Wir dürfen das Vertrauen nicht verspielen
Seit dem Durchbruch von ChatGPT fühlen sich Journalisten von Künstlicher Intelligenz bedroht. Doch erst allmählich wird das gesamte Ausmaß ihres Einflusses auf die Medienöffentlichkeit erkennbar. Revolutioniert KI den klassischen Journalismus, wie wir ihn kennen? Der Beitrag ist in Gänze im „medium magazin“ 05/2024 zu finden.
Text: Dr. Leif Kramp und Dr. Stephan Weichert
Für Journalisten tun sich unweigerlich Fallstricke und Herausforderungen im Tête-à-Tête mit der Künstlichen Intelligenz auf: Welche Dynamiken setzen KI-generierte Inhalte bei politischen Wahlen frei? Untergräbt KI die Glaubwürdigkeit des Journalismus, je häufiger sie in den Redaktionen eingesetzt wird? Wo braucht es neue Regeln für den Einsatz von KI? Und sollten KI-Avatare irgendwann ihre Sakkos wechseln, damit sie nicht anfangen zu müffeln? Im Rahmen der internationalen Vocer-Studie „KI-Resilienz im Journalismus“ befassen wir uns mit einer der größten Herausforderungen in der aktuellen Transformationsphase des Journalismus: Wie können Medienschaffende souverän mit der neuen KI-Technologie umgehen? Uns interessieren die Risiken, wiewohl auch die Chancen, die sich aus dem journalistischen Umgang mit KI ergeben. Unsere erste Zwischenbilanz fällt gemischt aus.
Als wir unser Gespräch mit Jeff Jarvis führen, ist der berühmte Internet-Intellektuelle empört und aufbrausend. Unser Eisbrecher-Thema: die US-Wahl. In bester Rant-Laune wettert der bekennende Demokrat über das Medienversagen in der Wahlkampf-Endphase und seine Sorge, dass Donald Trump ein zweites Mal zum Präsidenten gewählt werden könnte. Jarvis war nie jemand, der sich in unnötigem Geschwafel verliert. Er kommt gleich zum Punkt: Die „New York Times“ und die „Washington Post“ seien „kaputt“, schimpft er. Und die Massenmedien hätten „eine Scheißangst vor dem eigenen Bedeutungsverlust“. Er warnt vor den – wie er sie verächtlich nennt – „KI-Boys“: Die Weltanschauungen von Leuten wie Sam Altman, Peter Thiel, Elon Musk, Max Tegmark und vor allem deren nebulösen Pläne zur Rettung der Menschheit machten ihm Angst („Die sind alle verrückt!“). Und Jarvis klagt unverblümt an, dass sich US-Verlagshäuser seit rund zwei Jahrzehnten von Social-Media-Plattformen, Hedgefonds und jetzt auch noch von KI-Unternehmen willfährig ausbluten lassen.
Das ist harter Tobak für einen 70-Jährigen, der sich seit über einem halben Jahrhundert der Transformation des Journalismus widmet. Jarvis begann seine Karriere als Lokaljournalist, bevor er zum Medienkritiker und danach zum vielbeachteten Blogger („Buzzmachine“) wurde und später als Hochschullehrer an die renommierte Graduate School for Journalism der City-Universität von New York (CUNY) wechselte. Jarvis lässt keinen Zweifel daran, warum die Weltöffentlichkeit in den USA gerade zum Zeugen eines Medienspektakels wird, das darauf hindeutet, dass der klassische Journalismus für die demokratische Öffentlichkeit in Zukunft wohl nur noch eine untergeordnete Rolle spielen könnte.
Politische KI-Kommunikation
Auch eine Praktikerin, die wenige Blocks entfernt in der Liberty Street ihr Büro hat, sieht die unabhängige Presse zunehmend als gefährdet an: Aimee Rinehart verantwortet die KI-Produktstrategie der globalen Nachrichtenagentur Associated Press (AP). Sie glaubt, dass „KI durch die massenhafte und rasant schnelle Produktion und Verbreitung von Inhalten eine massive Disruption darstellt“ und in Wahlkampfzeiten zum „echten Problem für den Journalismus“ werde. Vor ihrem Engagement bei AP setzte sich Rinehart bei der Non-Profit-Organisation „First Draft“ viele Jahre gegen die Verbreitung von Fake News ein. Heute glaubt sie, dass Journalismus sich nicht mehr wirksam gegen Desinformation durchsetzen kann. Stattdessen sollte er für unverfälschte Quellen und Informationen einstehen (siehe neue „medium magazin“ Ausgabe, Interview auf Seite 56). Aus Rineharts Sicht erinnert die Flut an Desinformationen immer mehr an einen Kampf gegen Windmühlen. Dennoch hofft sie: „Wenn wir hart daran arbeiten, hervorragenden Journalismus zu machen, werden die Leute zu uns kommen und uns glauben – anderen Informationen, die sie online finden, aber nicht.“
Schon von Berufs wegen optimistisch ist Jeremy Caplan, Jarvis Ex-Kollege, der an der CUNY nach wie vor Journalisten weiterbildet. Auf die Frage, ob sich der US-Journalismus in Wahlkampfzeiten radikalisiere, zum Schutz der Demokratie womöglich aktivistischer werde, merkt Caplan an, dass schon aufgrund der schieren Menge an Informationen, die auf die Menschen einströmt, die Faktenprüfung „leider nicht voll wirksam“ sei: „KI trägt zu der aktuellen Informationsverschmutzung bei, die wiederum dazu führt, dass sich Menschen überfordert, desillusioniert und frustriert fühlen.“ Das dämpft laut Caplan das Interesse der Menschen an Politik und hält sie davon ab, „sich so stark zu beteiligen, wie sie es sonst vielleicht tun würden“. Allerdings glaubt der Medientrainer, der sich in seinem von über 52.000 Menschen abonnierten Newsletter „Wondertools“ gezielt mit KI-Lösungen befasst, fest daran, dass KI-Tools Journalisten in die Lage versetzen können, Daten zu analysieren und auf dieser Basis zukunftsweisende Perspektiven zu erforschen, indem sie sich auf das konzentrieren, „was langfristige Auswirkungen in den kommenden Jahren haben kann“.
Authentizitätsverlust
Den Einsatz von KI sieht Caplan dort mit gemischten Gefühlen, wo sich Journalisten von Skandalisierungen und politischer Propaganda so sehr beeindrucken lassen, dass sie ihren eigentlichen Fokus verlieren und „in eine Falle tappen“: Statt seine unbegründeten Behauptungen zu überprüfen, darauf zu reagieren oder ihn zu korrigieren, hätten die Medien Trump nicht nur 2016, sondern auch im aktuellen Wahlkampf „viel zu viel Spielraum gelassen, um öffentlich zu lügen und wiederholt Hass zu schüren“. Caplan hält es zudem für problematisch, dass journalistische Gatekeeper nicht mehr so viel Macht hätten wie früher; Trump verbreite Nachrichten einfach über die Plattformen Truth Social und X. Caplan fordert daher, dass es gerade in Zeiten der KI-Kommunikation „notwendig ist, diese lächerlichen, schädlichen, hasserfüllten Lügen offensiver anzugehen“.
Dass die Glaubwürdigkeit für Journalisten zunehmend zum Problem wird, glaubt auch Jarvis: Durch digitale Inhalte-Lizenzierung würden sich „KI-Unternehmen das Schweigen der Verlage“ erkaufen, wenn es etwa um Rechtsstreitigkeiten und Gesetzgebung gehe, das sei „reine Lobbyarbeit“. Jarvis meint auch, dass es „einfach nur dumm“ sei, dass KI verwendet werde, um „die Menschheit zu imitieren“. Das gelte für Journalismus, wenn etwa KI die Fernsehnachrichten präsentiere.
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Lesen Sie jetzt den vollständigen Beitrag inklusive eines Interviews mit Aimee Rinehart (Associated Press) im „medium magazin“ 05/2024. Der Text ist Teil des SPEZIALS „KI-Effekt“, in dem wir den Fragen nachgehen, was KI im Journalismus wirklich leistet – und welchen Preis wir dafür zahlen wollen. Außerdem im „medium magazin“ 05/24: Die „Hidden Stars“ 2024. Und der Auftakt unserer neuen Serie „Fluchtpunkte“ über Journalistinnen und Journalisten, die in Deutschland im Exil arbeiten. Dazu gibt es wieder jede Menge praktischer Tipps von der Telegram-Recherche bis zur Formatentwicklung mit KI-Tools Das „medium magazin“ 05/2024 ist digital oder als Printausgabe hier erhältlich oder im ikiosk.