Die Schlüsselfigur

Schon geht die Kakophonie wieder los. Kaum hat der NDR-Intendant Jobst Plog seine Erfahrung in der causa Jauch in die Empfehlung münden lassen, ein zentrales Gremium würde der ARD gut tun, reden alle durcheinander. Diesmal über Strukturen. Natürlich wäre es klüger, zunächst die inhaltlichen Zwecke zu beraten. An die Grundfragen wagt sich wieder mal niemand heran. Gefordert ist aber nichts Geringeres als eine Renaissance der öffentlich-rechtlichen Idee, des Sendens in gesellschaftlicher Verantwortung. Das macht auch die „medium magazin“-Umfrage (s. S. 26 ff.) über alle politischen oder gesellschaftlichen Unterschiede der Befragten hinweg frappierend deutlich. Die ARD braucht einen Umbau, denn es mangelt am Wesentlichen: Neugier, Mut und Verantwortung. Aber wer ist da eigentlich gefragt?

Zu wenig Leistungsparameter. Auf die redaktionelle Arbeit kommt es an. Für die Ideen und das Können, die Arbeitsweise und Inhalte ist vor allem der verantwortliche Redakteur zuständig. Er ist die Schlüsselfigur, dem alle Organisation dienen muss. Er ist der Macher, der zu ermutigen ist. Er soll nicht Sendeplätze belegen, sondern die Gesellschaft erforschen. Er fördert und fordert im Idealfall Talente, ist streng bei der Abnahme der Beiträge, redigiert die Texte. Er sorgt für flexible Produktionsbedingungen, verantwortet das Budget und weiß: „Geführt wird vorne“.

Wie viele Sendungen aber verfilmen schlicht, was in „Spiegel“ oder der „Süddeutschen Zeitung“ zu lesen war, schludern beim Texten, werden aus der Etappe geleitet? Öffentlich-rechtliche Boulevard-Magazine verdoppeln allzu gern nur „Bild“ und „Bunte“. Es gibt Kulturmagazine, deren Redakteure nie ins Theater gehen; Talk-Redakteure kennen nur Gäste, die schon anderswo im Fernsehen waren.

Und woran liegt´s? Als sich der ARD-Chefredakteur Hartmann von der Tann aus dem Amt verabschiedete, wurde ein Schreiben bekannt, in dem er angestaute Versäumnisse der Politik-Koordination beklagte. Ein symptomatisches Vorgehen: In der ARD beschreibt der Chefredakteur die Probleme, überall sonst ist es seine Aufgabe, sie zu lösen. In der ARD kann man sich in der Etappe gut einrichten, zu gut. Für die Arbeit vor der Kamera zählen Publikumsgunst und Quote; für die Funktionen dahinter gibt es kaum Leistungsparameter.

Schulen der Anpassung. Dass außer den Nachrichten große Programmteile, fast alle Talk-Shows, die Filmproduktionen ohnehin in private Firmen ausgelagert werden, hat nicht nur mit Geldgier zu tun – ausschlaggebend ist vor allem, dass hier unbürokratisch gearbeitet wird und die Entscheidungswege kurz sind. Warum aber können die hausinternen Redaktionen nicht auch so arbeiten? Der Bezug zu der Gesellschaft da draußen muss für den gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor allem journalistisch sein; er wird nicht in erster Linie über die Gremienvertreter aus gesellschaftlichen Gruppen erfolgen. Sie durchlüften die Institution nicht, sondern überpolitisieren sie. Das färbt ab auf die Rekrutierung des Personals. Die Sender der ARD sind Schulen der Anpassung – was immer an beiden Seiten liegt. Kantige Dickköpfe werden vom Apparat ausgespuckt. Warum wurden ARD und ZDF für Kerkeling, Küppersbusch, Willemsen, Anke Engelke und viele andere nicht dauerhaft Heimstatt? Das ist keineswegs nur eine Frage des Geldes. Welcher Kreative hat schon Lust, sich auf Dauer in einem Umfeld einer „Ja, aber“-Mentalität einzurichten? Die ARD ist ohne Zweifel ein starkes System. Aber bringt es noch Vorbilder hervor?

Erstickungsgefahr. Wenn der ARD-Vorsitzende Fritz Raff auf Jobst Plogs Idee mit dem Hinweis auf die „durch zusätzliche Rechte und Kompetenzen gestärkte Konferenz der Gremienvorsitzenden“ reagiert, dann geht es genau in die falsche Richtung. Absurd ist doch schon, dass die Intendantenrunde zu befinden hat, wer z. B. das Nachtjournal moderiert. Schon verkündet der erste Rundfunkratsvorsitzende auf einer Pressekonferenz, dass nun im Dritten Programm das Gesundheitsmagazin dienstags laufen wird. Was geht ihn das an? Im Kleinen ist das der Bürokratismus, an dem die ARD ersticken kann. Aufsicht darf nicht gängeln. Gebt den Machern endlich mehr operativen Freiraum und Platz zur Entfaltung von Tugenden wie Neugier, Mut und Verantwortung.

Erschienen in Ausgabe 3/2007 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 31 bis 31 Autor/en: Bernd Gäbler. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.