„Jenseits des Protokolls“

Frage 1

Bettina Wulffs Buch ist trotz großer Kritik ein Bestseller. War ihr medialer „Befreiungsversuch“ nun ein PR-Desaster oder -Coup?

Frage 2

In ihren Interviews und im Buch nannte sie stets ihren PR-Kunden. War das eine gute Entscheidung?

Frage 3

Die Reaktionen im Internet kamen einem Shitstorm gleich. Wie sollte man mit so etwas umgehen?

Frage 4

Nutzt oder schadet es, als PR-Berater selbst im Rampenlicht zu stehen?

Dirk Metz,

Ex-Sprecher der hessischen Landesregierung (Roland Koch), seit 2010 selbstständiger Kommunikationsberater

Mit den Gerüchten über ihre angebliche Vergangenheit aufzuräumen war absolut richtig. Dass sie gegen die Google-Suchwortergänzung mit herabwürdigenden Begriffen kämpft, ist sogar außerordentlich verdienstvoll, denn das kann jeden treffen. Völlig davon zu trennen ist ihr Buch. Der flapsige Ton („ich habe kein Beuteschema“), das Jammern über die Lasten als „Frau an seiner Seite“ (ich jedenfalls hatte immer den Eindruck, sie genieße öffentliche Aufmerksamkeit wie kaum jemand zuvor), das Ausbreiten von Beziehungsproblemen … Und dann noch das Kunststück, viermal parallel „Exklusiv“-Interviews unterzubringen. Es mag dem Verkauf genutzt haben, der „Verkäuferin“ eher nicht.

Das ist das allerkleinste Problem …

Sicher gilt der alte Satz: „Wer die Musik bestellt, der muss sie auch bezahlen.“ Wer sich zu einem solchen Buch hinreißen lässt, darf heute über die Reaktionen kaum erstaunt sein: Wutbürger hauen ihre Empörung in Echtzeit binnen weniger Sekunden gnadenlos raus und die von vielen gewählte Anonymität lässt noch letzte sprachliche Hemmschwellen fallen. Früher war nicht alles besser, aber Anonymität und Fäkaliensprache gingen (und gehen) in Zeitungsredaktionen nicht durch. Heute steht es im Netz, das nie vergisst.

Wenn’s gut läuft, nutzt es meistens, wenn’s schlecht läuft, nutzt es meistens nicht. Und viele Mandanten mögen es im Übrigen nicht. Was zu respektieren ist.

Klaus Kocks,

Geschäftsführender Gesellschafter CATO Sozietät für Kommunikationsberatung GmbH

Bettina Wulff ist Opfer einer infamen Rufmordkampagne; sie hat sich durch ihre selbstverliebten larmoyanten PR-Kaspereien einschließlich Buch zum Mittäter gemacht.Täter-Opfer-Dialektik. Es gibt Fragen, die man sich prinzipiell verbittet, von Amts wegen, aus charakterlichen Gründen oder mit Rücksicht auf die Kinder. Gegen Infamie hilft keine „Transparenzoffensive“ (was für eine Idioten-Strategie). „Never complain, never explain. If you complain, never ever explain.“

Man erörtert nicht seine Mandate, man nennt nicht seine Mandanten, man schreibt keine Schlüsselromane über seine Mandantschaft. Diese Schi-Schi-PR der Hannoveraner Halbwelt ist Yellow-Press-Getratsche. Seriöse Beratung ist bis an die Grenze der Verleugnung vertraulich oder ein schlechter Witz. Siehe die Bar-Episode auf der CATO-Website.

Goethe, „Der Zauberlehrling“: Man wird in der Regel jene Geister nicht los, die man selbst rief. Ansonsten: „Gar nicht erst ignorieren.“ Große Kommunikatoren sind Autisten. „Er war gänzlich unfähig, sich in andere Menschen zu versetzen, also zum Führer geboren.“ (Bertolt Brecht)

Ein Berater gehört in die Kulisse. Trotzdem muss man, will man Einfluss auf das Theater haben, bühnenfest sein. Einbeinige Stepptänzer sind nicht sehr überzeugend. Gute PR-Leute sind ein Oxymoron aus Intellektuellem und Rampensau; zur großen Klappe gehört ein kluger Kopf; sehr selten so was; aber es gibt ja auch nicht viele, die den Job wirklich können.

Dieter Weirich,

Kommunikationsberater in Berlin

Klassisches Eigentor. Ein Buch mit intimen Details, auch wenn es angeblich der Selbstbefreiung dient, gehört sich nicht für eine ehemalige Präsidentengattin, die mit vom Ehrensold deutscher Steuerzahler zehrt. Es ist ein nachträgliches Eingeständnis, dass sie als „First Lady“ eine Fehlbesetzung war.

Eindeutig falsch. Es dient auch nicht dem PR-Kunden.

Wer in die Küche geht, muss bekanntlich mit Hitze umgehen können. Der Shitstorm war ja beabsichtigt, schafft Auflage. Wer klug seine Fehler reflektiert und dabei nicht die Öffentlichkeit sucht, verursacht auch keinen Shitstorm.

Diskretion ist alles. Eitle PR-Berater versauen sich durch Eigenprofilierung selbst das Geschäft. Im Übrigen sollte man bei der Krisenkommunikation Frau Wulff auf keinen Fall engagieren. Sie hat zusammen mit ihrem Mann auf diesem Feld kläglich versagt.

Sieglinde Schneider,

Geschäftsführende Gesellschafterin der Accente Communication GmbH, Wiesbaden

Als sie sich zuerst gegen die Verleumdungen wehrte, gab es viel Verständnis. Aber warum ging sie erst nach relativ langer Zeit dagegen an? Warum hob sie dieses Thema – das zuvor kaum jemandem bekannt war – selbst in die Öffentlichkeit? Warum zeitgleich mit ihrem Buch? Das Timing konnte kein Zufall sein, sondern Teil eines kurzsichtigen PR-Taktierens. Sie hätte ihre Botschaft in Sachen Verleumdung besser in gezielten Interviews mit meinungsbildenden Medien platzieren sollen, statt den Boulevard mit Details aus einem selbstgefälligen, larmoyanten Buch zu bedienen.

Mit dem Promi nach oben gespült zu werden, ist „billige PR“. Wenn das nicht aufgeht, ist auch der Kunde getroffen. In Bettina Wulffs Kampagne ging einfach zu vieles durcheinander – Verleumdung, Aufarbeitung, Agenturpräsentation. Alles irgendwie gut gemeint, aber dumm gelaufen. So zog sie ihren Kunden mit in den Strudel nach unten. Nein, sie hätte es nicht tun sollen.

Das Internet vergisst nichts. Aber die Menschen vergessen – sobald eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird. Mit ihrem – relativ lautlos erfolgten – Rückzug und ohne weitere Kommentierungen hat sie den Schaden begrenzt. Wie war das doch gleich noch mal mit Bettina Wulff? Kein Shitstormer erinnert sich in ein paar Monaten mehr.

Berater, die die Bühne brauchen, sind fehl am Platz. Natürlich sollten sie wissen, wie man sich auf der Bühne verhält, die Dramaturgie einer Inszenierung beherrschen – aber nicht für sich, sondern für ihre Kunden und deren Themen. PR-Arbeit läuft im Hintergrund – es sei denn, sie haben eine relevante Botschaft. „Ich bin die Botschaft“, das aber geht gar nicht.

Moritz Hunzinger,

Gesellschafter der GFI Gesellschaft für Informationswirtschaft GmbH

Abwarten, denn was zu Beginn schief zu gehen scheint, kann sich (etwas) später schon ganz anders darstellen. Das – höchst erfolgreich verkaufte – Buch zu schreiben halte ich durchaus für eine gute Idee. An ihrer Stelle hätte ich allerdings einen Lektor, von dem ich weiß, dass er mir gegenüber distanziert ist, engagiert und seinen Rat befolgt.

Wenn’s dem Kunden (Ottobock, gell?) recht ist, kann ich nichts dagegen einwenden.

Differenzieren! Denn auf die Meinung der allermeisten im Bullshitstorm kommt es niemals an. Also: aushalten, größtenteils tatsächlich ignorieren. Richtig perfide berichteten viele Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine. Ganz überwiegend waren diese Autoren neidisch auf das Präsidentenpaar und weideten sich jetzt am Pech. Dies spricht gegen diese Autoren, nicht gegen Frau Wulff.

Mal nutzt es, mal schadet es. Schlussendlich kommt’s darauf an, dass man gut im Geschäft bleibt.

Erschienen in Ausgabe 10+11/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 36 bis 37 Autor/en: Umfrage: Katy Walther. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.