„Likes brauche ich nicht“

Peter Kloeppel, RTL
Goodbye, Anchorman! Ende August moderiert Peter Kloeppel zum letzten Mal „RTL ­aktuell“.
Foto: RTL / Anne Werner

„Likes brauche ich nicht“ … aber wenn Peter Kloeppel heute noch mal als Journalist anfinge, würde er mehr Social Media machen. Wie der scheidende RTL-Anchorman seinen Weg ging, seine Fähigkeiten und Defizite erkannte und wie er die Zukunft des Journalismus sieht. Dieses Interview ist im „medium magazin“ erschienen. Das gesamte Gespräch mit Peter Kloeppel können Sie in der Ausgabe 03/24 lesen.

Interview: Annette Milz & Frederik von Castell


Zugegeben, in den vergangenen Wochen sind bereits ein paar Interviews mit Peter Kloeppel erschienen. Kein Wunder, wenn ein so prominenter und beim Publikum beliebter Journalist seine mehr als drei Jahrzehnte währende Präsenz als RTLs News-Anchor ausklingen lässt. Ist also alles schon gesagt, nur noch nicht von jedem? Nein. Mit Kloeppel verabschiedet sich ein über Jahrzehnte präsenter Journalist bei RTL, mit dem man nicht nur hervorragend über die Vergangenheit sprechen kann. Als Nachrichtenmann ist Kloeppel auch beruflich in Gegenwart und Zukunft zu Hause. Sein Engagement in der journalistischen Ausbildung dauert Jahrzehnte an, Kloeppel macht sich fortwährend Gedanken um die Zukunft des Journalismus.

Frederik von Castell: Mit 32 erster USA-Korrespondent bei RTL, mit 35 Moderator der Wahlsendungen, mit Mitte 40 Chefredakteur und bis heute Chefmoderator. Haben Sie jemals eine berufliche Chance ungenutzt gelassen?

Peter Kloeppel: Nein, die Chancen, die sich mir bei RTL boten – und das waren zum Glück sehr viele – habe ich so gut wie alle ergriffen. Die Unterhaltung mal ausgenommen, das war nichts für mich. Ende der 90er habe ich zwar dreimal ein Nachrichtenquiz mit Rudi Carell als Produzent moderiert, das sehr lustig und erfolgreich war, aber dann war es auch gut. Einen echten „Hätte ich doch nur …“-Moment, den gab es nicht.

Annette Milz:Claus Kleber sollte einst mal „Spiegel“-Chefredakteur werden. Wollte Sie denn niemand mal abwerben?

Wenn Anfragen kamen, und es waren nicht viele, war meine Reaktion immer: „Nö, eigentlich nicht.“ Jobs als Print-Chefredakteur wurden mir eh nie angeboten. Ich kenne meine Fähigkeiten, aber auch meine Defizite. Und war ehrlich gestanden nie wirklich in Versuchung, irgendwo anders hinzugehen. Denn ich habe schnell gemerkt, dass ich bei RTL genau richtig bin, auch weil ich hier so viel ausprobieren und umsetzen kann.

Milz: Sie werden oft nach Ihren wichtigen Meilensteinen gefragt – wie dem 11. September 2001, als Sie siebeneinhalb Stunden durchmoderiert haben. Gab es auch Situationen, bei denen Sie gerne länger auf Sendung geblieben wären, das Programm es aber nicht zuließ?

Oh, die gab es immer wieder. Länger auf dem Schirm bleiben heißt ja, eine Nachrichtenlage in ihrer Entwicklung „ongoing“ zu begleiten, zu kommentieren. Man hat uns bei RTL aber eigentlich immer freie Hand gelassen, wenn wir es wirklich wichtig fanden, länger und mehr zu senden. Das war besonders in der Pandemie der Fall, als wir etliche Sondersendungen gemacht haben. Aber wir müssen natürlich auch Rücksicht auf das Programmschema nehmen. Unsere Nachrichtensendungen können nicht mit Werbung unterbrochen werden. Da müssen auch wir als Redaktion dann mal sagen: Okay, gut, jetzt ist Schluss. Wir sind ein kommerzieller Sender und leben davon, dass wir mit Werbung unser Geld verdienen. Das ist auch gut so.

von Castell: Welches Interview hätten Sie denn gerne trotzdem noch vertieft?

Da gab es durchaus einige, nur haben da meist die Gesprächspartner das Limit gesetzt. Ich erinnere mich an Interview-Termine mit Angela Merkel, für die wir extra nach Berlin geflogen sind und man uns mitteilte: Sie haben zwölf Minuten mit der Kanzlerin. Da fragt man sich schon frustriert, was da herauskommen soll.

Milz: Wir alle kennen ja das Gefühl nach einem Interview, hach, das hätte ich unbedingt noch fragen müssen. Haben Sie mal eine wichtige Frage völlig vergessen zu stellen?

Fundstücke aus dem "medium magazin"-Archiv: Peter Kloeppel im Fragebogen 1997 (links) und rechts auf dem Cover nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Schlagzeile: "Anker im Bildermeer"
Fundstücke aus dem „medium magazin“-Archiv: Peter Kloeppel im Fragebogen 1997 (links) und rechts auf dem Cover nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Die Antworten von Peter Kloeppel im Fragebogen 1997 haben wir anlässlich seines Abschiedes hier erneut veröffentlicht.
Da fällt mir keine spezielle Situation ein. Aber dass ich mir sage: „Wie konntest du das nicht fragen?“, passiert mir nach fast jedem Interview, vor allem den kurzen 2:30-Minuten-Gesprächen. Gerade wenn man sich bei einem großen Thema beschränken muss, wird die Hauptfrage aus Zeitgründen oft unzureichend beantwortet. Am liebsten würde ich dann fünf, sechs, sieben Mal dieselbe Frage stellen – auch wenn ich mich selbst dann hinterfrage: Interessiert nur mich das jetzt so brennend? Oder will ich nur den Nachweis liefern, dass ich hartnäckig bin? In den meisten Fällen sind die Gesprächspartner inzwischen leider so gewieft, dass sie auch nach der sechsten Nachfrage keine zufrieden stellende Antwort geben.

von Castell: Welche Themen finden in Ihren Augen bei „RTL aktuell“ zu wenig Beachtung?

Grob vernachlässigte Themen sehe ich nicht bei uns. Waren wir immer vollständig? Natürlich nicht. Eine Kernaufgabe von Journalisten besteht ja auch darin, aus der alltäglichen Themenflut auszuwählen. Mit unserem Informationsangebot, das ja nicht nur aus „RTL aktuell“ besteht, können wir viele, unterschiedliche Facetten und Themenbereiche abbilden. Das kann am Morgen eine andere Farbe und Tonalität haben als am Mittag, am frühen Abend mit unserer Nachrichtensendung und am späteren Abend mit „RTL direkt“ oder dem „Nachtjournal“. Natürlich sagen Zuschauer immer wieder mal, dieses oder jenes Thema hätten die sich besser oder noch genauer anschauen sollen. Aber etwa mit Sendungen von Günter Wallraff oder seit 2023 auch mit meinem Format „Durchleuchtet“ können wir ein Thema auch mal bis zu zwei Stunden lang fokussiert aufgreifen. Das hätte ich mir vor 20 Jahren so noch nicht vorstellen können.

Milz: Als dienstältester Anchorman im deutschen Fernsehen verraten Sie uns doch bitte ein paar handwerkliche Tricks. Zum Beispiel wie man mit einem Hänger umgeht?

(lacht) Ich habe mir über die Jahre die Fähigkeit angeeignet, auch bei Blutleere im Kopf noch weiter reden zu können. Wenn ich merke, oh, da entsteht gerade ein Loch in meiner Argumentation, schafft es mein Gehirn in einer Art „Notfall-Modus“ trotzdem, Worte zu formulieren, die diese drei, vier Sekunden Leere im Hirn halbwegs überdecken – und in dieser Zeit finde ich fast immer auch den verloren gegangenen Faden wieder.

Milz: … und wenn das trotzdem nicht hilft?

Dann macht man das den Zuschauern am besten transparent. Wenn ich merke, dass es schwierig wird, weil ich eine Situation so noch nie erlebt habe, spreche ich das aus. Als Beispiel: 2021 hatten wir während einer unserer Sendungen einen Stromausfall im Studio. Ich saß plötzlich im Dunkeln, die Zuschauer konnten mich aber noch hören. Da war ich selbst zuerst baff, dachte, das gibt es doch gar nicht – aber schweigen war auch keine Lösung. Da hilft nur eine Erklärung und sich und den Zuschauern zu sagen: Versuchen wir einfach, mit dieser ungewöhnlichen Situation irgendwie umzugehen, dann funktioniert es schon. Und so war es dann auch.

von Castell: Als Sie mit der Smartphone-Leuchte in der Hand im dunklen Studio saßen: Haben Sie dabei an den „Torfall von Madrid“ 1998 von Günther Jauch und Marcel Reif denken müssen?

Das war einfach irre gut: Die beiden haben damals bei dem Champions-­League-Spiel die lange Wartezeit weg- und Fernsehgold herbeimoderiert. Die Professionalität und Souveränität, mit der sie das geschafft haben, war beeindruckend. Genau so – statt mit großen, weit aufgerissenen Augen – muss moderiert werden bei einer Panne. Und ja, ich habe in dem Moment des Stromausfalls auch gedacht, dass wir diese Situation überbrücken, sie erklären und einfach drauf bleiben müssen.

von Castell: Aber wieso sind Sie überhaupt auf Sendung geblieben? Haben Sie sich kurz bei dem Gedanken ertappt: Wenn das noch zehn Minuten so weitergeht, ist das Fernsehgold?

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Cover des Die Ausgabe medium magazin 03/2024  mit allen „Top 30 bis 30“-Talenten im Journalismus und dem großen Interview mit Peter Kloeppel zu seinem Abschied als RTL-Anchorman über seine Fähigkeiten, seine Defizite und wertvolle Tipps, etwa dazu, wie man live Blutleere im Kopf meistert. Außerdem: Im „Spezial: Talente finden“ erfahren Sie, welche Probleme Medienhäuser bei der Suche nach Nachwuchs haben – und wie sie sie lösen wollen. Dazu wie immer jede Menge Nutzwert für die journalistische Praxis (etwa zu sicheren Recherchieren und wie man Berliner Behörden-Chaos mit Datenjournalismus auf die Schliche kommt). Das neue „medium magazin“ ist ab sofort digital oder als Printausgabe hier erhältlich.