Überarbeitet und unterbezahlt

Erst sattelte er vom Freelancer zum PR-Berater um. Die Aussichten in seinem angestammten Beruf waren trüb. Kurz darauf kreierte der amerikanische Journalist Kiyoshi Martinez die Webseite „AngryJournalist.com“, um jenen „unterbezahlten, überlasteten, frustrierten Medienprofis die Möglichkeit zu geben, ihrem Ärger Luft zu machen“. Er hatte den Eindruck, dass vor allem Berufseinsteiger mit denkbar schlechten Eingangsvoraussetzungen konfrontiert waren: kaum neue Jobs, wenig Aufstiegschancen und „mit großer Wahrscheinlichkeit eine unzureichende Ausbildung, da der Umgang mit den neuen Medien häufig nicht auf dem Lehrplan der Journalistenschulen steht“.

Schon nach zwei Wochen registrierte Martinez über 1000 Kommentare, nach vier Wochen hatten 164 Blogs auf sein Angebot aufmerksam gemacht. Die auf seiner Website am häufigsten geäußerten Klagen sind: kurzsichtige und einsparbesessene Vorgesetzte, Überlastung, schlechte Bezahlung und unzureichende Ausbildung..

Schlechte Aussichten. Eine Umfrage der Fachzeitschrift „American Journalism Review“ (AJR) untermauert Martinez‘ Eindruck mit Zahlen: Zwei Drittel aller Befragten gaben an, dass ihnen die technologischen Neuerungen und das Internet Angst machen. 50 Prozent erklärten, dass sie Kollegen kennen, die auf Grund ihrer Unkenntnis neuer Technologien ihren Job verloren haben. 43 Prozent sind sich nicht sicher, ob sie in fünf Jahren noch als Zeitungsjournalist arbeiten werden.

„Die Journalisten sind verängstigt, weil ihre Welt auf den Kopf gestellt wurde“, sagt AJR-Chefredakteur Rem Rieder. „Viele sind mit dem Vorsatz in die Branche eingestiegen, die Welt zu verbessern, und finden sich heute in der Lage wieder, ein paar Absätze für die Webseite schreiben zu dürfen“.

In einer anderen Untersuchung der Journalistenschule der Ball State University in Indiana gaben sogar 75 Prozent der Befragten unter 34 Jahren an, aus der Branche aussteigen zu wollen oder sich zumindest nicht sicher waren, ob sie ihren Job weiter auszuführen gedenken. Viele Anfänger, vor allem bei Lokalzeitungen, sind zwar fasziniert vom Journalistenberuf, aber bald frustriert von den niedrigen Einstiegsgehältern, oder sehen ihren Idealismus enttäuscht. „Ich war gerade mit den College fertig und sammelte erste Erfahrungen“, schildert zum Beispiel ein frustrierter Teilnehmer auf AngryJournalist.com. „Doch dann wurde ich von der dämlichen Chefredakteurin unter Druck gesetzt, ethisch fragwürdige Dinge zu tun, wie etwa mich auf eine Story über die lokalen Behörden anzusetzen, die sie in ihrem Kopf bereits fertig hatte, ohne auf die Fakten zu achten“.

John Holcomb, Präsident der Zeitungsgilde Philadelphia, meint allerdings, der Prozentsatz junger Journalisten, die nach einigen Jahren wieder aus dem Beruf aussteigen, sei keineswegs ungewöhnlich. „Es gab schon immer eine Menge Reporter, die später Anwalt wurden, in die PR wechselten oder für ein politisches Amt kandidierten“.

Die aktuelle Situation der Branche beschleunigt jedoch solche Wechsel: Immer neue Statistiken sprechen Bände über sinkende Auflagen und einbrechende Umsätze. „Kaum ein Verlag war bisher in der Lage, die Verluste durch Einkünfte aus neuen Medien wett zu machen“, sagt Craig Rosenbaum von der Journalistengewerkschaft Newspaper Guild in Chicago.

Dazu kommt, dass auch die Flaggschiffe des Journalismus zunehmend in Bedrängnis geraten: Die „New York Times“ z. B. ist nicht nur dem Druck der Investoren ausgesetzt, sondern hat mit Rupert Murdochs „Wall Street Journal“ auch einen neuen Konkurrenten bekommen. Schon wurde angekündigt, dass 100 der insgesamt 1300 Mitarbeiter in der Redaktion entlassen werden sollen.

Bei der „Washington Post“ machen sich ähnliche Bedenken breit. „Natürlich bestehen bei uns die gleichen Probleme wie in der ganzen Industrie“, sagt Peter Perl, Direktor für Redaktionsfortbildung. „Die Stimmung der Redaktion ist voller Besorgnis. Manche nehmen die Herausforderung an, andere haben Angst.“ Die „Washington Post“ hat seit 2003 drei Mal Mitarbeiter reduziert, indem sie den Beschäftigten anbot, freiwillig vorzeitig in Rente zu gehen. In der letzten Runde nahmen 70 der 150 Betroffenen an.

Die US-Gewerkschaften haben bei Entlassungen kein Mitspracherecht, sie können lediglich die Abfindungsregelung beeinflussen. Die Alternative: Um der grassierenden Angst vor neuen Technologien zu begegnen, haben etliche Gewerkschaften auf lokaler Ebene Vereinbarungen ausgehandelt, wonach die Verlage entsprechende Weiterbildungskurse anbieten müssen. Größere Zeitungsverlage, wie die „Washington Post“ tun dies schon aus eigenem Antrieb – sowohl weil Redakteure selbst danach verlangen, als auch um möglichen Motivationshemmungen vorzubeugen.

HappyJournalists. Ein Trend, mit dem Verlage die Krise abwenden wollen, ist der Fokus auf so genannte „hyperlocal news“, also Nachrichten aus Gemeinden, in denen das Treffen eines örtlichen Vereins oder eine Ausstellung eines lokalen Künstlers besprochen werden. Auch die „Washington Post“ experimentiert mit dieser Form des Journalismus auf der Webseite Loudoun.Extra.com, die von einer Handvoll „mobiler Journalisten“ betrieben wird. „Mojos“, wie sie auch genannt werden, liefern nicht nur Text und Fotos, sondern auch Videos und Audio zu sämtlichen Artikeln.

Projekte wie dieses, neue Methoden der Datenbankrecherche oder die Einbeziehung der Leser über den sogenannten „Citizen Journalism“, das sind die Ideen, mit denen die hoffnungsvolleren Protagonisten der Zunft den Beginn einer neuen journalistischen Ära beschreiben. Jan Schaffer etwa, Redakteurin des Leitfadens „Journalism 2.0“ und Direktorin des „Institute for Interactive Journalism“, J-Lab, hält die von vielen Journalisten heraufbeschworene Endzeit für selbst gewählt. „Ich glaube nicht an eine Krise“, sagt sie. „Es ist eine Krise für jene, die sich den neuen Realitäten nicht anpassen wollen“. Mit Hilfe neuer Technologien könne man auch neue investigative Projekte vorantreiben, wie es etwa die Webseite SunlightFoundation.com vorhat, die interessierte Bürger mit Hintergrundinformationen über ihre Kongressabgeordneten versorgt.

Ob solche Einzelprojekte die miese Stimmung heben können? Anfang März startete ein Angestellter der „Denver Post“ ein Gegenblog zu AngryJournalist.com mit dem Titel HappyJournalist.com. . „Ich liebe es, dass ich Informationen von unzähligen Quellen sammeln und sie so in Zusammenhang bringen kann, dass meine Gemeinde davon profitiert“, lautet eines der Postings. „Auf diese Weise sind sie in der Lage, besser Entscheidungen zu treffen“. Die Anzahl der Kommentare auf HappyJournalist.com nach einer Woche lautete: 74.

Linktipps

* „Journalism 2.0“ – Download unter: www.kcnn.org/resources/journalism_20/

* „American Journalism Review“: www.ajr.org

* Die Journalistenumfrage: www.ajr.org/Article.asp?id=4478

* Journalistenfrust ungefiltert: www.angryjournalist.com/

* Journalistenlust: http://happyjournalist.com/blog/

* Der Blog über den „Niedergang einer Institution“: www.newspaperdeathwatch.com

* Untersuchung der Ball State University: http://srreinardy.iweb.bsu.edu/burnoutcrisis/introduction.html

Neue Projekte im investigativen Journalismus:

* http://propublica.org/

* www.sunlightfoundation.com/

* Hyperlocal News: http://loudounextra.washingtonpost.com/

Erschienen in Ausgabe 4/2008 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 60 bis 61 Autor/en: Gerti Schön. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.