Wenn Sie ein Thema oder Figuren erkunden, gilt es zu prüfen, ob und wo in Lebensläufen oder Personenkonstellationen dramatische Momente zu finden sind. Und ob, wie und an welcher Stelle sie sich in Ihre Geschichte einbauen lassen. Oft taugen sie als roter Faden, der die Handlung vorantreibt und die Spannung hält. Lange Texte arbeiten meist mit mehr als einem dramatischen Element.
Konflikt. Er kann sich zwischen Parteien (Personen, Institutionen) abspielen oder innerhalb einer oder mehrerer Personen. Oft sind innere Konflikte packender als äußere. Je differenzierter Personen und ihre Konflikte aufgedröselt werden, umso schöner, umso näher kommen sie uns. Wenn der Landwirt Horst Gebbers aus Wolfsburg nach über 30 Jahren im Kongo partout nicht mehr nach Norddeutschland zurück will – eigentlich; wenn er trotz Bürgerkrieg, Korruption und Raubüberfällen beseelt von der Liebe zur afrikanischen Heimat spricht – dann will man mehr wissen. Und hat nach der Lektüre nicht nur einen Helden von ganz altem Schrot und Korn kennengelernt, sondern auch viel über den Kongo erfahren. Der innere Konflikt des Helden trägt durch die Geschichte.
Wendepunkt oder Peripetie. Das Glück schlägt um, das Schicksal des Helden wendet sich. Ana Marques gibt ihre Funktion als EU-Verhandlerin auf und wird Übersetzerin, um in Brüssel bleiben zu können. Eine Lebenswende für die Protagonistin. Wie im klassischen Drama findet sich die Wende auch in journalistischen Geschichten meist in der Mitte.
Wendepunkte müssen nicht spektakulär sein. Der Held Nummer drei eines Textes von Marcus Jauer (Seite 16/17) – er ist Projektleiter bei der Stiftung Warentest – spricht über einen magischen Augenblick. Das war, als er vor Chinakohlpflänzchen in 104 verschiedenen Blumentöpfen stand. „Das war der Moment, als ich mich für Blumenerde erwärmt habe“. Daran ist nichts dramatisch. Dennoch ist die Stelle einer der Höhepunkte im Text. Der Blumenerde-Test-Skeptiker wird zum erklärten Blumenerde-Fan. Es ist die Aufgabe von Reportern, solche alltäglichen Wendepunkte und magische Erlebnisse zu identifizieren und zu gestalten. Es sind wunderbare, erhebende oder auch ganz banale, schlichte Momente, wie wir sie alle kennen, genauso oder so ähnlich oder etwas anders. Sie vermitteln uns den Eindruck, dass diese Geschichte auch von unserem Leben handelt.
Kontraste erzeugen Spannung. Die Karriere des Ersatztorwarts Hugo Robl, heute Versicherungsvertreter und Jugendtrainer in Rosenheim, wirkt tragisch gescheitert, wenn sie in Kontrast steht mit der von Karl-Heinz Rummenigge. Auch der saß einst auf der Ersatzbank im Olympiastadion, neben Hugo Robl. Und glänzt heute als Vorstandschef beim FC Bayern.
Einsteigen kann man auch mit einem Kontrast, z. B. so:“Den geistlichen Herrn sieht man Richard Schmidt beileibe nicht an.“ Und schon ist der Herr viel interessanter, als wenn man ihm den Geistlichen ansähe. Denn das wäre ja keine Überraschung.
Fallhöhe schafft Mitgefühl. Oder Schadenfreude. Je höher der soziale und moralische Rang oder die Ambition einer Person, umso schlimmer wird ihr „Fall“, ihr Leid oder ihre Prüfung empfunden. Wenn eine Prinzessin um ihren Vater weint, bekommt sie mehr Mitgefühl, als wenn eine Bürgerliche trauert. Wenn die Prinzessin sehr schön ist, macht das die Sache noch schlimmer. Wenn der Personalvorstand eines Weltkonzerns über eine Bordellaffäre stolpert, ist das so richtig schön schlimm.
Mythologeme haben archaische Kraft. Elemente oder Motive aus der Mythologie wie Kinder-oder Gattenmord sind extreme dramatische Mittel. Auch der Bruch eines Helden mit dem Elternhaus, das Bestehen von Kämpfen und Abenteuern sind Motive von zeitloser dramatischer Wucht. Wenn Geschichten auf einem solchen Mythologem basieren, verstärkt das ihre Wirkung.
Erschienen in Ausgabe 11/2007 in der Rubrik „Storytelling“ auf Seite 13 bis 13. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.