Aus welchem Mangel heraus ist die Idee zu Lokaler GIS (lokaler.de) entstanden?
Lorenz Matzat: Warum Lokalzeitungen, Stadtmagazine oder Kommunalportale im Netz so wenig auf die Kraft von Karten setzen, ist und bleibt mir schleierhaft. So bietet doch etwa die Zoomfunktionalität grandios die Möglichkeit, als Filter zu fungieren, der hilft, sich lokal zu orientieren und zügig einen Überblick zu vermitteln. Letztlich drehen wir das Prinzip von Google Maps und Projekten wie Everyblock oder „Frankfurt Gestalten“ weiter.
Lokalredaktionen können heute schon lokale Informationen über Karten von Google oder Open Street Map einbinden. Was bietet Lokaler GIS darüber hinaus?
Wenn ich komplexere Interaktion mit meinen eigenen Inhalten auf einer Karte ermöglichen will, brauche ich dafür ein Interface und eine Datenbank. So etwas musste ich mir bislang programmieren lassen. Wir ersparen mit unserem Dienst (Software as a Service) diese Entwicklungsleistung und bieten ein hochgradig konfigurierbares System an, in das Redaktionen nicht nur Orte, sondern auch Termine und Nachrichten weitgehend automatisiert einspeisen können. Zudem liefern wir ein Werbetechnologie mit, die direkt auf der Karte stattfindet, und eine „Embed“-Funktion ist ebenfalls dabei. So können auch etwas angestaubte Websites sich einen modernen Anbau leisten, ohne das Bestehende über Bord werfen zu müssen.
Aus welchen Quellen speist sich Lokaler GIS?
Die Entscheidung darüber obliegt komplett der Redaktion. Ob ich jetzt ein Stadtportal, eine Ferienhauskarte oder eine Website zu regionalen Sportergebnissen anbieten will, ist dem System gleich. Es versteht alle gängigen Datenformate und interessiert sich letztlich nur dafür, ob die Datenquelle Ortsinformationen enthält. Enthalten die Datensätze und Texte keine Geokoordinaten, versucht das System, sie anhand von Adressen oder Ortsbezeichnungen zu ermittelt. Zusätzlich liefern wir diverse Datenquellen gleich mit: etwa Anbindungen an Open-Data-Kataloge oder die Wikipedia.
Wie wichtig ist dabei die Einbindung von Nutzern, zum Beispiel über soziale Netzwerke?
Wenn ich Informationen nicht mit anderen teilen kann, sind Webangebote als Alltagswerkzeug untauglich. Beim Lokaler GIS kann ich mir als Nutzer Orte, Termine und Nachrichten merken und diese Sammlung über einen eigenständigen Link via Facebook, Twitter etc. mit anderen teilen. Klickt jemand meinen Link, ob auf Handy, PC oder Tablet, kommt er auf die von mir zusammengestellte Karte in seinem Browser – alles ohne Login, App-Download oder andere Hürden. Zudem können Nutzer, wenn die Redaktion es zulässt, Kartenausschnitte in ihre Blogs etc. einbetten. Außerdem ist in Planung, dass Nutzer über ihr Mobiltelefon oder über soziale Netzwerke Informationen in die Karte spielen können.
Wie groß ist im deutschsprachigen Raum die Nachfrage von Medienunternehmen nach kartenbasierten Plattformen?
Es gab diverse Versuche mit Kartensystemen; z. B. hat „Der Westen“ / WAZ vor einigen Jahren damit experimentiert. Ich denke, dass technologisch die Zeit noch nicht reif dafür war. Jetzt gibt es aber Dienste wie Mapbox, die das freie Kartenmaterial von Open Street Map schnell ausliefern und so eine verlässliche Unabhängigkeit von Google ermöglichen. Smartphones und Tablets mit ihrer Touch-Bedienung schreien förmlich nach neuen Perspektiven auf Informationen. Was wir immer wieder erleben, ist, dass Redaktionen, NGOs usw. diverse kartenbasierte Konzepte in ihren Schubladen haben, aber sich davor scheuen, die Entwicklungsleistung anzugehen. Unabhängig davon, ob unser System ein Erfolg wird oder nicht: ich bin überzeugt, dass Hyperlokalität seine Berechtigung hat, bislang aber nicht gut umgesetzt wurde. Wir werden in Zukunft mehr Karten im Zusammenhang mit Nachrichten und Co. sehen.
Auf welchen (Medien-)Webseiten wird man Lokaler GIS in naher Zukunft nutzen können?
Voraussichtlich im Frühjahr 2013 wird es einen Piloten mit einer Regionalzeitung geben. Überhaupt sprechen wir derzeit mit einigen Zeitungen über einen Einsatz unseres Systems. Zuvor werden in den nächsten Wochen erste Piloten in den Bereichen politische Bildung, Tourismus und Sport starten. Und wenn alles klappt, haben wir auch bald die erste Kommune gefunden, die unser System einsetzen wird.
Viele Redaktionen decken Ereignisse oder Servicerubriken nur über lineare Berichte ab, statt (auch) Geo-Informationssysteme anzubieten, auf denen Nutzer die Informationen selbst entdecken können. Riskieren Medien den Tech-Unternehmen ein journalistisches Zukunftsfeld zu überlassen?
Ja, aber das Feld ist noch nicht gänzlich verloren. Das Projekt „Straßenatlas“ des „Hamburger Abendblatt“ etwa geht eben auf die Erkenntnis zurück, dass man seine Autorität als „Bescheidwisser“ über lokale Zusammenhänge an Foursquare, Google, Facebook, Qype/Yelp komplett zu verlieren droht. Doch muss man als Lokalzeitung genau dort seine Kompetenz und Autorität zeitgemäß unter Beweis stellen. In der Regel sitzen Redaktionen auf Bergen von Datensätzen, die schlecht genutzt verkümmern. Um diese Datenschätze zu heben, braucht es zuallererst ein wenig Mut, neue Herangehensweisen auszuprobieren.
Erschienen in Ausgabe 01-02/202013 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 52 bis 53 Autor/en: Interview: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.