Werden unsere Enkel die Erfindung des Internets mit den Leistungen Gutenbergs vergleichen? Stirbt der traditionelle Zeitschriften-Leser aus? Fragen sind das, die Heerscharen von Münchner, Hamburger und Gütersloher Entwicklungsredakteuren zu beantworten versuchen. Verleger Thomas Ganske hat sie der Branche gestellt, aus Anlass des 100. Geburtstages seines Verlages, im Festsaal des Hamburger Rathauses, gleich zu Beginn seiner Rede. Und er hat sie für sich beantwortet: „Ich bleibe davon überzeugt, dass das Lesen in Büchern und Zeitschriften nicht verdrängt wird, sondern eher um heute noch ungeahnte Möglichkeiten ergänzt und bereichert werden wird – bisher hat nie ein Medium ein anderes ersetzt.“ So spricht einer, dessen Unternehmensgruppe in diesem Jahr 100 Jahre alt wurde und der zum Großteil mit dem gedruckten Wort sein Geld verdient.
Ein Traditionalist, könnte man meinen. In Wahrheit hat Ganske seine Verlagsgruppe in den vergangenen Jahren ohne großes Aufheben umgebaut und für die elektronische Zukunft – so, wie er sie erwartet – gerüstet.
Ganske hat in den Online-Auftritt seiner Zeitschriften investiert, der Community-Gedanke spielt auf petra.de, FürSie.de oder Prinz.de eine zentrale Rolle. Blogs, Chats, Foren, Dating: Der Verlag hat dort die ganze Palette des Mitmach-Internets aufgefächert. Auch das Prinzip Vernetzung hat Ganske verinnerlicht: Tipps aus den Ratgebern und Kochbüchern des Verlages Gräfe und Unzer finden sich in den Zeitschriften „Vital“ oder „Für Sie“ wieder.
Als einer der ersten erkannte Ganske das Potenzial von Navigationssystemen, die die Industrie Ende der 80er-Jahre ursprünglich für die Feuerwehr und das schnelle Auffinden von Hydranten entwickelte, wie er sich erinnerte. „Der Gedanke, dass alle Welt damit eines Tages Straßen, Plätze und darüber hinaus sogar Restaurants und Sehenswürdigkeiten aufsuchen könnte, war ihnen so fremd, wie uns die Probleme der Feuerwehr. Ich glaube, beide Seiten waren voneinander völlig überrascht“, erinnert sich der Verleger an die ersten Kontaktgespräche mit den Navigationsherstellern 1989. Heute ist der Merian-Scout für alle gängigen Auto-Navigationssysteme zu haben. Eine eigene Unternehmenstochter, iPublishing, ist dafür gegründet worden. Das neueste Produkt ist das elektronische Navigationssystem „Merian Scout Navigator“. Auf das handtellergroße Gerät mit Touch Screen ist Ganske besonders stolz. Neben den geografischen Informationen bedient sich das Gerät der Inhalte aus den gedruckten „Merian“-Heften und dem „Feinschmecker“: eine sehr anschauliche Synergie, über die Ganske gerne spricht, weil sie im Gegensatz zur Blog- und Community-Offensive schon jetzt Erfolg bringt: Auf der CeBit zeichnete die „Initiative Mittelstand“ das Gerät mit dem Innovationspreis aus, im Herbst sollen die ersten 5000 in Asien produzierten Geräte auf den Markt kommen.
Im Dienst der Kunden. Daneben steht die Zeitschriftenproduktion im Auftrag der Industrie – der Bereich Corporate Publishing, in den die Ganske-Gruppe schon früh und mit Erfolg investiert hat. Der Markt für Unternehmenspublikationen ist in den letzten Jahren rasant gewachsen, da zahlungskräftige Firmen immer stärker in aufwendige und glaubwürdig verpackte PR investieren. An der Spitze dieses Geschäftsbereichs steht seit 2002 Manfred Bissinger, ein publizistisches Schwergewicht mit Stationen bei „Konkret“, „natur“ und „Merian“, „Panorama“ und „Stern“. Vor allem aber erfand und gründete er mit Thomas Ganske 1993 die Wochenzeitung „Die Woche“. Eine beeindruckende Journalistenkarriere liegt hinter dem 66-jährigen, der sich seit 2002 vorrangig um Hochglanzpublikationen wie das „BMW-Magazin“ kümmert – mit nicht minder hohem Anspruch: „Die Artikel unserer Kundenzeitschriften könnten Sie auch im, Spiegel‘ oder, Stern‘ abdrucken. Die interessanteren Unternehmen schätzen heute die differenzierte Darstellung, die abbildet, was sie bewegt.“ Seine Arbeit heute beschreibt er so: „Die Philosophie und die Inhalte von Unternehmen in journalistische Formen zu übersetzen.“ Nicht von ungefähr entstehen die Kundenzeitschriften unter dem Dach von „Hoffmann und Campe CP“, sind also dem gleichnamigen renommierten Buchverlag angegliedert. „Sie müssen Ihre Vorurteile gegen Corporate Publishing begraben“, entgegnet Bissinger mit Verve auf Fragen nach einer Grenzziehung zwischen Journalismus und PR: Für seine Publikationen jedenfalls gelte: „Wir sind keine Propagandisten oder PR-Fuzzies. Wir bieten besten Journalismus von kompetenten Autoren. 30 ehemalige Mitarbeiter der ´Woche` arbeiten jetzt für Hoffmann und Campe CP. Das sind sehr erfahrene Kollegen, die auch für ´Geo` und andere Kaufblätter schreiben“. „
Die Niederlagen. Die dreißig stehen aber auch symbolisch für das Scheitern von Ganskes ambitioniertestem Zeitungsprojekt nach dem Krieg: „Die Woche“. Sie setzte Maßstäbe für ein modernes Zeitungslayout, gewann etliche Preise, war aber kommerziell ein Desaster. Fast 80 Millionen Euro soll Ganske mit dem Blatt verloren haben, bis er es 2002 einstellen musste. Eine Neuauflage kann sich Bissinger deshalb auch nicht vorstellen: „Ich sehe keinen deutschen Verleger, der eine neue ´Woche` auflegen und sich in dieses Risiko begeben würde. Das war seinerzeit äußerst mutig und verdienstvoll von Thomas Ganske. Die Verlage investieren heute lieber ins Internet.“ Gleichwohl beschwört Bissinger, darin ganz einig mit seinem Verleger, den Wert des gedruckten Wortes: „Dennoch wird Print nicht untergehen.“
Gescheitert war der Ganske-Verlag nach 10 Jahren im Jahr 1996 auch mit dem ebenso ambitionierten Magazin „Tempo“, das jüngst für eine Ausgabe neu aufgelegt wurde. Es vereinte wie kein anderes in seinem Impressum die Namen des journalistischen Zeitgeistes. Vorbild war der literarische Journalismus des „New Yorker“, der amerikanischen „Vanity Fair“ oder des „Atlantic Monthly“. Bis heute ist diese Lücke auf dem deutschen Zeitschriftenmarkt unbesetzt. Bissinger vermutet: „Der Markt war zu klein dafür und er ist es vermutlich noch. Die Ganske-Gruppe muss mit ihren Ressourcen wirtschaftlich umgehen.“
Zwischenbilanz. Neue Zeitschriftentitel gab es in der Ganske-Gruppe in den vergangenen Jahren nur noch wenige. Weise Voraussicht oder knappe Mittel: Den Grund kennt nur der Verleger selbst. In seiner Jubiläumsrede im Rathaus stellte Thomas Ganske seine Dimensionen klar: „Nach 100 Jahren ziehen wir heute nur Zwischenbilanz.“ Der programmatische Leitsatz dafür prangt den Besuchern der Verlagshomepage schon zur Begrüßung entgegen: “ Wir machen Tiefwurzler, keine Flachwurzler.“
Lesetipp:
Michael Jungblut, „Herausforderungen und Antworten. Die Ganske Verlagsgruppe – Geschichte eines Medienhauses“, kostenloser Download unter http:// www.ganske.de/news/100_jahre_gvg.pdf.
Linktipp
Das Interview mit Manfred Bissinger, Geschäftsführer von Hoffmann und Campe Corporate Publishing, ist vollständig dokumentiert unter http:// www.mediummagazin.de, Rubrik download.
Erschienen in Ausgabe 6/2007 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 26 bis 27 Autor/en: Jochen Brenner. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.