Anne Will: „Ich bin keine Erziehungsberechtigte“

Über die Lehren für den Journalismus und das Streitgespräch in der Pandemie: die ARD-Starmoderatorin im exklusiven Interview 

 

Anne Will hält wenig von einer solchen Aussage: „Nach der Pandemie wird nichts wird mehr so sein wie es war“. Die Moderatorin der gleichnamigen ARD-Sendung „Anne Will“ ist überzeugt, dass „vieles, was uns als Gesellschaft, auch uns als Journalistinnen und Journalisten, ausmacht, nach der Pandemie wieder genau so sein, wie es war.“ Gleichwohl werde uns alle das Wissen, wie sehr eine Gesellschaft durch eine Pandemie verwundbar sei, noch lange begleiten. „Aber das wird uns nicht grundsätzlich aus den Angeln heben“.

Im Interview mit medium magazin 03/2020 spricht die 54-Jährige, die seit 13 Jahren die wichtigste politische Talksshow im deutschen Fernsehen moderiert, unter anderem über die politische Gesprächskultur, ihre Gästeauswahl und das aktuelle politische Klima.

Gefragt, ob sie eine Spaltung der Gesellschaft befürchte angesichts der wachsenden Demonstrationen im Land, sagt Anne Will: „Ich sehe diese Gefahr einer Spaltung wirklich nicht“. Sie glaube, dass „die heute weit verbreitete Einsicht in die Notwendigkeit der Schutzmaßnahmen“ eine  „Instrumentalisierung durch Verschwörungserzähler nur sehr begrenzt“ zulasse. Auch deswegen appelliert sie an Kolleginnen und Kollegen im Journalismus: “Wir sollten da nichts dramatisieren, sondern ganz sauber und nüchtern sagen, was ist.“

Heute brauche es mehr denn je „konstruktive, wertschätzende Debatten – auch als Gegenentwurf zu der mitunter enthemmten Diskussion in den sogenannten sozialen Netzwerken“.

Nach dieser Devise gehen sie und ihre Redaktion auch bei der Gästewahl vor:  Wer sich nicht konstruktiv an einem Gedankenaustausch beteiligen wolle, gehöre nicht in ihre Sendung. „Das ist aber keine Frage einer Parteizugehörigkeit, sondern der Grundhaltung.“ 

„Anne Will“ im Zeichen der Pandemie: Mit weiten Sitzabständen und ohne Publikum im Studio – wie hier am 17. Mai in der Sendung zum Thema: „Corona-Einschränkungen – waren und sind die Grundrechtseingriffe verhältnismäßig?“ Foto: NDR/Wolfgang Borrs

Man müsse sich da auch immer wieder die Grenzen des eigenen Tuns klarmachen. Als Journalistin sei sie keine „Erziehungsberechtigte“, betont Anne Will. „Wir Journalistinnen und Journalisten haben die Aufgabe, kritisch zu berichten. Das ist wichtig, aber auch schon alles. Ich sehe mich nicht in einem Kampf mit einer Partei, das ist Aufgabe der Parteien untereinander.“ 

Vor diesem Hintergrund verzichtet sie bereits seit langem auf launige Sendetitel wie noch zu Beginn ihrer Talkshow:  „Vermeintlich witzige, wortverspielte Titel passen nicht zu unserem Anspruch eines sachlich-konstruktiven Dialogs. Anfangs haben wir uns totgefreut, wenn wir einen superwitzigen Titel gefunden hatten. Nur: Außer uns hat den niemand verstanden, geschweige denn darüber gelacht. Deshalb benennen wir lieber nüchtern und präzise, welche Frage wir in der Sendung klären wollen – auch um unserem Publikum keine falschen Versprechungen zu machen. Das hat sich bewährt – und unsere Gäste können sich besser auf unsere Sendung vorbereiten. Das wiederum hilft uns auch.“

Das Interview mit Anne Will ist Aufmacher des Themenschwerpunkt „Zukunft des Journalismus“ in medium magazin 03/2020, die in Kooperation mit den Schwester-Branchenblättern des Medienfachverlags Oberauer auch in Österreich und in der Schweiz erscheint. Das Gespräch führte medium magazin-Chefredakteurin Annette Milz.

Weitere Themen in dieser Ausgabe sind u.a.: Die Top 30 bis 30 des Jahres 2020; was vom Themen- statt Terminjournalismus und vom Homeoffice bleibt; der Schweizer Verlegerpräsident Pietro Supino über den „beschleunigten Strukturwandel“; Instrumente gegen Desinformation im Netz. Plus: 16 Seiten Journalismus-Werkstatt „Einfache Sprache. Wie Texte verständlicher werden“.

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