„Heul doch“
Der Kommentar von Ulrike Langer zur Re:publica 09 :
Mit großen Namen konnte die Webkonferenz re:publica 09 vom 1. bis 3. April in Berlin aufwarten: Vordenker der amerikanischen Webszene wie Wikipedia-Gründer Jimmy Wales und Stanford-Jura-Professor Lawrence Lessig, Mit-Erfinder der Web-Urheberrechtslösung „Creative Commons“ und der Science-Fiction-Autor und Blogger Cory Doctorow („Boingboing“), Publizist Peter Glaser oder Frank Westphal, Erfinder des Blog-Aggregators Rivva, hielten Vorträge. Bekannte Blogger wie Stefan Niggemeier und Robert Basic sowie Medienmacher wie „Freitag“-Chefredakteur Jakob Augstein diskutierten in Panels. Insgesamt organisierten die Veranstalter, die ”Spreeblick“-Blogger Johnny und Tanja Häusler sowie die Agentur ”newthinking communications“ mit „Netzpolitik“-Blogger Markus Beckedahl und Andreas Gebhard imposante 100 Veranstaltungen mit 180 Rednern und 1500 Besuchern. Damit war die diesjährige re:publica um einiges größer als die beiden vergangenen.
Doch das Wachstum hat der Digitalkonferenz nicht unbedingt gut getan, sondern eher zur Verwässerung des Profils geführt. Die großen Namen hielten zwar überwiegend, was sie versprachen, wenn auch Wales sich nicht im Klaren darüber schien, dass man bei der deutschen Speerspitze digitalen Schaffens und Denkens, Wissen über Wikipedia voraussetzen darf. Dafür war Lessigs Vortrag über die Notwendigkeit neuer Urheberrechtsmodelle in der digitalen Welt eine furios unterhaltsame und überzeugende Multimedia-Show.
Einige Referenten wiederum langweilten die webkundige Zielgruppe mit einführenden Erklärungen in die Funktionen von Twitter oder mit einer langatmigen und überwiegend erkenntnisfreien Vorstellung einer wissenschaftlichen Untersuchung zu Medienblogs. Doch nicht nur im Briefing einzelner Redner, sondern vor allem in den Diskussionspanels zeigte sich die konzeptionelle Schwäche der Konferenz. Dort, wo es hätte richtig spannend werden können, weil die Bloggerwelt mit der klassischen Medienwelt zusammentraf, gab es statt fruchtbarer Diskussionen vor allem aufgewärmte Klischees und Diskussionen von vorgestern.
Was bedeutet es für die politische Kommunikation im Wahljahr, dass neue politische Blogs wie ”Carta“ und ”Sprengsatz“ aufgetaucht sind? Haben Blogger angesichts fehlender Geschäftsmodelle etablierter Medien die Chance, die neuen Meinungsführer im Web zu werden? Diese Fragen wurden ebenso wenig thematisiert wie die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf die alte und neue Medienlandschaft. Viele der Sessions über den Status Quo der Blogosphäre in Krisengebieten, feministisches Bloggen und mobiles Mikrobloggen waren eher selbstreferentiell oder Randgebiete, behandelten aber nicht das große Thema des digitalen Wandels, der hierzulande gerade die Medienlandschaft umwälzt.
Für einen Moment blitzte Streitkultur auf, als ”Freitag“-Chefredakteur Jakob Augstein den deutschen Blogs Irrelevanz vorwarf. Die Leitartikel und investigativen Recherchen, die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft beeinflussen, kämen immer noch aus den klassischen Medien und nicht aus dem Netz: „Was Prantl sagt, ist relevant. Was Don Alfonso sagt, nicht.“ Doch gerade Augstein, der mit dem Relaunch des ”Freitag“ im Netz jüngst eines der interessanteren Experimente zur Öffnung eines klassischen Mediums in Richtung Social Web startete, baute keine Brücke zu den Bloggern, auf deren Hilfe er beim Aufbau der neuen ”Freitag“-Community angewiesen ist.
In was für getrennten Welten die Macher klassischer Medien und die Bloggerszene heute noch leben, zeigte sich vielleicht am augenfälligsten an der ”Twitter-Wall“ hinter dem Podium, die heutzutage auf keinem Webkongress mehr fehlen darf. Dorthin wurden alle per Twitter einlaufenden Nachrichten mit dem Stichwort #rp09 und somit auch die teilweise sehr lustige Kritik am Verlauf der Diskussion übertragen. Helmut Lehnert, Unterhaltungschef des RB-Fernsehens, beschwerte sich darüber, dass sich zwar das Saalpublikum sichtlich amüsierte, die eigentlich Angesprochenen aber nicht ohne Verrenkungen sehen konnten, worum es ging. Daraufhin twitterte jemand: ”Heul doch!“
Ulrike Langer ist Redaktionsmitglied von „mediummagazin“, freie Medienjournalistin in Köln und bloggt unter http://medialdigital.wordpress.com/