Buchtipps 2018
Unsere Redaktion hat dieses Jahr wieder viele Bücher gelesen – geschrieben von Kolleginnen und Kollegen. Hier eine Runde Vorschläge, quasi als alternativer Jahresrückblick (wird peu à peu ergänzt).
Kathrin Weßling: „Super, und dir?”
(Ullstein 2018, 256 Seiten, 16 Euro)
„Roman ihrer Generation” nennt das „Zeit Magazin“ das Debüt „Super, und dir?” von Kathrin Weßling. Nun putscht sich nicht die ganze Generation Y mit Drogen durch ihren Arbeitsalltag wie Protagonistin Marlene Beckmann. Doch Weßling, zuletzt z.B. Social Media Managerin bei „Spiegel Online”, beschreibt ein Hin- und Hergerissensein zwischen Leistung und Leben, Arbeit und Liebe, Fremd- und Selbstbild, Anspruch und Wirklichkeit in einer digitalen Welt, in dem sich wohl jede*r ein klitzekleines Bisschen wiederfindet.
Carolin Neumann
Alexandra Borchardt: „Mensch 4.0. Frei bleiben in einer digitalen Welt“
(Gütersloher Verlagshaus 2018, 256 Seiten, 20 Euro)
Sherry Turkle who? Wem der Name der MIT-Psychologin nichts sagte, weiß nach der Lektüre dieses Buchs Bescheid. Wiederholt zitiert Alexandra Borchardt Turkle und deren Forschung über die Auswirkungen des Internets auf die zwischenmenschliche Kommunikation: dass Smartphones das persönliche Gespräch (zer)stören und „heilige Orte“, also smartphonefreie Zonen, Not tun. Die Turkle-Exegese fügt sich in den Grundton des Buchs, der laut Klappentext ein „warnender“ sein soll. Kernthese ist: Algorithmen machen unfrei. Doch anstatt in den Apokalypse-Gesang eines Manfred Spitzer zu verfallen, wägt Borchardt, früher SZ-Journalistin, heute Direktorin am Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford, das Wider gegen das Für ab. Sie stellt anregende Fragen: Wie will der Mensch 4.0 seine dank technischem Fortschritt freiwerdende Zeit nutzen? Durch Engagement in der Nachbarschaft, in der Politik? Oder lassen wir uns „die Sinne vernebeln von jenem Konsumenten-Paradies, das schon Adam und Eva nicht gut bekommen ist“?
Senta Krasser
Peter Sagal: “The Incomplete Book of Running”
(Simon & Schuster 2018, 185 Seiten, ca. 18 Euro)
Kurz vor seinem 40. Geburtstag beginnt Peter Sagal mit dem Laufen. Er selbst beschreibt sich als einen leicht übergewichtigen, kahlköpfigen, kleinen, nerdigen, jüdischen Außenseiter. Sagal, der in den USA vor allem als der humorvolle Moderator der NPR Radio Quizshow “Wait Wait … Don’t Tell Me!” bekannt ist, läuft anfangs vor allem seinen nicht-erkannten Depressionen und seiner Scheidung davon – und im Laufe der Jahre mit 14 vollendeten Marathons immer mehr zu sich selbst. Doch der Autor läuft nicht nur für sich selbst sonst auch für andere, unter anderem als sehender Begleiter blinder Läufer. 2013 wird er zum Ohrenzeugen und beinahe selbst zum Opfer des Bombenanschlags auf den Boston Marathon. Seine Erlebnisse und Erkenntnisse schildert Sagal mit typisch jüdischem Humor, lakonisch, selbstreflektierend und ohne lange Fachsimpeleien, was diesen schmalen Band auch für weniger ambitionierte Hobby-Läufer lesenswert macht. Nur ein kleines bisschen sollte man sich allerdings schon für die Psyche des Langstreckenläufers interessieren.
Ulrike Langer
Wilfried Köpke, Peter Stettner (Hgg.): „Filmerbe. Non-fiktionale historische Bewegtbilder in Wissenschaft und Medienpraxis“
(Herbert von Halem 2018, 240 Seiten, 29 Euro)
Historische Bewegtbilder strahlen Glaubwürdigkeit aus. Sie sind eine Versicherung, dass es damals so und nicht anders gewesen ist. Oder etwa nicht? Die Aura des Authentischen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass selbst die puristischste Doku eine, aber nicht unbedingt die wahre Geschichte erzählt. Als leuchtendes Beispiel für sorgfältigen Umgang mit Originalmaterial wird in diesem Band Thomas Fischers investigatives Doku-Drama über die Flicks beschrieben. Zurecht kräftige Watschn bekommt die „schablonierte Dutzendware im Unterhaltungssegment History-TV“ ab: Unethisch sei, wie aus dem Kontext gerissene Filmdokumente zusammengestückelt würden. Was also tun gegen diese „Tendenz der fortschreitenden Disneysierung unseres kollektiven Bildergedächtnisses“? Filmerbe lesen! Insbesondere das Kapitel über die Klassiker des fernsehjournalistischen Genres, von Breloer über Troller bis Zahn.
Senta Krasser
Fritz Schaap: „Hotel Istanbul“
(Knaus 2017, 272 Seiten, 18 Euro)
Sieben Geschichten aus dem Nahen Osten. Sieben Geschichten eines herausragenden Reporters über außergewöhnliche Protagonisten, Schauplätze und Situationen. Schaap ist einer der wenigen Autoren, die den New Journalism stilsicher beherrschen. Egal ob er Saleh porträtiert, einen schwulen Palästinenser in Israel, dessen eigene Familie mehrfach versuchte, ihn umzubringen; ob Schaap über Hamdy schreibt, der vor den Toren Kairos die leblosen Körper jener begräbt, die auf der Flucht gestorben oder im Sinai zu Tode gefoltert wurden, oder sich selbst als Schüler in die vermeintliche Kaderschmiede für die Dschihadisten von morgen einschleust – Schaap berichtet spannend und mit starker Autorenstimme. Da fällt kaum ins Gewicht, dass “Hotel Istanbul” eine Mischung aus realen Begegnungen und fiktionalen Elementen ist.
Florian Sturm