Quo vadis dpa & Co?
Zur Krise der Nachrichtenagenturen: Ex-reuters-Chef Wähner-Schmidt über die Anforderungen an die Agenturen, die Chefredakteure Dirk Lübke und Sergej Lochthofen im Pro & Contra zu dpa(TIPP: s.a. Beitrag „Dienste unter Druck“: Wie sich die Nachrichtenagenturen neu orientieren im Markt, mediummagazin 3/2009, Seite 22ff,
s.a. unter MAGAZIN +: Daten & Fakten zum Agenturmarkt, http://arm.in/1hl)
Wolfgang Wähner-Schmidt: „Es fehlt an klaren Alleinstellungsmerkmalen“
Zur Person: Wolfgang Wähner-Schmidt, 53, hat mehr als 20 Jahre für Reuters gearbeitet. Er baute das deutsche TV-Geschäft auf und war weltweit für die TV-, Foto- und Onlineaktivitäten zuständig. Zuletzt leitete er die Reuters-Dienste in Mittel- und Osteuropa. Seit gut einem Jahr berät er Medienunternehmen.
Woher kommt die Agentur-Krise?
Wolfgang Wähner-Schmidt: Die große Vielfalt auf dem deutschen Agenturmarkt täuscht. Die Angebote sind oft zu ähnlich: Es fehlt an klaren Alleinstellungsmerkmalen. Deshalb entscheidet im Zweifelsfall der Preis. Das trifft in erster Linie dpa und AP, während ddp und AFP davon profitieren. Zweitens ist das Agentur-Angebot in Deutschland journalistisch wie technologisch wenig innovativ: Es wird immer noch in alten Ressortstrukturen gedacht, moderner Onlinejournalismus und Multimedia finden bei den Agenturen in Deutschland abgesehen von einer paar Links und RSS-Feeds kaum statt. Drittens stehen tatsächliche Nutzung der Agenturen und ihr traditionelles Geschäftsmodell zunehmend im Widerspruch: Der rasante Anstieg der Onlineangebote hätte einen Boom für die Agenturen auslösen müssen, denn Agenturmaterial ist für alle diese Seiten lebenswichtig. Tatsächlich ist es so, dass die Agenturen nach wie vor in erster Linie von den Zeitungen leben. Nun sagen aber die Zeitungen, die sich zunehmend als tägliche Magazine verstehen, sie hätten immer weniger Verwendung für Agenturmaterial. Das heißt, die Zeitungen wollen nicht mehr zahlen. Online hingegen will noch nicht zahlen, weil es noch kein Geld verdient. Das ist momentan der Teufelskreis.
Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein?
Die Kündigung der dpa durch die WAZ ist sicher ein Höhepunkt, aber dieser Trend besteht schon seit der letzten Zeitungskrise und wird sich eher verschärfen, wenn die Agenturen es nicht endlich schaffen, sich so zu erneuern, dass man auf sie nicht verzichten will. Auch die Agenturen brauchen einen Relaunch.
Wie steht es um die Agenturen abseits der dpa?
Wir haben mit dem ddp, diversen Fachdiensten wie KNA, epd und sid sowie deutschen Ablegern von AP, AFP und Reuters zwar weltweit die größte Vielfalt. Aber wegen des enormen Preisdrucks und der knappen Margen wird nicht investiert. So bieten etwa weder AP noch Reuters in ihren deutschen Diensten die Multimedia-Anwendungen an, die ihre internationalen Angebote längst haben.
Ist die Krise der Agenturen also ein deutsches Problem?
Im Gegenteil: Mit einer dpa als nationaler Agentur, die staatsfern, wirtschaftlich vergleichsweise erfolgreich und journalistisch ordentlich gemacht ist, steht Deutschland im internationalen Vergleich ganz gut da. AP, AFP, ddp, Reuters sorgen für Wettbewerb, wie es ihn in anderen Ländern kaum gibt: AFP dominiert den französischen Markt, AP die USA, die Press Association den britischen Inlandsmarkt. Reuters hat inzwischen im Netz eine sehr erfolgreiche frei zugängliche eigene Nachrichten-Seite. AP, Reuters und auch eine kleine PA trumpfen aber noch mit weiteren Innovationen auf: „User generated content“, die Nutzung von Social Media oder mobile Dienste sind in den USA und in Großbritannien viel weiter entwickelt. Hier führte „Bild“ den Leserreporter ein und „Spiegel Online“ twitterte live von den Oscar-Verleihungen. Dabei müssten genau da die Agenturen aktiv werden und Innovationen anbieten, die ihren Kunden Mehrwert verschaffen und neue Erlösquellen erschließen.
Sind die Agenturen zu träge?
Agenturen haben in erster Linie die auch medienpolitisch wichtige Aufgabe, zuverlässig, möglichst verständlich und auch noch möglichst rund um die Uhr alle relevanten Fakten zu berichten. Und das verlangt einen Apparat mit gewissen Regeln, der manchmal zur Schwerfälligkeit neigt. Das Motto “Be first, but first be right” gilt unverändert. In jedem Fall fällt es aber gerade in Deutschland den Agenturen schwer, mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten: Noch immer wird kaum multimedial gearbeitet. Die Zusammenlegung von Text, Foto, Internet und Video dauert viel zu lange.
Ein düsteres Bild, oder?
Im Tagesverlauf hat bei den vielen Redakteuren der schnelle Klick auf „Spiegel Online“ den Blick auf die Agenturen abgelöst. Das liegt auch an der Präsentation: Agenturen laufen bei den meisten Redaktionssystemen immer noch als getrennte Text- und Fotofeeds ein, das ist wenig attraktiv. Ich sehe große Chancen, wenn Agenturen verstärkt in eigene Recherchen investieren, journalistische Kompetenz in wichtigen Themengebieten aufbauen und das dann multimedial aufbereiten. Dann wird es auch wieder attraktiver, als Journalist bei einer Agentur zu arbeiten.
Pro & Contra dpa:
PRO: Dirk Lübke: „Warum wir auf Dauer nicht ohne dpa konnten“
Zur Person: Dirk Lübke war bis zum Jahreswechsel Chefredakteur der Zeitungsgruppe Lahn-Dill. Sie gibt diverse Zeitungen in Mittelhessen heraus, unter anderem die „Wetzlarer Neue Zeitung“, die „Marburger Neue Zeitung“ und die „Dill-Post“.
„Die Zeitungsgruppe Lahn-Dill mit ihren gut 70.000 täglich verkauften Exemplaren, einer Vollredaktion und acht Lokalredaktionen hat mit mir als Chefredakteur von 2004 bis 2006 vorübergehend auf die Dienste von dpa verzichtet. Damals arbeitete die dpa erst monatelang an einer neuen Preisstruktur, die dann aber für kleinere und mittlere Verlage wie uns keine entscheidenden Kostenvorteile brachte. Wir ließen unsere bisherigen Verträge aber auch auslaufen, weil uns der Landesdienst in Sachen Aktualität und Relevanz nicht immer zufriedenstellte. Gleiches galt für das Fotoangebot.
Unser Agenturmix bestand fortan aus ddp, AFP, AP und sid. Dabei zeigte sich, dass der ddp-Landesdienst nicht die hinreichende Kapazität hatte, um unseren Ansprüchen einer regionalen Abo-Zeitung konsequent zu genügen. Zunächst haben wir versucht, diese Lücken mit eigenen Lösungen zu stopfen. Dabei kam etwa eine pragmatische wie professionelle Kooperationen mit der „Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen“ aus Kassel zustande, mit der wir die Defizite des ddp bei der Berichterstattung über die Landespolitik mildern konnten.
Doch trotz dieser Kooperation ließ sich mit 12 Mantelredakteuren (8 für Nachrichten und 4 für Sport) auf Dauer keine ordentliche Landesberichterstattung durchhalten. Dass wir nach den drei Jahren entschieden haben, zur dpa zurückzukehren, hat auch damit zu tun, dass dpa in der Zwischenzeit ihren Service verbessert hatte und insgesamt Kundenfreundlicher auftrat.
Dazu kam die Erkenntnis, dass ein Landesdienst – egal welcher Agentur – nur dann verzichtbar ist, wenn die Lokalredaktionen einer Zeitung ein Bundesland nahezu komplett abdecken. Da hat es beispielsweise die Zeitungsgruppe Thüringen einfacher, weil sie das Bundesland – wenn auch mit drei separaten Titeln – nahezu vollständig abdeckt. Die Zeitungsgruppe Lahn-Dill hält hingegen nur etwa ein Siebtel der hessischen Fläche besetzt und ist deshalb auch regional auf Zulieferungen der Agenturen angewiesen.“
CONTRA: Sergej Lochthofen: „Wie es auch ohne dpa klappt.“
Zur Person: Sergej Lochthofen ist Chefredakteur der „Thüringer Allgemeinen“, die zum WAZ-Konzern gehört. Das Essener Medienhaus hat ihre Verträge mit der dpa zum jüngsten Jahreswechsel für mehrere Titel auslaufen lassen, neben der „Thüringer“ auch für ihr Hauptblatt, die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“.
„Die Redaktion der „Thüringer Allgemeine“, die auf Bild- wie Textdienste von dpa verzichtet, hat auf diese Herausforderung kreativ reagiert und eine eigene Agentur gegründet: die „tagentur“. So sind wir in der Lage, über den eigenen Bedarf hinaus anderen Titeln der Zeitungsgruppe Nachrichten und Berichte aus Thüringen zu liefern. Unser täglicher Umfang an Nachrichten aus Thüringen liegt inzwischen höher als das Angebot von dpa und ddp zusammen.
Wir sind guter Hoffnung, diese Leistungen, zu denen auch Ratgeber und Fotos zählen, künftig auch anderen Interessenten in Thüringen anbieten zu können, da wir durch unsere Lokalredaktionen über ein nahezu thüringenweites Netz an qualifizierten Journalisten verfügen. Eine traditionelle Agentur kann so etwas regional oder lokal überhaupt nicht leisten.
Wenn es also um die ureigenste Sache einer Regionalzeitung geht, im konkreten Fall die Berichterstattung über Thüringen, glaube ich, dass die Thüringer Allgemeine am ehesten den Verlust des dpa-Angebots kompensieren kann. Wir hatten aber auch schon vorher praktisch kaum regionale Nachrichten von Agenturen in der Zeitung sondern hatten immer den Anspruch, mit der „Thüringer Allgemeinen“ das wichtigste regionale Informationsmedium zu sein.
Ein Vergleich der Berichterstattung über die tragischen Ereignisse um den verunglückten Ministerpräsident Dieter Althaus zeigt darüber hinaus, dass die Redaktion letztlich mit den eigenen Recherchen den Lesern ein besseres Angebot machen konnte als Wettbewerber, die sich auf die Zulieferung einer Agentur verließen. Allenfalls im Sport, und da abseits der Top-Ereignisse, ist der Aufwand für die Redaktion gestiegen.
Dennoch will ich die Situation nicht schönreden. Schon aus historischer Sicht fällt der Verzicht auf dpa besonders schwer: Wir waren die ersten Kunden der Agentur im Osten und wissen, was die dpa für die Entstehung der freien Presse nach dem Mauerfall geleistet hat. Da kann man nicht genug danken.
Aber, um uns tobt der Sturm. Da reicht es nicht aus, über die falsche Wettervorhersage zu lamentieren. Viele Jahre lief die Unterstützung im Konzern von West nach Ost, nun ist es an uns, Solidarität zu zeigen. In der Redaktion ist klar, dass definitiv keine dpa-Nachrichten verwendet werden können.
Dessen ungeachtet befremdet mich die derzeitige Diskussion über einen etwaigen Missbrauch. Wer in einer Zeitung arbeitet weiß, wie oft die Nachrichten aus dem eigenen Blatt von anderen in der Branche nachgearbeitet werden. Nicht zuletzt auch von Agenturen. Ich habe mich über diese Praxis nie gegenüber dpa beschwert. Und ich hoffe, dass beide Seiten auch künftig dafür keinen Anlass sehen. Zumal wir mit unserem Thüringen-Ticker im Internet, der aktuellsten und umfassenden Nachrichtenquelle in der Region, sehr offen arbeiten.“
Interview und Zusammenstellung Pro&Contra: Daniel Bouhs