Von Einzelkämpfern und Maulkörben

Die „alte Dame“ war nur eine Notlösung. Eigentlich wollten die Redakteure des „Hamburger Abendblatts“ die Protagonistin ihrer jetzt mit dem Wächterpreis der Tagespresse prämierten Artikelserie bei vollem Namen nennen. Doch wie das manchmal eben so ist, wenn „die Presse“ einen Missstand aufdecken will, wollten einige Beteiligte auch bei dieser Geschichte rund um den Missbrauch mit dem Betreuungsrecht eine Berichterstattung offenbar am liebsten gänzlich verhindern. Was folgte, war ein gerichtlicher Beschluss und aus Thea Schädlich wurde – vorerst – das besagte anonyme Konstrukt.

„Wir durften weder die Gemeinde nennen, in der die Geschichte spielte, noch den Namen der zunächst zwei Betreuer oder der Betreuten“, sagt „Abendblatt“-Chefredakteur Menso Heyl und schimpft: „In dieser Massivität habe ich das noch nicht erlebt.“ Dieser Maulkorb hat das Springer-Blatt allerdings nicht zum Schweigen gebracht, sondern das Gegenteil bewirkt: Die Geschichte landete auf der „Seite Drei“. Sie war allerdings in den entscheidenden Passagen geschwärzt.

Spätestens damit sorgte die Geschichte aus der 40.000-Einwohner-Stadt Pinneberg auch außerhalb Schleswig-Holsteins für Aufsehen. Kern der Geschichte: Zwei per Gericht bestimmte Betreuer verkauften das 7500 Quadratmeter große Grundstück der Betroffenen samt Einfamilienhaus an die Gemeinde – und das angeblich unter Wert und vor allem gegen den Willen der „alten Dame“.

Sieg für die Branche. Die Recherchen und kontinuierliche Berichterstattung der „Abendblatt“-Redakteure Marion Girke und Christian Donso zogen sich schließlich mehr als ein Jahr hin. „Das ist auch für unsere Redaktion – immerhin eine relativ kleine Lokalredaktion abseits des Haupthauses – schon sehr außergewöhnlich“, erklärt Girke, die bei dem „Abendblatt“-Ableger „Pinneberger Zeitung“ werkelt. Weil sich ihr Haus im Recht sah, kämpften sie neben den inhaltlichen Recherchen auch in juristischen Auseinandersetzungen. Letztlich mit Erfolg: Nach einigen Instanzen wurde ein großer Teil der Auflagen zurückgenommen. Letztinstanzlich wurde erst im April dieses Jahres entschieden. Begonnen hatte die Sache allerdings bereits im März 2006.

Natürlich half dabei, dass das „Hamburger Abendblatt“ zum finanzstarken Axel-Springer-Verlag gehört. „Uns ist in der Tat zugute gekommen“, sagt dann auch Chefredakteur Heyl, „dass uns die Verlagsleitung den Rücken frei gehalten hat.“ Im Klartext: Neben dem hauseigenen Justiziariat wurde noch eine externe Kanzlei mit dem Thema beschäftigt. Den folgenden juristischen Erfolg feiert Heyl allerdings nicht nur als Sieg für sein eigenes Blatt, sondern für die gesamte Branche. Er sagt: „Der Leser weiß oft nicht, unter welche juristischen Gefährdungen Berichterstattung selbst in Deutschland fällt.“ Denn auch wenn etwas der Wahrheit entspreche, dürfe es „in etlichen Fällen“ nicht an die Öffentlichkeit kommen.

Recherchen nebenbei. Mit derart rechtlichen Problemen hatten die Autoren der beiden anderen gewürdigten Geschichten zwar nicht zu kämpfen. Den Aufwand, den sie für ihre Geschichten betrieben haben, überschreitet aus ihrer Situation heraus allerdings ebenfalls deutlich das übliche Maß. Denn das Team der „Süddeutschen Zeitung“ aus Hans Leyendecker (der im Mai mit drei weiteren Kollegen für seine Siemens-Recherche auch noch den Henri-Nannen-Preis erhielt) und Nicolas Richter waren für ihre Erkundungen rund um die Masri-Affäre ebenfalls weitestgehend durch die tägliche Produktion gebunden. „Ich bin hier in der Außenpolitik für Völkerrecht und internationales Strafrecht zuständig und betreue zudem die Meinungsseite als auch immer wieder andere Seiten. Da werde ich ganz selten für ein Thema völlig freigestellt und musste diese Recherche ins normale Tagesgeschäft eingliedern“, sagt Richter.

Zugute sei beiden gekommen, dass die Recherchen „in Wellen“ ablief. Richter: „Es gab zwischenzeitlich natürlich auch Phasen, in denen man tage-oder wochenlang gar nichts über den Fall geschrieben hat, entweder, weil nichts passiert ist oder weil es keine neuen Rechercheergebnisse gab.“ In den Schubfasen habe er dann aber auch mal „alles andere liegengelassen oder an Kollegen abtreten“ können.

Lawine losgetreten. Für den dritten Preisträger aber ist selbst ein solcher Freiraum von wenigen Tagen undenkbar. Ekkehard Rüger ist nämlich als Alleinredakteur der Lokalseiten des „Bergischen Volksboten“, der wiederum zur „Westdeutschen Zeitung“ gehört, für zwei bis vier Seiten zuständig – und das täglich. „Da ist es schon schwierig, ein bis zwei Stunden in ein Thema zu investieren, von dem am nächsten Tag nichts in der Zeitung steht“, sagt der Mann, der mit seiner Mitte Mai in Frankfurt am Main von der Stiftung „Freiheit der Presse“ ausgezeichneten Geschichte die Debatte um sogenannte Lustreisen von Kommunalpolitikern losgetreten hat. In der Folge führte das zu richterlichen Durchsuchungen und Ermittlungsverfahren gegen mehr als 300 Politiker. Weil er bei seiner täglichen Arbeit nur von einem Volontär unterstützt wird, sei diese Recherche „so nebenher“ gelaufen.

Als er erfahren hat, dass er zusammen mit Kollegen wie den für seine Enthüllungen längst bekannten Hans Leyendecker ausgezeichnet werden würde, habe er sich noch gefragt „Mensch, Rüger, was hast du eigentlich neben Leyendecker zu suchen?“. Doch als ihm nach der Verleihung dann alle gratulierten und ihm auch ein stellvertretender Chefredakteur des „Abendblatts“ auf die Schulter klopfte, seien seine Zweifel verschwunden. Zumal ihm sogar die Betroffenen für den Wächterpreis Respekt zollten. Rüger erzählt stolz: „Mir haben sogar der Bürgermeister und der CDU-Fraktionsvorsitzende gratuliert, die beide am Ende zahlen mussten.“

Linktipp

Die mit dem „Wächterpreis der Tagespresse“ ausgezeichneten Geschichten sind im Internet umfassend dokumentiert: www.waechterpreis.de

Erschienen in Ausgabe 6/2007 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 70 bis 71 Autor/en: Daniel Bouhs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.