Guter Stil, schlechter Stil

Zeitproblem

Neuer Trend: Wer auf ganz große Schlagzeilen verzichten kann, doch branchenintern breit wahrgenommen werden möchte, wendet sich zum Interview an die Medienseite, die immer den meisten Platz in einer Papierzeitung füllt: die im „FAZ“-Feuilleton. Uli Wickert verkündete dort exklusiv, seine ARD-Büchershow aufzugeben, „weil ich herausgefunden habe, dass die Vorbereitung einer solchen Sendung zu viel Zeit kostet; Zeit, die mir fehlt, um selber zu schreiben“, und zwar zunächst „einen weiteren Krimi …, den ich schon im Kopf habe“. So demonstrierte der zuletzt häufig verhohnepiepelte Ehrenmann par excellence, wie man die Gesichter aller Geschäftspartner und das eigene wahrt: Günter Struve und Jobst Plog „wollten, dass ich weitermache. Aber das hat mich doch nicht umstimmen können“, erläuterte der „Literatur-Lulatsch“ („SZ“ 2006), dessen Sendung die so zerstrittenen ARD-Funktionäre vergleichsweise einmütig ungern sahen. Zum Lohn äußerte die ARD schon wieder Freude, dass Wickert „neue Projekte mit der ARD perspektivisch nicht ausschließt“.

Infovorsprung

Dass die „FAZ“ viel Platz bietet und mitunter wenige Widerworte, selbst dann, wenn die eigene Argumentation recht werblich-wunderlich anmutet, machte sich kurz darauf Kai Diekmann zunutze. Der Chefredakteur brachte ebendort sowohl die Exklusivnews, dass er mit rund 700 Mitverursachern seiner „Bild“-Zeitung nach Berlin ziehen will, als auch viel Eigenlob unter („Berlin ist gelebter Informationsvorsprung. Die, Bild‘-Zeitung ist gedruckter Informationsvorsprung, deshalb gehört beides zusammen“). Diekmann kündigte nicht bloß den 3. Oktober als symbolträchtigen Termin an (das wäre „ein Traum, der sich in die historische Verankerung des Axel-Springer-Verlages in Berlin fügt“), sondern prahlte gar noch mit dem Termin, den er für die Termin-Ankündigung gewählt hatte: den 2. Mai, an dem Axel Springer „heute fünfundneunzig Jahre alt geworden wäre“. Bizarre Folge: Am 3. Mai, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, ging’s in den Medien noch weniger als üblich um die Feinde der Pressefreiheit. Sondern um die Verwirrung in der Springer-Presse: „Was ist das für ein schlechter Stil? Ein Interview zu geben und uns damit vor vollendete Tatsachen zu stellen“, zitierte „Spiegel Online“ eine schimpfende „Bild“-Zeitungsredakteurin. Freilich: Hielte Kai Diekmann viel von gutem Stil, wäre er nicht, was er wäre, oder anders gesagt: Die „Bild“-Zeitung wäre nicht, wie sie wäre.

Gemeinwohlalarm

Trotz des Berlin-Hypes: Im Großen und Ganzen funktioniert der deutsche Medien-Föderalismus noch. Zwar hatte „Die Zeit“ ihre „etwas leichteren, bunteren, heiteren Seiten“, das Ressort namens „Leben“ („Berliner Zeitung“ beim Redaktionsbesuch des kommenden „Zeit-Magazins“), schon lange nach Berlin verlagert, doch das „gelegentlich immer noch so gedankenschwere“ Blatt verbleibt in Hamburg. Und sorgt sich von dort aus schwer um eine Qualitätszeitung aus München. Die „Süddeutsche“ „trägt … dazu bei, dass Demokratie und Rechtsstaat funktionieren. Ihre Zukunft ist eine Sache des Gemeinwohls“, schrieb sie unter der alarmierenden Überschrift „Kommt die vierte Gewalt unter den Hammer?“. Auf fast einer ganzen Seite dokumentierte das Wirtschaftsressort den „geistigen Abschied der Altgesellschafter“ von ihrem Blatt mit bunten Beispielen (etwa Christian Goldschaggs Hobby, „Dampflokomotiven zu vermieten“). „Gleich die Presse als vierte Gewalt zu betrauern, nur weil einige Gesellschafter ihre Anteile am Süddeutschen Verlag versilbern wollen, ist selbst Kollegen der einer Bescheidenheit nicht allzu verdächtigen, Süddeutschen Zeitung‘ nicht geheuer“, meinte der „Focus“ dazu, ließ sich aber doch inspirieren, die skurrilen Zeitvertreibe der Gründererben („Konrad Schwingenstein, zuletzt als Hausmann am Starnberger See geführt, begeistert sich für Gitarrenmusik …“) recht ähnlich auszumalen.

Christian Bartels ist freier Journalist in Berlin.

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Erschienen in Ausgabe 6/2007 in der Rubrik „Chronik“ auf Seite 14 bis 14 Autor/en: Christian Bartels. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.