Zwei Zahlen skizzieren die neue deutsche Medienwirklichkeit: Die Auflage der Tageszeitungen beträgt bei 40 Millionen Haushalten weniger als 25 Millionen Exemplare. Das Internet nutzen mehr als 40 Millionen „User“. Die eine Zahl sinkt, die andere steigt. Schon vor Jahren war absehbar, dass es so kommen würde. Vielleicht nicht so schnell, vielleicht nicht so dramatisch. Aber der Zug mit den Lesern fuhr in diese Richtung. Die Zeitungsverlage bestiegen ihn, manche frohgemut, andere eher zähneknirschend. Im Moment sieht es so aus, als führen die einen im Intercity in der ersten Klasse, die anderen auf einem Dreirad neben der Spur her.
Während nämlich Verlage wie der „Spiegel“, die „Frankfurter Allgemeine“, Springers Blätter und etwas später die „Süddeutsche“ an ihren virtuellen Auftritten feilten und versuchten, mit neu zugeschnittenen Zuständigkeiten ihr Profil im Dschungel Internet zu finden und zu festigen, dachten viele regionale Verlage noch, es reiche, die traditionellen Vertriebstechniken ihrer Zeitung einfach um die neuen Verteilungswege zu ergänzen.
Sie verließen sich dabei auf zwei bis dahin in ihrer Wahrnehmung bewährte Konzepte: kurzfristige Marketingoffensiven und Unternehmensberater. Tausende Umfragen, Untersuchungen, Copy-Tests und ReaderScan-Analysen dienten nur einem Ziel: Wie muss die Zeitung von morgen aussehen? Dabei schien das Ergebnis der Recherchen vorgegeben: möglichst so, wie bis dato, aber gleichzeitig anders. Das eine Ergebnis war willkommen, das andere wanderte allzuoft in die Aktenordner. Erstaunlich viele Zeitungshäuser traten beim Aufbruch ins Online-Zeitalter exakt in die gleichen Fettnäpfchen, in denen sie schon ausgerutscht waren, als sie die Produktion ihrer Blätter von Gutenbergs Bleisatz auf Computertechniken und Offsetdruck umstellten. Sie meinten, im Zug zum Leser von morgen genüge es, ein Rationalisierungspaket unter dem Arm zu tragen, statt einen Investitionsranzen mitzunehmen.
Sparsam, aber nicht ratsam. Der Geschäftsführer des Süddeutschen Verlags, Klaus-Josef Lutz, hat beim diesjährigen „Me-dientreffpunkt Mitteldeutschland“ in Leipzig zum Thema Online deshalb gesagt: „Wir müssen Geld in die Hand nehmen“. Der Satz ist zu ergänzen um einen Gedanken: „Und mit dem Geld neue Wege finden und definieren“.
Die abends fertig gestellte Zeitung von derselben Redaktion, die die gedruckte Ausgabe produziert, einfach 1:1 ins Netz stellen, ist sparsam, aber nicht ratsam. Auch ist es, gelinde gesagt, unvernünftig, Online-Artikel mit einer Zwangsgebühr zu belegen oder ein Online-Abonnement technisch so zu bürokratisieren, dass beim Versuch der Bestellung der Faden verloren geht oder die Lust auf den Beitrag verschüttet wird im Datenmüll.
Im Netz will der Leser ständig aktuell, aber ebenso beständig auch auf hohem intellektuellen Niveau unterrichtet (und unterhalten) werden. Der User, also der Leser der Online-Informationen, sucht im Netz nach zwei verschiedenen Kriterien: Erstens will er wissen, w a s geschehen ist, wobei ein news flash den gleichen Wert haben kann wie eine Information aus dem Archiv. Entscheidend sind Glaubwürdigkeit und Seriosität. Dafür tastet der User sich, zweitens, z u bestimmten Anbietern vor. Das ist das Schlüsselloch der lokalen Verlage. Das ist ihre Chance im Netz. Aber auch hier ist Qualität das entscheidende Kriterium. Die Chance muss aber auch genutzt werden. Denn schon jetzt tauchen Online-Informationen in den Nachrichten öfter als Zitate aus gedruckten Blättern auf.
Inhalte statt Schlagwörter. Der Name ist dabei die Marke, die Marke der Krabbelkorb für Nachricht, die Information, die Quelle, die der User sucht und benutzt. Eine unvergleichlich schöne Herausforderung dabei ist der unmittelbare Dialog mit den Lesern, der Weblog. Sie führte schon zu einer eigenen, direkten Sprache und zu einem breiteren Debattenfächer.
E-Paper? Online-first? Leser-Reporter? Schlagworte. Mehr nicht. Der Nutzer ist interessiert am Geschehen. Ein Ereignis muss sprachlich gut, inhaltlich präzise und verlässlich präsentiert werden. Und, nicht zu vergessen, technisch einfach zugänglich müssten die Informationen sein.
Es wäre einfach klasse, sich auf der Insel Bali über das jüngste Fußballspiel im badischen Bonndorf zu unterrichten zu können. Oder die Turbulenzen der sächsischen Landesbank in einem Beitrag der heimischen Volkszeitung online erklärt zu bekommen. Ob in Leipzig oder Luanda, ist dabei egal.
Erschienen in Ausgabe 10/2007 in der Rubrik „Standpunkt“ auf Seite 30 bis 46 Autor/en: Ulrich Werner Schulze. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.