Medium Magazin 03/2018
EDITORIAL / Annette Milz, Chefredakteurin
Fakten statt Fakes
Spätestens jetzt ist klar: Dem Kampf gegen Fake News gebührt höchste Priorität.
Ranga Yogeshwar ist ein vielgefragter Mann. Sein jüngstes Buch „Nächste Ausfahrt Zukunft“ hält sich seit Oktober 2017 in den Bestsellerlisten und wurde allein bis Mitte März mehr als 130.000 Mal verkauft. Das bestätigt den populären Wissenschaftsjournalisten seiner Mission und die heißt Aufklärung: über die Welt im Wandel und die Folgen der Digitalisierung, die grassierende Verbreitung von Desinformation und nicht zuletzt die Aufgaben der öffentlich-rechtlichen Sender. „Wer politische Sendungen zu reinen Unterhaltungsarenen macht, ignoriert den Wert dieser Foren“, kritisiert er den Trend in ARD und ZDF zu Talkshows, die mehr der Quote als den Sachverhalten verpflichtet sind.
Wir trafen ihn auf der Durchreise zwischen zwei Terminen in Frankfurt. Passend zum Thema im neuen Frankfurter Startup-Zentrum Techquartier. Kurz vorher war eine Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) erschienen, die bisher umfangreichste Untersuchung über die Verbreitung von Falschinformationen (siehe Seite 6) mit erschreckenden Ergebnissen: Falschinformationen verbreiten sich mehr als sechs Mal so schnell wie die Wahrheit – und schuld daran sind keineswegs nur Bots, also automatisierte Roboternachrichten. Schuld sind vor allem wir Menschen. Das treibt Ranga Yogeshwar um, und er sieht uns Journalisten mehr denn je in der Pflicht. Aber, so seine Kritik: „Wir haben ein Haltungsproblem im Journalismus. Journalisten verschreiben sich immer dem Diktat von Auflage oder Quote.“ Damit werde eine Skandalisierung gefördert, die eine künstliche Erregung im Publikum erzeugt und damit einen fruchtbaren Nährboden für weitere. Spätestens jetzt ist klar: Dem Kampf gegen Fake News gebührt höchste Priorität. Doch Ranga Yogeshwar belässt es nicht mit Kritik: Seine bemerkenswerten Vorschlägeauch für konkrete Maßnahmen und Regeln im Kampf gegen „Fake News“ im Titelinterview ab Seite 16.
Mehr Unabhängigkeit von Facebook, erst recht nachdem Skandal um verkaufte Daten durch Cambridge Analytica, ist nicht nur Ranga Yogeshwar ein Anliegen. Wir haben dieser Frage einen thematischen Schwerpunkt in dieser Ausgabe gewidmet: Dennis Horn beschreibt die Sachlage: Was stimmt und was stimmt nicht in der aufgeregten Berichterstattung über diesen Skandal (Seite 24). Jens Twiehaus hat in diversen Redaktionen nachgefragt, ob und wie sich die Strategie im Umgang mit Facebook & Co geändert hat (Seite 26). Auch unsere aktuelle „Journalisten-Werkstatt“ haben wir dem Thema Social-Media-Strategien gewidmet: Daniel Bouhs und Anne Haeming sind dort den Fragen nachgegangen: Wie gehen Community-Manager mit Hasskommentaren und Trolls um? Welche Rezepte gibt es für eine gute Kommentarkultur? Eine lohnenswerte Lektüre nicht nur für Social-Media-Experten.
„Willkommen im Informationskrieg“: Fünf Jahre lang hat Golineh Atai für die ARD aus Moskau berichtet. Nun ist sie zurückgekehrt in die WDR-Zentrale. Exklusiv für das „medium magazin“ zieht sie Bilanz ihrer Erfahrungen. Wie diese: „Seit 2014 konkurriert der Kreml-Spin oder die ,Parallel-Realität‘ diametral mit den Berichten von uns Auslandskorrespondenten. Diese Parallel-Realität ist in unserem heimischen Zielpublikum angekommen.“ Ihre Schilderung eines politischen Spins mit dem Ziel, systematisch die Glaubwürdigkeit westlicher Medien zu diskreditieren, kann niemanden von uns kaltlassen. „Ob Hackerangriffe, Skripal-Affäre oder Chemieangriffe in Syrien: Nachrichtenlagen, wo die eine Seite anklagt und die andere Seite mit allen Methoden der Kunst abwiegelt, und zum medialen Angriff übergeht, wird es in Zukunft immer regelmäßiger geben.“ Golineh Atai fragt: „Sind wir auf solche Nachrichtenlagen genügend vorbereitet? Oder machen wir es uns zu einfach?“ Was würden Sie darauf antworten?