„Innerhalb der nächsten fünf Jahren wird ein Roboter einen Pulitzer-Preis gewinnen“, sagt Kristian Hammond von Narrative Science. Ist das Hybris oder Realismus?
Ben Welsh: Ich zweifle die Prämisse dieser Aussage an. Meiner Meinung nach haben Computer bereits Pulitzer-Preise gewonnen. Es gibt eine lange Tradition, Software für Datenanalysen bei Recherchen zu benutzen. Bill Dedman von der Zeitung „Atlanta Journal Constitution“ gewann 1989 den Preis in der Kategorie Investigativer Bericht mit seinem Beitrag über rassistische Entscheidungskriterien von Banken bei der Kreditvergabe. Auch Reporter, die Programmiersprachen benutzen, um eine Geschichte zu erzählen, sind preisgekrönt. „Politifact“, eine mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Faktencheckseite der „St. Petersburg Times“, ist ein Computerprogramm. Ich bin mir deshalb nicht sicher, wo man die Grenze ziehen sollte zwischen althergebrachtem Computer Assisted Reporting (CAR) und den Algorithmen, die neue Unternehmen wie Narrative Science entwickeln. Momentan erscheint mir der Begriff „Roboterjournalismus“ mehr wie ein neuer Sammelbegriff für viele Dinge, die es schon gibt.
Hammond glaubt aber, dass Software in fünf Jahren auch schreiben kann wie eine Edelfeder. Das wäre in der Tat neu.
Das mag sein oder nicht sein. Aber klar ist: Lineare Texte werden künftig gleichwertig neben datenbankbasierten Objekten stehen, die automatisiert auf die Website gestellt werden, um zum Beispiel – wie bei „Politifact“ – grafisch darzustellen, inwiefern Präsident Obama seine Wahlversprechen hält.
Wie setzen Sie bei der „Los Angeles Times“ softwaregenerierten Journalismus ein und welchen Nutzen ziehen Sie daraus?
Wir gehen damit sehr behutsam um und setzen Algorithmen zum Schreiben von Texten nur in relativ geringem Umfang ein. Die Algorithmen helfen uns, manche Arten von Geschichten besser zu erzählen – zum Beispiel bei unseren L.A. Crime Maps. Die Zeit, die ein Reporter benötigt, um einen Börsen- oder Polizeibericht zu schreiben, und dann noch einen und noch einen, kann ein Programmierer besser nutzen, um einen Code zu schreiben, der dann gleich 500 Börsen- oder Polizeiberichte absetzt. In einer Medienwelt, in der Allerweltstexte in jeder Ecke des Netzes zu finden sind, ist es umso wichtiger, sich mit anspruchsvollem Journalismus, den nicht jeder betreiben kann, unterscheidbar zu machen. Und Technologie kann Kosten senken, das ist in Zeiten sinkenden Budgets in Medienunternehmen essenziell wichtig.
Besteht nicht die Gefahr, dass Verlage dabei vor allem auf weniger Kosten setzen anstatt auf mehr Anspruch?
Die US-Zeitungen sparen ohnehin schon längst an der Substanz. Algorithmen statt Reporter für Routineaufgaben einzusetzen ist dabei aber kein großer finanzieller Posten, die Einsparungen dadurch sind langfristig betrachtet eher marginal. Viele Bereiche des Journalismus, die nicht automatisiert werden können, wird es in Zukunft vielleicht gar nicht mehr geben, weil es keine Zeitungsmonopole mehr gibt, die sie finanzieren können. Die Frage ist also vielmehr: Roboterjournalismus oder gar kein Journalismus.
Wie würden Sie skeptische Journalisten überzeugen, die befürchten, dass Algorithmen ihre Jobs zerstören?
Es ist schwierig, dieses Argument völlig zu entkräften. Das Argument ist mehr als 100 Jahre alt, es geht zurück in die Anfänge der Industriellen Revolution. Schon damals gab es den Bedarf an billigen Arbeitskräften und Maschinen. Ob ich diese Frage besser beantworten kann als alle vorher in der Industrie, bezweifle ich. Meine Antwort ist die gleiche: Die Technologie kann uns von simplen und monotonen Routineaufgaben befreien und damit Kapazitäten für anpruchsvollere Aufgaben freisetzen.
In welchen Bereichen außer Kriminalitäts-, Wirtschafts- oder Sportstatistiken kann computergenerierter Journalismus sinnvoll eingesetzt werden?
Möglichkeiten gibt es überall dort, wo es strukturierte Daten gibt. Momentan gibt es hier in den USA unglaublich große Datenmengen rund um die Finanzierung der Präsidentschaftswahlkampagnen. Computeralgorithmen helfen uns, die Trends und Auffälligkeiten in diesen Daten zu erkennen. Allerdings sind sehr viele Medien an diesem Thema dran, deshalb ist die Chance, einen Scoop zu landen, eher gering. Die wahre Kraft der Algorithmen zeigt sich erst, wenn man Daten analysiert, die sich ansonsten niemand ansieht. Google News analysiert und präsentiert, was die Trendthemen sind, über die alle berichten. Was wir aber bräuchten, ist ein Algorithmus, der aus allen öffentlichen Dokumenten automatisch die vernachlässigten Trends und Themen herausfiltert.
Erschienen in Ausgabe 09/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 37 bis 37 Autor/en: Interview: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.