichtet, erzählt, was er dort sieht und hört, was seine Eindrücke sind. Das ist eine sehr wichtige Tätigkeit. Die Hauptverhandlung – ob nun zivil- oder strafrechtlich – ist immer noch ein Ort, wo die Regeln festgelegt sind, es gibt aber kein Drehbuch. Dort passiert unendlich viel – das wird berichtet und das ist eine wichtige journalistische Aufgabe.“ Jedenfalls nach meiner Überzeugung ist es dagegen nicht Aufgabe des Journalisten, zu entscheiden, wer schuldig und wer unschuldig ist. Das macht in einem Rechtsstaat ein unabhängiges Gericht. Der Fall Kachelmann ist für mich ein Paradebeispiel dafür, was schief laufen kann, wenn es zu einer Rollenverwechslung kommt. Die Medien haben sich auf den Fall gestürzt und einige haben dabei die professionelle Distanz verloren. Sie haben aufgehört, zu berichten, was sie erlebten, sondern sie ermittelten, klagten an, verteidigten und richteten gleich selbst. Damit wurde eine Paralleljustiz für die Öffentlichkeit geschaffen, in der strafprozessuale Grundsätze keine Rolle mehr spielen. Einen solchen „Gerichtshof der Öffentlichkeit“ zu schaffen, wie Prof. Volker Boehme-Neßler es einmal formuliert hat, ist nach meiner Überzeugung gerade nicht die Aufgabe von Gerichtsberichterstattung. Auch nicht, schon vor Beginn einer Hauptverhandlung ausführlich den Inhalt der – nicht öffentlichen – Gerichtsakten wiederzugeben, wie dies im Fall Kachelmann ebenfalls geschehen ist.
Um über diese und viele andere Themen zu sprechen, haben wir in München im Jahr 2023 den „Jurakurs für Gerichtsreporter“ eingeführt, zu dem vom Praktikanten bis zur überregional tätigen Gerichtsreporterin alle eingeladen sind, die Interesse an Gerichtsberichterstattung haben. Mit diesen – bislang drei Mal durchgeführten – Kursen wollen wir Sie bei Ihrer Berichterstattung unterstützen, aber auch mit Ihnen im Gespräch bleiben, wie die Zusammenarbeit noch besser gestaltet werden kann.
Und ein letzter Tipp: Staatsanwälte erlassen keine Haftbefehle!
Autor der Werkstatt
Andreas Thieme ist Reporter beim Zeitungsverlag Münchner Merkur und tz. Er unterrichtet auch Crime-Berichterstattung als Dozent an der Akademie der Bayerischen Presse (ABP) in München.
Dieser Beitrag erschien in gekürzter Fassung in der aktuellen Journalisten-Werkstatt 05/24 „True Crime. Wie über Kriminalfälle erfolgreich, effizient und emphatisch berichtet werden kann“. Diese widmet sich der Berichterstattung zu Kriminalfällen. Denn: Der Blick auf den handwerklichen Umgang mit diesen Themen lohnt sich selbst für jene, die mit „Blaulicht“ in ihrer journalistischen Arbeit normalerweise nichts zu tun haben – schon allein weil kaum ein Thema plastischer zeigen kann, welche Rolle Empathie im Journalismus spielt. Diese Werkstatt liegt im Abonnement der Ausgabe mediummagazin 5-2024 bei. Das neue „medium magazin“ ist ab sofort digital oder als Printausgabe hier erhältlich oder im ikiosk.