?Seit fünf Jahren recherchieren Sie über Rechtsextremismus in Norddeutschland. Was war der Auslöser und welche Wirkung hat Ihre Berichterstattung?
Ich habe 2003 mit den Recherchen begonnen, als der Hamburger Neonazi Jürgen Rieger den Heisenhof kaufte, ein ehemaliges Bundeswehrgelände in Verden nahe Bremen. Der Kauf machte bundesweit Schlagzeilen, und mit ihm rückte das Thema Rechtsextremismus mitten in das Verbreitungsgebiet des „Weser-Kurier“. Ich wollte recherchieren, was es dort sonst noch an rechtsextremen Umtrieben gibt – und bin auf erschreckend viel gestoßen. Auf meine Berichterstattung gab es viele positive Reaktionen, von Eltern und Lehrern, aber auch von Experten. Und negative von „Ewiggestrigen“.
Wie kommen Sie an Ihre Informationen, und wie gehen Sie mit Drohungen um?
Die Recherchen sind schwierig. Von „offizieller Seite“ bekommt man wenig Informationen, denn Verfassungs- und Staatsschützer sind naturgemäß nicht gerade auskunftsfreudig. Man ist auf die Menschen vor Ort angewiesen, auf die Informationen engagierter Bürger, antifaschistischer Initiativen, Jugend- und Sozialarbeiter, Eltern, Lehrer und Schüler. In und über die rechtsextreme Szene kursieren viele Gerüchte. Aber alles muss doppelt und dreifach gecheckt werden. Hinzu kommt, dass man alles juristisch wasserdicht belegen muss. Denn die Neonazis ziehen gerne vor Gericht. Was die Drohungen angeht: In meinem Fall waren sie immer indirekt, und mir ist bislang nichts passiert. Als Journalistin ist man wenig gefährdet. Die Neonazis sind nicht dumm, sie wissen, wie sehr der Verfolgungsdruck nach einem Angriff auf einen Pressevertreter wächst. Ich habe wenig Angst, aber in bestimmte Gegenden gehe ich nachts nicht mehr.
Aus Ihren Recherchen entstanden auch zwei Informationsbroschüren für Jugendliche, die an Schulen in Bremen und in Niedersachsen verteilt wurden. Wäre das Internet nicht das geeignetere Medium gewesen, um Jugendliche zu erreichen?
Die gedruckten Broschüren waren die richtigen Medien. Sie sind weniger flüchtig als das schnelle Scrollen im Internet, und sie eignen sich als Unterrichtsmaterialien. Sie können gemeinsam „konsumiert“ und diskutiert werden, die Lehrer können die Texte erläutern. Wir hatten sehr professionelle und gute Layouter, die die Broschüre modern und jung gestaltet haben. Wir haben durchweg positive Resonanz bekommen, viele Schulen haben Exemplare nachbestellt. Und auch Jugendliche haben reagiert, die konnten damit etwas anfangen. Wir haben ja nicht den moralischen Zeigefinger gehoben, wir sind Journalisten. Viele Jugendliche sind viel besser informiert, als wir Erwachsenen glauben. Die wissen gut über Klamottencodes und rechte Bands Bescheid. Es gibt erschreckend wenige Jugendliche, die noch keinen Kontakt mit der Szene hatten. Deshalb müssen sie unbedingt wissen, wie geschickt rechte Propagandisten mit Jugendkulturen „spielen“, um sich wie ein schleichendes Gift in die Köpfe einzunisten. Was das Internet betrifft, haben wir diskutiert, ob wir parallel ein Gegen-rechts-Informations- und Diskussionsforum anbieten. Aber der Aufwand wäre zu groß, schließlich hängen auch die Neonazis in diesen Foren. Die Foren müssen daher ständig fachkundig betreut werden. Zudem gibt schon gute Portale – beispielsweise unter Federführung des „Stern“, der „Zeit“ oder der Bundeszentrale für politische Bildung.
Aber trotzdem wächst die Szene. Sollten sich noch mehr Journalisten des Themas annehmen?
Ja, unbedingt. Aber weil die Recherchen zeit- und damit kostenintensiv sind, ist das neben dem Tagesgeschäft kaum zu leisten. Doch gerade Kollegen in den Regionalzeitungen sollten um Freiraum kämpfen, um das Thema anzugehen: Wer sonst kann nachweisen und verbreiten, dass die Neonazis auch vor der eigenen Haustür aktiv und gefährlich sind? Der Kampf gegen rechts ist nicht nur Sache der „großen Politik“. Wir alle müssen dagegen arbeiten.
Erschienen in Ausgabe 7/2008 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 13 bis 13 Autor/en: Interview: Tina Groll. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.