Christoph Keese, Chefredakteur „Welt am Sonntag“, „Welt.de“
„Der Autor hatte eine Idee, die jedem anderen Journalisten auch hätte einfallen können, die aber ihm zuerst kam: Warum hat Papst Benedikt XVI. am 12. September bei der Regensburger Rede jenes unheilvolle Zitat gewählt, den Satz eines byzantinischen Kaisers über Mohammed? Warum löste dieser gelehrte, intellektuelle Papst eine weltweite Welle von Protesten aus? Kirchen brennen, Demonstranten fordern die Kreuzigung des Papstes, Menschen werden gelyncht. War der scharfe Konflikt mit dem Islam die Absicht des Papstes? Ein Fehler? Oder wollte er seine eigene Kirche provozieren und hat nur die Folgen falsch kalkuliert?
Der Autor geht an die Recherche. Akribisch untersucht er, woher Benedikt das fast vergessene Zitat überhaupt kannte. Er findet und befragt den Wissenschaftler, der 1966 eine Doktorarbeit über den byzantinischen Kaiser geschrieben hat. Er zeigt, dass Ratzinger diese Arbeit früh kannte. Er beweist, dass Benedikt 2006 eine Neuedition der Arbeit zugeschickt bekam und sie im Landsitz Castelgandolfo las. Vor allem arbeitet er im Detail auf, warum die Passage im Manuskript stand und dort auch blieb. Er zeigt, wer den Text vorher gelesen hat, wer warnte, wer nicht warnte, warum nicht lauter gewarnt wurde und welche Umstände verkettet werden mussten, damit Benedikt die Warnung nicht annahm. Dann hält Benedikt die Rede in Regensburg – warum dauerte es so lange, bis die Empörung einsetzte? Welche Medien sahen die Provokation, welche nicht, in welcher Form kam der Soundbite in der islamischen Welt an, wie wurde er verstanden und wie verfälscht?
Der Autor führt uns so nah an die Details heran, wie es ihm als Rechercheur möglich ist. Viele reden mit ihm, manche nicht. Die Recherche stoppt bei Benedikt, der kein Interview zum Fall gewährt. Wir wissen am Ende nicht, was vorging im Heiligen Vater, als er am Pult stand. Das aber schmälert die Verdienste dieser Arbeit nicht, es steigert sie. Denn journalistische Dokumentation ist besonders dann gefragt, wenn Protagonisten die Aussage verweigern. Der Autor führt einen Indizienbeweis. Aber er fällt kein Urteil. Unter den drei Alternativen – Absicht, Unfall, falsches Kalkül – wählt er keine für den Leser aus. Er überlässt das Urteil uns anhand der gesammelten Fakten. Und die sind glänzend aufgeschrieben. Der Autor kommentiert nicht, er dokumentiert. Dafür erhält er den Henri-Nannen-Preis für Dokumentation 2007.“
Erschienen in Ausgabe 7/2007 in der Rubrik „Best of Henri-Nannen-Preis 2007“ auf Seite 38 bis 38. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.