MP3-Player, Handys, iTunes, Last FM, Musicload, My- Space, Hobnox, Napster und Co. – die Liste der Konkurrenten im Netz, die um die Ohren junger Musikfans buhlen, wird immer länger. Und das herkömmliche Radio wird von den 14- bis 29-Jährigen immer weniger eingeschaltet. Doch statt der digitalen Übermacht einen sinnlosen Kampf anzusagen, verschmelzen innovative Radiomacher die regionale Bindungskraft des klassischen Hörfunks und die interaktiven Möglichkeiten des Internets zu erfolgreichen neuen Konzepten jenseits von Playlists, Podcasts und Programminformationen. „Wer gute Inhalte hat, braucht den iPod nicht zu fürchten", sagt Eric Markuse, Programmchef des MDR-Jugendsenders Sputnik. Denn der MP3-Player wolle auch stets mit neuer Musik befüllt werden. Auch Stefan Warbeck, Chefredakteur des ORB-Jugendkanals Fritz, betont, dass Sender mit jungen Zielgruppen ihre Chance als Inspirationsquelle für neue Musik nutzen müssen. Dazu gehöre mehr als nur Playlists abzuspielen. „Guter Musikjournalismus ist heute wichtiger denn je", findet Warbeck. Dabei führe die Abkehr vom Einheitsbrei des Formatradios nicht etwa zurück zum Einschaltsender aus der Vorzeit des Audience Flow, sondern auf eine gemeinsame Stufe mit den Hörern. „Neue Musik spielen wir zuerst", lautet das Motto von Fritz, das den Sonntag zum „Sound Tag" für neue Musik macht, im Format „Unsigned" Klänge aus Berlin und Brandenburg spielt und die „Fritz Nacht der Talente" feiert. „Wir stellen die Musik von jungen Bands in ihrer ganzen Bandbreite vor und fördern damit ein Stück Jugendkultur", sagt Warbeck.
Gemeinsame Plattform. Weil lineare Sendezeiten on air naturgemäß begrenzt sind, spielt sich der Austausch der Sender mit ihren Nutzern vor allem auf Radio-Community-Seiten ab. Im Dezember 2007 vernetzten Fritz, Sputnik und die junge HR-Welle YOU FM ihre Web 2.0-Netzwerke auf einer gemeinsamen Datenbank, auf die von allen drei Communities zugegriffen werden kann. Die Dreier-Plattform hat mittlerweile rund 20.000 registrierte Nutzer. Mehr als 2.000 regionale Musiker und Bands haben hier ihre Profile angelegt, bieten Hörproben und Downloads an und diskutieren mit Fans. Dass der demokratische Diskurs mit den Usern Spaß machen kann, bekennt YOU FM-Multimedia-Redakteur Florian Gast, der die Plattform myYOU-FM.de betreut: „Programmmacher und Community arbeiten miteinander, wir spielen richtig Pingpong."
Sputnik hat sogar einen Weg gefunden, seine interaktive Community MySputnik.de zurück ins lineare Programm zu führen: Die Jugendwelle sendet mit der Live-Show „MySputnik.de" täglich einen vierstündigen Best-of-Querschnitt aus ihrer gleichnamigen Community. Im Radio gibt es vertonte Blogs aus der Netzgemeinschaft zu hören, im „Soundcheck" wird die Band des Tages vorgestellt, die zuvor ihre Musik auf die Netzplattform hochgeladen hat und Community-Nutzer kommen live in die Sendung. Insgesamt haben 30 Programmstunden pro Woche einen unmittelbaren Bezug zur Netzgemeinschaft. Und die Rechnung scheint aufzugehen: Sputnik erreicht laut Markuse im Sendegebiet inzwischen jeden vierten 20- bis 29-Jährigen „mit Abi und DSL". Zuvor war nicht einmal jeder Sechste aus dieser Kernzielgruppe ein Sputnik-Fan. Außerdem hat Sputnik im Web das Problem mangelnder Frequenzen gelöst. Per UKW ist der Sender nämlich nur im Umkreis von Halle und Leipzig zu empfangen und kommt dabei auf eine Tagesreichweite von nur 120.000 Hörern. Doch mit 760.000 Zugriffen auf den Livestream pro Monat und einer durchschnittlichen Hördauer von 72 Minuten pro Zugriff ist Sputnik das mit Abstand erfolgreichste Webradio des MDR. „Wir sind ein UKW-Zwerg, aber ein Internet-Riese", sagt Programmchef Markuse.
Starke Angebote. „Radiosender werden nicht verhindern können, dass ihre Hörer zunehmend das Internet nutzen. Sie können aber sicherstellen, dass ihre Hörer auch im Internet bei ihnen bleiben", betont Marc Drüner, Professor für Marketing- und Innovationsmanagement an der Berliner Steinbeis-Hochschule. „Radiosender können im Internet mit Aktualität, Regionalität und redaktioneller Kompetenz punkten", so der Web 2.0-Experte. Allerdings müssten sie ihre Stärken durch geeignete Angebote glaubwürdig ins Netz transferieren – ob durch Kooperationen mit großen Social Networks, die Entwicklung eigener Angebote oder mit gebrandeten Anwendungen (Widgets) bei Facebook, MySpace & Co. „Es gibt auf Facebook gegenwärtig weit über 1.000 Anwendungen zum Thema Musik. Die wenigsten davon sind von Radiosendern, deren Kernkompetenz dieses Feld doch eigentlich sein sollte", wundert sich Drüner. Auf Webkooperationen sind vor allem kleinere kommerzielle Stationen angewiesen, denen es schwer fällt, genügend Nutzer für eine Refinanzierung durch Werbung auf ihre Communitysites zu locken. Deshalb schlägt die Stunde der Dienstleister. So betreibt die Spin AG gebrandete Communities für über ein Dutzend deutsche Radiosender und vermarktet sie gemeinsam mit ihrer eigenen Spin-Community (mit über 12 Mio. monatlichen Visits laut IVW Stand: Juli/08) im Netzwerk.
Auch Radio RPR1 lizensiert seine vor einem Jahr gestartete Insider-Community seit Juni 2008 als White-Label-Lösung an bislang 15 private Radiostationen in Deutschland und Österreich und bietet auf diese Weise ein überregionales Netzwerk für Werbekunden. Zunehmend gehen auch Radiosender mit eigenen Communities zusätzliche Partnerschaften mit MySpace ein. Radio Energy z. B. sammelt Hunderte von Bandprofilen auf einer eigenen Seite bei MySpace. Jeweils eine von MySpace-Nutzern ausgewählte Siegerband darf bei der Open-Air-Konzertreihe „Energy in the Park" vor bis zu 40.000 Zuschauern spielen. Partnerschaften mit reichweitenstarken Web 2.0-Netzwerken wie MySpace oder auch der Video-Community MyVideo bieten Vorteile, sagt Carola Gierse, Internet & Digital Product Manager der Radio NRJ GmbH in Hamburg: „Das verstärkt das Interesse an unserem Content und wir rekrutieren neue User aus der Zielgruppe."
Mit diesem Argument wirbt auch Christoph Urban, Marketingdirektor bei MySpace Deutschland, um neue Partnerschaften: „MySpace bietet Radios die Chance, einen Feedback-Kanal genau dort aufzumachen, wo die Zielgruppe schon ist." Allerdings ziehen MySpace, Facebook und Co. momentan vor allem unter 25-Jährige an, doch Drüner prophezeit, dass nach der Pionierphase „in nicht allzu ferner Zukunft diese Angebote den Massenmarkt und damit auch ein erwachsenes Zielpublikum erreichen werden".
Freier Zugang zur Musik. Am weitesten treibt Big FM den Web 2.0-Gedanken. Die Stuttgarter Young-Urban-Musiksenderkette gibt für die rund 75.000 Mitglieder ihrer bigMusic Community seit Januar 2008 sukzessive ihre gesamte Musikdatenbank für von Nutzern gestaltete Live-Streams frei. Bisher stehen über 60.000 Titel zur Auswahl, zum Jahresende sollen es über 200.000 sein. Die Nutzer können aus einer computergenerierten Vorauswahl darüber abstimmen, welcher Titel in sechs Genre-Streams und einem Newcomer-Kanal als nächstes gespielt werden soll. Zusätzlich gibt es den linearen Big FM Livestream. „Es ist das erste Mal in Deutschland, dass der Konsument ohne redaktionellen Einfluss im Realtime-Verfahren die Reihenfolge von Musiktiteln bestimmt", verkündet Kristian Kropp, Geschäftsführer und Programmdirektor von Big FM. „Das Erfolgserlebnis ist unmittelbar. Wenn eine Fangruppe viele Mitstreiter mobilisiert, dann können sie den nächsten Song bestimmen."
Um dabei auch echte Talente und neue Musiktrends zu entdecken, kooperiert bigMusic dabei unter anderem mit der Pop-Akademie Baden-Württemberg und Netzplattformen wie Justaloud.com. Inzwischen bestimmen bei Big FM die Nutzer auch in ausgewählten Radioshows mehrheitlich darüber, welche Musik gespielt wird.
Erschienen in Ausgabe 10/2008 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 20 bis 21 Autor/en: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist
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