„Wir haben noch elf Jahre …“, titelte „Bild“ 2007. Und suggerierte damit wissenschaftliche Eindeutigkeit: Der Klimawandel reißt die Erde in den Abgrund, zu einem genau errechenbaren Zeitpunkt. Kein seriöser Klimawissenschaftler ließe sich zu dieser These hinreißen. Genauso wenig kann jeder starke Regen direkt auf die Erderwärmung zurückgeführt werden – was Medien aber gerne tun. Insgesamt nehmen extreme Wettereignisse zwar zu, auch in ihrer Heftigkeit. Aber den Einzelfall exakt zu bestimmen gilt als viel schwieriger: „Es gibt Verkürzungen und Überzeichnungen“, sagt die Hamburger Journalistik-Professorin Irene Neverla, die die Klimaberichterstattung erforscht. „Der Klimawandel ist nicht für jeden zu warmen Sommer verantwortlich. Oder nehmen wir die Bilder des Eisbären auf der Eisscholle, die für sich genommen nichts beweisen.“
Schnellschlüsse und unbewiesene Aussagen – diese Defizite machen Medienwissenschaftler in der Umweltberichterstattung immer wieder aus. Aktuell stellen sie fest, dass Medien grüne Themen immer öfter aufgreifen. Sei es im Wissenschaftsjournalismus, wie eine Studie der Universität Dortmund ergeben hat. Oder auch in der Wirtschaftsberichterstattung. Entscheidend ist allerdings die Frage, was gemeint ist: Linker Umweltjournalismus, meist mit starkem Naturbezug, im klassischen Sinne der 80er Jahre? Oder Themen aus dem Spektrum der Nachhaltigkeit, die auch oft als Dimension eines Beitrags auftauchen, nicht aber in der Überschrift stehen. Fasst man den Blick weiter, ist in der Medienlandschaft eine große grüne Wiese zu erkennen, die seit dem Klima-Hype vor sieben Jahren kräftig sprießt.
Grüne Revolution
Der Klimawandel ist, trotz aller Aufs und Abs, ein neues „Metathema“ geworden, wie Neverla sagt. Ein Themenstrang, der für längere Zeit nicht mehr zu vergehen scheint – und an den Journalisten andere Öko-Themen leicht andocken können. Dass die Berichterstattung über sie zugenommen hat, zeigen auch all die neuen grünen Magazine, TV-Formate, Sonderseiten, Serien, Blogs und Kolumnen. Egal ob „Grüne Revolution“ (SZ), „Green Minds“ (FTD), „Werkstatt Zukunft“ („Geo“) oder „Green New Deal“ („Zeit“).
Das Thema ist sogar so erfolgreich, dass es eigene Anzeigenbeilagen gibt, die sich um Umwelt und Nachhaltigkeit drehen – so etwa das monatlich erscheinende Magazin „RAL 6010“, das der „Frankfurter Rundschau“ beiliegt. Nicht zu vergessen die klassischen Umweltmagazine wie „Natur“ und das „Greenpeace-Magazin“, das sich mit hoher journalistischer Qualität und intelligenten Themenideen einen Namen gemacht hat. Dazu kommen unzählige neue Websites, von CO2-Rechnern über Biokost-Portale und Magazine wie utopia.de. Nicht zu vergessen die klassischen Umweltsendungen wie etwa „Umwelt und Verbraucher“ beim Deutschlandfunk oder ZDF-Umwelt. Und Kampagnen für das ganze Programm wie „Green Seven“ bei Pro 7.
Das Umweltthema ist breiter geworden – und hat damit sein früheres mediales Etikett verloren, weshalb es manchmal auch schwieriger zu finden ist. Umweltbezüge stecken ebenso im harten „taz“-Klimareport wie im seichten „Landlust“-Cover. Und sie tauchen mittlerweile in fast allen Feldern auf – egal ob es um Finanzmärkte, Parteiprogramme, Stadtplanung, Innenarchitektur, Elektrogeräte, Einkaufen, Energieversorgung, Erziehung, Autodesign oder Textilien geht. Wenn grüne Bezüge und Themen aber Massenware werden, müssen Journalisten umso genauer schauen, dass sie nicht zur Ramschware verkommen. Manchmal ist der Lack schnell ab: „Greenwashing“ ist Teil des grünen Themenbooms und stellt Journalisten, die so viel Harmonie zwischen Umwelt und Wirtschaft womöglich selbst nicht(?) gut finden, vor Probleme. Doch es gibt Handwerkszeug, um den Überblick zu behalten, wie etwa den Klima-Lügendetektor von klimaretter.info.
Bei genauerem Durchschreiten der Wiese fällt auf, dass Medien die Umweltdebatte meist naturwissenschaftlich oder technisch führen. Soziale und kulturelle Fragen tauchen selten auf – was dem Konzept der Nachhaltigkeit mit seinen Dimensionen Ökologie, Wirtschaft und Soziales Rechnung trüge. Ebenso wie den neuen Forschungsprojekten, die in der Soziologie, Psychologie, Politikwissenschaft und in den Kulturwissenschaften – meist unbemerkt – zu grünen Themen laufen. „Wir brauchen einen Nachhaltigkeitsjournalismus“, sagt Gerd Michelsen, Professor für Nachhaltigkeitskommunikation an der Universität Lüneburg und Leiter des neu eingerichteten Studiengangs „Nachhaltigkeit und Journalismus“: „Medien müssen ihre Perspektiven erweitern, um endlich den Umweltdiskurs mit der Gesellschaft zu verbinden. Das ist bisher kaum gelungen.“ Auch die Bremer Journalistik-Professorin Béatrice Dernbach fordert, „die getrennten Welten von Sozial- und Naturwissenschaften so früh wie möglich zusammenzuführen“, doch: „Leider gibt es dafür zu wenige übergreifende Studienangebote“ (s. Kasten S. 51).
Problem: fehlendes Sachwissen
Nachhaltigkeit – nur wenige Wörter sind so inflationär gebraucht, spicken Geschäftsberichte genauso wie Politikerreden. Das macht es nicht leichter, Journalisten für das Thema zu öffnen. Für sie ist Nachhaltigkeit meist „zu komplex, zu langfristig, ohne spektakuläre Erkenntnisse. Kurzum: nicht wirklich sexy“, sagt Dernbach. „Nachhaltigkeit ist für Redaktionen fast zu groß“, sagt „Zeit“-Redakteurin Petra Pinzler, die das Themenspektrum schon länger verfolgt. In ihrer Redaktion versuchen die Ressorts die Komplexität aufzulösen, indem sie stärker zusammenarbeiten. „Das Thema ist nur mit Netzwerken zu begreifen“, so Pinzler. Ein grundlegendes Problem ist fehlendes Sachwissen: „Nachhaltigkeit – das ist doch irgendwas mit Umwelt“, so und ähnlich wird häufig in Redaktionen reagiert, wenn über das Themenfeld oder die Lokale Agenda 21 berichtet werden soll. Entsprechend läuft der Zugang in journalistischen Beiträgen zumeist über diese Schiene. Fragen der Gerechtigkeit, und um die dreht sich Nachhaltigkeit stark, werden dabei kaum berücksichtigt. Auch ökologisches Wissen fehlt oft in den Redaktionen. Warum nur?
Redakteure haben zumeist ein geisteswissenschaftliches Studium absolviert und ein Volontariat angeschlossen. Naturwissenschaftlich, technisch oder betriebswirtschaftlich vorgebildete Redakteure gibt es wenige. Das gilt vor allem für lokale Medien, bei denen es selten Kollegen gibt, die ein zu ihrem Ressort passendes Studium absolviert haben. Zumeist arbeiten sie sich über die Jahre in Themen ein. Fortbildungen besuchen Redakteure kaum, zumal solche zu inhaltlichen Fragen. Überwiegend stehen Seminare zur redaktionellen Organisation oder zu handwerklichen Themen auf dem Programm. Kurse, die Sachwissen vermitteln, gibt es in der medialen Weiterbildungsszene generell wenige – zu Umwelt und Nachhaltigkeit sind es nur eine Handvoll. Der grüne Themenboom stellt zudem neue Fragen: Wie wird der Journalismus selbst umweltfreundlicher? Die Zahl der Flüge und Autofahrten für Recherchen, Solarzellen für Verlagshäuser, Strom- und Papierverbrauch bei der Produktion – all das gehört auf den Prüfstand, fordern Medienwissenschaftler und Umweltschreiber wie etwa Peter Unfried. Der Chefreporter der „taz“, der auch für das neue Umweltmagazin der Zeitung, „Zeo2“, schreibt, ist eine wichtige Stimme im Ökodiskurs. In seinem aktuellen Buch „Stromwechsel“ wirft er den deutschen Medien Versagen vor. Sie scheuten grundlegende Debatten, etwa über Wege aus der Wachstumsgesellschaft, die mit Begriffen wie „Verzicht“ und „weniger ist mehr“ gef