01. … dass Jörg Quoos der richtige Mann für „Focus“ ist?
Falls nicht, kann er sich auf das folgende, von Kai Diekmann autorisierte Zitat berufen. Auf die Frage, ob Jörg Quoos im Fall der Fälle zurückkehren könne, antwortete der „Bild“-Chefredakteur ohne zu zögern und sehr bestimmt: „Jederzeit.“
Mit keinem habe er länger und enger zusammengearbeitet als mit ihm, sagt Diekmann über „Quoosi“, wie er seinen bisherigen Stellvertreter gerne nennt. Um zu verstehen, welche Beziehung die beiden zueinander haben, mag folgende Szene hilfreich sein. Es ist eine Szene, die sich vor neun Jahren zutrug, am Tag, als die „taz“ sich ihre liebsten Feinde einlud, die Jubiläumsausgabe zum 25-jährigen Bestehen der Zeitung zu produzieren. Diekmann verteilte gerade die Aufgaben an die um ihn Versammelten, als sein „Bild“-rotes Handy klingelte. Er nahm es, warf es in hohem Bogen in die Luft – und Quoos fing es wie selbstverständlich auf und nahm den Anruf an Diekmanns Stelle an.
Doch Quoos auf die Rolle des fleißigen, loyalen Stellvertreters zu reduzieren, wäre falsch, sagt Diekmann und erzählt, wie er ihn vor 20 Jahren nur unter Einsatz von sehr viel Grappa dazu überreden konnte, die „B.Z.“ und damit Berlin zu verlassen, um mit ihm nach Hamburg zur „Bild“-Zeitung zu gehen. Quoos als einer seiner beiden Stellvertreter bei „Bild“, sagt Diekmann, sei stets in der Lage gewesen, seinen Platz einzunehmen. Er habe als Blattmacher nicht nur bewiesen, dass er ein kreativer, journalistischer Kopf sei, sondern dass er auch ein geradezu seismographisches Gespür habe, was beim Leser ankommt. „Sein einziger Fehler ist: Er hat keinen Fehler“, sagt Diekmann.
Und was sagt Quoos zu seiner künftigen Aufgabe bei „Focus“? Nichts, darüber will er, wenn es so weit ist, zunächst mit den „Focus“-Redakteuren sprechen. Nur so viel: Kommendes Jahr werde er 50, da habe er sich gefragt, ob er wie schon die vergangenen acht Jahre weiterhin Stellvertreter bleiben oder noch einmal etwas Neues beginnen will.
Falls das Himmelfahrtskommando scheitert, kann er die Schuld ja für alle nachvollziehbar auf den schon vor seiner Zeit aussichtslosen Zustand von „Focus“ schieben – und sich an das Zitat seines früheren Chefredakteurs erinnern, siehe oben.
02. … dass Nikolaus von der Decken der Falsche für die Burda-Journalistenschule ist?
Man weiß wirklich nicht, was irritierender ist: dass ein ausgewiesener PR-Mann ohne jegliche journalistische Erfahrung in einem großen Verlagshaus die Verantwortung für die Ausbildung angehender Journalisten übertragen bekommt – oder dass sich darüber schon gar keiner mehr wundert, auch keiner der Mediendienste, die den Wechsel von Nikolaus von der Decken an die Spitze der Burda-Journalistenschule gemeldet haben.
Von der Deckens bisheriger Werdegang: Nach seiner Ausbildung zum Werbekaufmann mit anschließendem Magisterstudium in den Fächern Geschichte, Anglistik und Theaterwissenschaft führte ihn seine erste berufliche Station zur Kirch-Gruppe, und zwar direkt in die Pressestelle. Von dort wechselte er 1999 zu Burda in die Kommunikation. Von der Decken hat in den 20 Jahren seiner beruflichen Laufbahn nie etwas anderes gemacht als PR. Empfiehlt ihn das als Leiter einer Schule, in der jungen Journalisten beigebracht wird, worin ihr Handwerk besteht? Es könnte einen Grund geben, warum von der Decken der einzige Nicht-Journalist an der Spitze einer Journalistenschule ist: An einem PR-Mann sollten sich angehende Kollegen jedenfalls besser nicht orientieren.
Andreas Wolfers zum Beispiel volontierte beim „Flensburger Tageblatt“, war Zeitungskorrespondent in Israel, schrieb für „Geo“ und war Textchef und später geschäftsführender Redakteur des „stern“, bevor er Leiter der Henri-Nannen-Journalistenschule wurde. Einer ihrer Absolventen ist Marc Thomas Spahl. Er war Ressortchef bei der „Hamburger Morgenpost“, Textchef und später stellvertretender Chefredakteur des Magazins „Max“ und geschäftsführender Redakteur und Mitglied der Chefredaktion von „Welt“ und „Berliner Morgenpost“, bevor er Leiter der Axel-Springer-Akademie wurde. Oder Klaus Methfessel, Leiter der Georg-von-Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten: Er schrieb für das „Manager Magazin“, war Redakteur, Ressortleiter und stellvertretender Chefredakteur von „Capital“ und „Wirtschaftswoche“. Ähnlich Jörg Sadrozinski, Leiter und Absolvent der Deutschen Journalistenschule in München, der zuvor Redaktionschef von tagesschau.de war, oder Oscar Tiefenthal, Leiter der Evangelischen Journalistenschule, der bei den „Harburger Anzeigen und Nachrichten“ volontierte, Entwicklungsredakteur des Springer-Projekts „Der Tag“ war, später leitender Redakteur und Nachrichtenchef der „Welt am Sonntag“ sowie Stellvertreter des Chefredakteurs beim „Nordkurier“. Allesamt Journalisten also, durch und durch. Selbst von der Deckens Vorgänger Jens Schröter ist Diplom-Journalist und hat sich zumindest wissenschaftlich und als Dozent mit Journalismus beschäftigt, bevor er den Job antrat, den er nun an einen ausgewiesenen PR-Mann abgegeben hat.
Von der Decken freilich sieht in seiner nicht vorhandenen journalistischen Erfahrung kein Manko. Er erklärt, aus seiner bisherigen Arbeit als Burda-Unternehmenssprecher zu wissen, wie Redaktionen ticken, und verweist auf seine Kontakte in die Branche. Reicht das? Während man noch nach einer Antwort sucht, erinnert man sich an die eine oder andere seiner telefonischen Schimpftiraden, gerade so, als sei Kritik an Burda gleichbedeutend mit Majestätsbeleidigung. Was angehende Burda-Journalisten künftig lernen, lässt von der Decken erahnen, als er das Zitat bemüht: „Der Journalist sucht das Wahre, die PR das Gute“, und ergänzt: „So weit auseinander liegen die Berufe also nicht.“
Lieber Niko von der Decken: Journalismus und PR unterscheiden sich, und zwar ganz gewaltig: Zur ganzen Wahrheit gehört nämlich auch das Schlechte.
03. … dass sich der „stern“ beim Henri-Nannen-Preis mit fremden Federn geschmückt hat?
Vor lauter Streit, ob die beiden „Bild“-Redakteure den Henri nun verdient haben oder nicht und ob die Ablehnung des Preises durch die drei Rechercheure der „Süddeutschen Zeitung“ bewundernswert oder fehl am Platz war, geriet manch anderer Aspekt der diesjährigen Preisvergabe ins Hintertreffen. Zum Beispiel jener, ob sich der „stern“ zu Recht über den Henri in der Kategorie Fotoreportage freuen darf. Keine Frage, Kai Löffelbein hat die Auszeichnung verdient. Seine Bilder, begründet die Jury die Auszeichnung der Reportage über eine Elektroschrott-Müllhalde in Ghana, „sind vorzüglich komponiert, sie sind von höchster Qualität“ und „im klassischen Sinne schön und eindrucksvoll“. Und, heißt es da: „Sie öffnen die Augen und begeistern sie.“
Wohl wahr. Exakt aus diesem Grund wurde Löffelbein zuvor bereits für ebenjene Arbeit mit dem 1. Platz beim „Unicef-Bild des Jahres 2011“ gewürdigt. Und nur aus diesem Anlass erschien die Fotostrecke überhaupt auf stern.de – nebenbei: nur online, zu keinem Zeitpunkt im gedruckten „stern“, einst erste Adresse für Fotografen.
Aber das scheint niemanden zu stören, auch nicht beim Henri-Nannen-Preis: Sprecherin Susanne Hacker erklärte, das habe bislang keinen gewundert, sie sehe da kein Problem.
Mit diesem Wissen ist das kleine Gespräch zwischen Judith Rakers, die durch die Henri-Gala führte, und Preisträger Kai Löffelbein in ganz neuem Licht zu sehen. Darin bekannte der Fotograf, ohne Auftrag auf eigene Fa
ust nach Afrika gereist zu sein und die Reise komplett selbst finanziert zu haben, während Rakers von Chefredakteuren erzählte, die Afrika ungern ins Blatt nehmen, weil sie denken, „Afrika funktioniert nicht“, das bringe „schlechte Auflage“. Meinte sie damit etwa den „stern“, der mit fixem Blick auf die Auflage in jener Woche, als der Henri vergeben wurde, mit einer Story über Sex aufmachte hat, garniert mit weiblichem Schmollmund wie aus den Siebzigerjahren auferstanden, und gar nicht merkte, dass die TV-Beilage derselben Ausgabe mit einer kühlen Schönen titelte: „Sex war gestern“?
Oft, erzählt Löffelbein, bekomme man für Fotos, die online erscheinen, gar kein Geld, für jene Veröffentlichung habe er wenigstens ein „kleines“ Honorar bekommen. Da tröstet es ein wenig, dass er für die bereits zuvor preisgekrönte Fotoreportage nun nachträglich 5.000 Euro Henri-Preisgeld bekommt und zumindest auf diese Weise seine Arbeit refinanziert haben dürfte.
Ulrike Simon ist freie Medienjournalistin in Berlin.
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Erschienen in Ausgabe 06/202012 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 16 bis 17 Autor/en: Ulrike Simon. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.