Kommt zurück!

Homeoffice ist in der Corona-Zeit populär geworden, jetzt wird der Flexibilität ein Korsett angelegt. Die Menschen werden zurück ins Büro beordert. Die großen Unternehmen machen es vor, die Medienhäuser ziehen nach. Die Hoffnung: Dann steigt die Produktivität. Was dafür aber sinkt, ist die Motivation. Der vollständige Beitrag ist im „medium magazin“ 05/2024 zu lesen.

Text: Jeanne Wellnitz


(c) Dominik-Tryba
Im Februar 2024 hat die
„Bild“-Redaktion um Chefredakteurin Marion Horn ihren neuen Newsroom im Berliner Axel-Springer-Neubau bezogen.(c) Dominik-Tryba

Rund 3.000 Menschen könnten hier arbeiten, im gigantischen Axel-Springer-Neubau, der mitten in den dunkelsten Corona-Monaten im Jahr 2020 eröffnet wurde. Doch viele Plätze bleiben heute noch leer, nicht nur bei der „Bild“. Denn die Pandemie bescherte allen aus der Wissensarbeit neben einigen Zwängen auch ein Stück Freiheit: Sie mussten größtenteils zu Hause arbeiten und Unternehmen lernten, dass auch mit Home­office nicht alles zusammenbricht. Die Arbeit, sie wurde hybrid.

Springer präsentierte den durchde­signten Neubau damals als Wegweiser zur „Digital only“-Zukunft. Mittlerweile würde der Konzern dem womöglich gern noch ein „Office only“ hinzufügen. Doch vermutlich weiß Vorstandschef Mathias Döpfner, dass das nicht ohne massiven Widerstand ginge, und kündigte deshalb im Sommer also „Office first“ an. Das heißt, die Leute sollen bitte zurück ins Büro kommen. Nicht fünf Tage die Woche von morgens bis abends, aber eben öfter. Und hier setzt die Debatte um unsere neue Arbeitswelt an.

Zwei oder drei Tage?

„Die Medien vermitteln den Eindruck, die Konfliktlinie läge zwischen Homeoffice und kompletter Präsenzpflicht“, sagt Florian Kunze. Er ist Professor für Organizational Behavior an der Universität Konstanz und leitet dort das Future of Work Lab. „Dabei geht es eher darum, wie die Tage im hybriden Modell ausgehandelt werden“, sagt er weiter. Kunze und sein Team haben jüngst die neuesten Ergebnisse der Konstanzer Homeoffice-Studie veröffentlicht. Seit vier Jahren befragen sie rund tausend Beschäftigte zum mobilen Arbeiten. Ein Ergebnis: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wünschen sich aktuell drei Tage Homeoffice, Führungskräfte hingegen würden sie lieber drei Tage im Büro sehen.

Die Anzahl der Präsenztage wird häufig durch Richtlinien, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen festgelegt. Mitarbeitende können also zunächst nicht viel mitreden. Dennoch hätten sich viele einfach nicht an die Vorgaben gehalten und wären seltener im Büro gewesen als vorgegeben, berichtet Kunze. Sicherlich auch ein Grund, warum Unternehmen das Korsett nun enger ziehen. „Sie verlangen drei oder vier Tage, und dann kommen die Leute wenigstens zwei, so die Hoffnung“, mutmaßt Kunze. Dabei sei es riskant, die Vorgaben zur Präsenzpflicht zu missachten, kommentiert Arbeitsrechtler Christoph Seidler auf Anfrage. Es könnte eine Abmahnung, mitunter sogar die Kündigung drohen.

„Wenn Menschen von oben diktiert bekommen, täglich im Büro zu sein, und sie diese Notwendigkeit nicht nachvollziehen können, gehen sie.“ 

Mittlerweile häufen sich die Meldungen zur stärkeren Präsenzpflicht. SAP, Google, Meta, die Deutsche Bank, Amazon – sie alle rufen ihre Leute zurück, Amazon sogar für fünf Tage. Vor allem Führungskräfte werden an mancher Stelle gebeten, häufiger vor Ort zu sein. Insgesamt haben laut Konstanzer Studie bislang allerdings nur rund ein Fünftel der Unternehmen die Präsenzregeln verschärft. Es ist also noch kein flächendeckendes Phänomen.

Mirijam Trunk beobachtet das Geschehen mit gemischten Gefühlen. „Ich habe den Eindruck, viele Unternehmen schauen auf diese Beispiele und denken sich dann: Wenn die das machen, dann machen wir das auch.“ Die ausgebildete Journalistin kennt die Branche; die 33-Jährige hatte einige Führungspositionen im Konzernverbund Bertelsmann inne. Hinzu käme, sagt sie, dass das Bedürfnis nach Kontrolle in wirtschaftlich rauen Zeiten wachse. Und wenn New-Work-Vorreiter wie SAP und Google nun strenger werden, dann kann doch daran nichts falsch sein, oder?

Schaut man auf die Daten der Homeoffice-Studie, lautet die Antwort: Doch! „Wenn Menschen von oben diktiert bekommen, täglich im Büro zu sein, und sie diese Notwendigkeit nicht nachvollziehen können, gehen sie“, sagt Florian Kunze. Worst Practice: Eine Mitarbeiterin pendelt auf der vollgestopften Straße oder im überfüllten Zug ins Büro und sitzt dann in einem Videocall nach dem anderen in einer muffigen Kabine, weil es im Großraumbüro zu laut ist.

„Ein Mitarbeiter besteht nicht nur aus dem Faktor Arbeitskraft“ 

Eine Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln ergab, dass die Fluktuation in Unternehmen mit strikter Anwesenheitspflicht im Büro um bis zu 30 Prozent höher ist als in Unternehmen mit flexibleren Homeoffice-Regeln. Und auch Amazons Return-to-Office-Richtlinie, die ab Januar 2025 gelten soll, löst Frustration und Unmut aus. Eine nicht repräsentative Befragung unter 2.585 verifizierten Amazon-Beschäftigten in den USA ergab: 91 Prozent sind mit der Regel unzufrieden, 73 Prozent suchen einen neuen Job und 80 Prozent kennen Kolleginnen und Kollegen, die wechseln wollen.

„Es gibt auch Unternehmen, die so Stellenabbau umsetzen wollen“, sagt Kunze. Diese Strategie sei nicht besonders clever, denn: Es gehen meist begehrte High Performer. Eine stärkere Präsenzpflicht löst außerdem mehr Belastung und Erschöpfung aus. Die Zahl verdoppelt sich fast im Vergleich, sagt die Konstanzer Home­office-Studie. Von den Befragten aus Unternehmen ohne Präsenzpflicht fühlten sich 21 Prozent mental erschöpft, von jenen mit Präsenzpflicht sind es 38 Prozent. In den Köpfen des oberen Managements sollte die tradierte Erwerbsethik „Präsenz = Leistung“ also bestenfalls einem balancierteren Blick auf den arbeitenden Menschen weichen. „Ein Mitarbeiter besteht nicht nur aus dem Faktor Arbeitskraft“, sagt Mirijam Trunk. Arbeitgeber sollten sich eher fragen: Wo und wie bringt eine Person den besten Output, statt sie zur Präsenz zu mahnen. Hier sind die Führungskräfte gefragt.

So wie derzeit auch beim Verlag Axel Springer. Dort wurde Döpfners Office-first-Weisung an die unteren Managementebenen weitergegeben. Sie hätten Konzepte entwickelt, die gerade mit den jeweiligen Betriebsräten abgestimmt werden, heißt es aus der Pressestelle. Dabei werden aufgabenspezifische sowie individuelle Anforderungen und Rahmenbedingungen berücksichtigt. Was das genau heißt? Darüber zu sprechen, sei „aktuell nicht darstellbar“.

Dabei wäre ein Blick in solch ein Konzept das, was sich viele Führungskräfte gerade wünschen würden. […]


"medium magazin" 05/2024 Hidden Stars Die heimlichen Heldinnen und Helden der Redaktionen 2024. Exiljournalismus: Die Heimat verlassen, in Berlin neu gestartet – und nie verstummt. Homeoffice Adieu: War’s das mit New Work im Journalismus? spezial: Sie ist gekommen, um zu bleiben. Was leistet die KI?Der vollständige Beitrag inklusive Interview mit Nicole Basel („Impulse“) über virtuelles Führen ist im „medium magazin“ 05/2024 zu lesen. Dort finden Sie außerdem die „Hidden Stars“ 2024 und den Auftakt unserer neuen Serie „Fluchtpunkte“ über Journalistinnen und Journalisten, die in Deutschland im Exil arbeiten. Außerdem: das SPEZIAL „KI-Effekt“, in dem wir den Fragen nachgehen, was KI im Journalismus wirklich leistet – und welchen Preis wir dafür zahlen wollen. Dazu gibt es wieder jede Menge praktischer Tipps von der Telegram-Recherche bis zur Formatentwicklung mit KI-Tools Das neue „medium magazin“ ist ab sofort digital oder als Printausgabe hier erhältlich oder im ikiosk.