Manchen Kollegen wünscht man in diesem Herbst der Zeitungskrise, dass sie nur für ein paar Momente aus ihrer Haut fahren könnten. Sie sollten sich in einen 18-Jährigen hineinversetzen, der sich an eine Welt ohne Smartphones kaum noch erinnern kann. Oder in eine Fünfjährige, die versucht, eine Zeitschrift zu swipen, wenn sie sie durchblättern will – weil sie das vom iPad so kennt.
Und dann sollten die Kollegen 15 Jahre in die Zukunft reisen können. Wie werden sich die heute Jungen dann informieren? Auf Papier? Digital? – Egal.
Wer heute fordert, die Zeitung in gedruckter Form müsse ewig leben, weil Papier so schön raschelt (kürzlich halbironisch auf dem „taz“-Titel) oder aus anderen holzigen Selbstbestätigungen heraus, die ernsthafter verkündet werden, aber von der Befindlichkeit her nicht weit entfernt sind (neulich auf Seite 1 der „Zeit“), der riskiert viel. Noch mehr riskiert, wer wie jüngst ein FAZ-Kollege insinuiert, in diesem Internet stehe zu viel Geschwätz und deshalb dürften Zeitungen nicht sterben. Wenn man von der leicht generalisierenden These wirklich überzeugt ist, dass im Internet zu viel geschwätzt wird – wer soll das ändern, wenn nicht ein missionarischer Journalist?
Manche Kollegen argumentieren in diesen Wochen: Die Einstellung der „Financial Times Deutschland“, der schleichende Tod der „Frankfurter Rundschau“, Springers Synergiekonzept bei „Welt“/„Abendblatt“/„Morgenpost“, das Print-Aus für „Prinz“, die Sparpläne bei Regionalzeitungen wie in Augsburg und Nürnberg, das Abfindungsprogramm bei der „Berliner Zeitung“ et al. seien alles bloß Einzelfälle mit individuellen Gründen. Es sind leider zu viele Einzelfälle. Viele Pixel zusammen ergeben ein Bild.
Die Fakten erlauben ja kaum Zweifel. Werbe- und Marktplatzerlöse in Print schwinden schneller, als sie durch die billigeren Anzeigen im Netz aufgefangen werden. Das ist das größte Problem. Dazu kommt: Gerade junge Leser finden Nachrichtensites heute praktischer als Nachrichten-Seiten in Zeitungen. In der Bahn lesen morgens mehr Menschen auf Bildschirmen als in der „Bild“. Digitales Informationsangebot und -nachfrage sind enorm, und es gibt einen gewissen Verdrängungswettbewerb der Medien. Wer da im Jahr 2012 auf fast religiöse Verklärung des Verbreitungswegs Papier setzt, um guten Journalismus zu begründen, der macht seinen Job nicht richtig. Der Job ist, das Konzept Presse in die digitalen Kanäle zu übertragen – offensiv, lustvoll, innovativ. Und schnell, weil die Zeit knapp ist.
Gemeinsam statt gegeneinander
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Auch ich lese gern Print. Gedrucktem sei eine gute, lange Zukunft gewünscht; hoffentlich macht es noch jahrzehntelang gute Umsätze, denn es geht hier um riesige Summen, die wir digital derzeit nicht erwirtschaften. Wenn aber die aktuelle Generation führender Journalisten ein publizistisches Erbe hinterlassen will, das aus viel mehr als dem öffentlich-rechtlichen System besteht, und wenn Jüngere in zehn oder 15 Jahren noch einen Job haben wollen – dann sollten alle dorthin schauen, wo Mediennutzung seit langem boomt: in die digitale Welt.
Man kann in diesem Herbst Pessimist werden. Aber was hilft es? Wieso nicht jetzt machtvoll umdenken, digital denken? Weil es Beweglichkeit und Neugier braucht? Journalisten müssen per Definition gierig auf Neues sein. Also los.
Aus Sicht eines Optimisten haben wir in der aktuellen Krise eine Großchance: das in vielen Häusern belastete Verhältnis zwischen Print und Online grundlegend neu zu sortieren. Wir können beide Welten zusammenbringen, wenn wir kreativ sind – kreativ im Sinne von schöpferisch, und schöpferisch im Sinne von Schumpeter. Wir erleben gerade einen Schumpeter-Moment „schöpferischer Zerstörungskraft“, wie es auch die FTD-Chefredaktion in ihrem Abschiedstext an die Leser formuliert hat. Darum muss sich unsere Kreativität jetzt auf das Entwickeln neuer Geschäfts- und Redaktionsmodelle richten. Es braucht eine gemeinsame Strategiearbeit von Redaktion und Verlag sowie von Print und Online; natürlich auch eine Revision der Alltagsabläufe in den beiden Medien und zwischen ihnen. Wir müssen die publizistische wie verlegerische Strategie für unsere Titel neu definieren und jedes Haus muss für diese Fragen seine eigenen Antworten finden. Wir können den digitalen Umbruch natürlich überstehen. Wir können langfristig sogar profitieren.
Wenn wir jetzt ein paar Dinge besser machen als in früheren Jahren, in denen wir glaubten, der Frage ausweichen zu können, was unsere Marke den Menschen bedeutet und was unsere Marktlücke ist. Der Prozess, der jetzt fast zwingend folgt, wird beide journalistischen Welten ändern. Die gedruckte, aber auch die digitale. Viele Onliner mussten jahrelang in einer Schnell- und-billig-Boulevardkultur einsam vor sich hin kämpfen, denn nur wenige Titel haben ihre Digitalredaktionen ordentlich ausgestattet. Jetzt müssen ebendiese Kollegen ihren Häusern helfen, in der Moderne der Internet-Ära anzukommen. Gleichzeitig müssen sie ihr eigenes Geschäftsmodell hinterfragen. Denn das geht im Zeitungstrubel oft unter: Auch der Online-Werbemarkt wächst im Krisenjahr nicht mehr, und die Frage ist, ob er je die Mutterredaktionen miternähren kann. Die Zweifel sind groß. Die Frage nach neuen Modellen wird zu Recht lauter.
Signale der Zahlungsbereitschaft
Lange haben wir Onliner gedacht, Paid Content werde in Deutschland nie funktionieren, weil irgendeine Site immer alle Inhalte kostenlos präsentieren wird. Heute glaube ich, dass genug Leser kapieren, dass einige Sites bessere Inhalte anbieten und andere schlechtere – und dass sich diesen Lesern der Wert der besseren Sites erschließen wird. Es geht ja schon los. Die Abozahlen der SZ-Tablet-Ausgabe wachsen enorm. Ähnlich sieht es beim Spiegel aus und beides sind keine Tiefpreis-Produkte. Wir haben durch den Erfolg unserer iPad-App gelernt, dass unsere Marke stark genug ist, um Geld zu verlangen. Das ist eine dieser Hoffnungsgeschichten, über die kaum einer berichtet, weil das Schreiben über Journalistenschwermut spannender ist.
Stellen wir uns kurz vor, es hätte sich ein gutes Abo-Modell für deutsche Nachrichtenseiten etabliert. Eines, bei dem Intensivleser gerne bezahlen und andere nicht verprellt werden. Eine Variante des legendären „New York Times“-Konzepts vermutlich, die zum deutschen Markt passt. Wie anders würden wir jetzt debattieren, wenn es das gäbe! Welcher Printautor könnte sich dem digitalen Fortschritt verweigern, wenn dieser auch auf sein Konto einzahlt? Welches Argument bliebe, die beiden Welten pseudoüberhöht zu trennen? Umgekehrt könnten Onliner aufhören, den schnellen Klick mit Massenware zu suchen – weil es lukrativer würde, mit guten Texten Leser zu werben, die den Wert guter Arbeit erkennen und schließlich Sinn darin sehen, dafür Geld zu investieren.
Schon jetzt ist es im digitalen News-Allerlei entscheidend, mit Qualität und Innovationen die eigene Marke von anderen abzuheben. Wie wichtig würde dies erst, wenn eine Redaktion digitale Leser um Geld bitten will? Einzigartigkeit und Exzellenz werden überlebenswichtig, nun auch im digitalen Medium. Die gute Nachricht: Darauf kann man womöglich ein neues Geschäftsmodell bauen. Es gibt keine Garantie, dass es klappt. Es gibt aber keine sichtbare Alternative, wenn man große Redaktionen sichern will. Das vielleicht Spannendste an solchen Gedanken ist, dass in ihrem Zentrum unsere Leser stehen. Wir müssen uns künftig ernsthaft um sie bemühen – mit ihnen reden, auf sie und ihre Interessen reagieren. Hier schenkt uns das digitale Medium ein wichtiges Kapital: direkten Kontakt.
Wer sich klarmacht, dass es am Ende aller Paid-Content-Debatten um die Sympathien der Leser gehen wird, dürfte schnell von Worten wie „Paywall&#
x201C; abrücken. Ich werbe für Begriffe, die nicht mauernd ausgrenzen, sondern die harten Fans unserer Marken ansprechen und ihnen klar machen, dass sie für ihr Geld etwas Exklusives bekommen werden. „Abo“ ist gängig, aber „Leserclub“ oder „Mitgliedschaft“ beschreiben die Idee noch besser. Die „taz“-Genossen oder die NPR-Hörer in den USA wissen, warum sie für das Überleben ihrer Lieblingsmedien bezahlen. Wir müssen genauso eine verschworene Gemeinschaft mit unseren eigenen Sympathisanten etablieren. Wir müssen im digitalen Kommunikationsraum auf sie zugehen, auf sie hören.
Viele von uns müssen dafür ihre grundsätzliche Haltung gegenüber der Welt da draußen verändern. Lange konnten wir Journalisten wie aus einem Elfenbeinturm straflos auf die Leute herunterblicken und an ihnen vorbeischreiben. Jetzt wird Öffentlichkeit im Zweifelsfall ohne uns hergestellt oder an den etablierten Marken vorbei. Wenn Parteien oder Konzerne im Netz direkt mit den Menschen kommunizieren, wenn Fachblogger Spezialthemen besser beackern als wir Generalisten, wenn Leser in sozialen Netzen Geschichten aus aller Welt schneller verbreiten als Agenturen – dann unterhöhlt das unsere Relevanz als etablierte Medienhäuser. Wir müssen daraus lernen.
Fortschrittliche Kollegen scannen jeden Morgen die Lage auf Twitter und kontaktieren Politiker gleich dort. Sie analysieren, welche Themen und Texte bei Lesern trenden. Sie reagieren auf Fragen, danken für Fehlerhinweise. Sie vernetzen sich mit dem Publikum, machen ihren Journalismus transparenter und tun damit etwas zutiefst Publizistisches: Sie werden Dienstleister in und an der Öffentlichkeit.
Manchen Kollegen wünscht man in diesem Herbst, dass sie für ein paar Momente aus ihrer Haut fahren und sich in diese neue Welt hineinversetzen könnten.
Stefan Plöchinger
ist seit Anfang 2011 Chefredakteur von sueddeutsche.de. Davor war er u. a. geschäftsführender Redakteur von „Spiegel Online“ und CvD der FTD.
stefan.ploechinger@sueddeutsche.de
Erschienen in Ausgabe 12/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 30 bis 31 Autor/en: Stefan Plöchinger. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.