Abmahnen zwecklos

Lasst bloß die Finger von Abmahnungen gegen Blogger, wenn die im Internet schlecht reden oder Unwahres verbreiten. Geht ihr dagegen vor, jazzt ihr selbst die Krise hoch zum Tsunami. Der Solidareffekt im Netz ist unberechenbar. So in etwa lautete die Empfehlung, mit der der sonst so klagefreudige Prominenten-Anwalt Christian Schertz kürzlich beim Krisenkommunikationsgipfel in Köln überraschte.

Vor zwei Jahren wäre so eine Aussage von Christian Schertz undenkbar gewesen. Seine Kanzlei am Kurfürstendamm in Berlin ist bekannt dafür, nicht lange zu fackeln, wenn die Rechte seiner Mandanten in Zeitung oder Fernsehen verletzt werden. Dann aber verlor der mächtige Medienanwalt aus Berlin vor Gericht mit Pauken und Trompeten gegen den Blogger Rolf Schälike. Und verlor dabei offenbar auch den Glauben, dass man Schmähkritik Skandale und sonstige Kommunikationskrisen im Internet in den Griff bekommt.

Recht & Gesetz

Rolf Schälike, Jahrgang 1938, ist ein pensionierter Sandalenträger mit Physik-Diplom, der unerschütterlich auf das Recht der freien Meinungsäußerung pocht. Er schreibt wie wild mit, was Richter und Anwälte im Gerichtssaal so von sich geben. Ebenso wild lesen sich dann seine orthografiebedürftigen Protokolle auf buskeismus.de, wo Verhandlungen nicht selten als absurdes Theater vorgeführt werden. Der Name der Seite ist nach Andreas Buske benannt, einem umstrittenen (und inzwischen an das Hanseatische Oberlandesgericht versetzten) Richter mit schulterlangem Haar, der die Pressefreiheit an der Hamburger Pressekammer sehr restriktiv auslegt. Buske hat beispielsweise verboten zu behaupten, der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hätte sich die Haare gefärbt. Schälike verortet deshalb in Hamburg das „Zentrum der deutschen Zensur“.

Auf buskeismus.de dokumentierte Schälike auch Schertz-Prozesse, was dem wiederum missfiel. Schertz wollte in Schälikes Gerichtsreportagen weder namentlich genannt noch kritisiert werden. Er klagte, immer wieder, und drohte auch jenen, die über seinen Zoff mit Schälike berichteten. Schälike selbst („Ich lasse mich von Anwälten nicht unterkriegen.“) wehrte sich, immer mehr mit Erfolg. Richter urteilten zuletzt, Schertz müsse kritische Berichterstattung akzeptieren. Die juristischen Scharmützel schaukelten sich hoch zum Höhepunkt im März 2010. Am Landgericht Berlin scheiterte Anwalt Schertz mit dem Versuch, den Kontrahenten als „Stalker“ verurteilen zu lassen. Seither herrscht zwischen den beiden mehr oder weniger Ruhe.

Man kann es also so sehen: Einer der meistgefürchteten Medienanwälte hat vor der Renitenz eines Bloggers kapituliert, von dessen Art es nicht viele gibt. Die Erfahrung mit Schälike hat Schertz dazu gebracht, auf dem Krisengipfel-Podium in Köln resigniert festzustellen: „Alles im Netz ist erlaubt – ich frage mich, warum?“

Dürfen sich Blogger aber wirklich alles erlauben? Oder muss, wer im Internet publiziert, wie ein Presseorgan behandelt werden? Sprich: Haften Blogger gleichermaßen wie Journalisten?

Sind Blogger Presse oder Laien?

Diese Frage wird in Juristenkreisen besonders diskutiert, seit ein Blogger vor das Bundesverfassungsgericht gezogen ist. Michael Frison will dort klären lassen, ob er einen Zeitungsartikel mit einer falschen Tatsachenbehauptung aus seinem Nürburgring-Forum („N-Forum“) hätte löschen müssen. Er tat es zwar, weigerte sich aber, eine Unterlassungserklärung abzugeben, weil er im Betrieb eines Forums keine publizistische Tätigkeit sieht. Frison beruft sich auf das 1991 eingeführte sogenannte Laienprivileg: Wer nicht berufsmäßig publiziert, darf sich ohne eigene Prüfung auf Informationen aus Presseberichten verlassen – anders als etwa Journalisten, die von den Landesmediengesetzen zur Sorgfalt verpflichtet werden.

Laut Anwalt und Autor David Ziegelmayer im Fachorgan „Legal Tribune Online“ ist dieses Privileg „ein schwammiges Konstrukt“, das „gewiss einer Generalüberholung bedarf“. Wenn die Karlsruher Richter Frisons Beschwerde tatsächlich annehmen, was sie bis jetzt nicht getan haben, wird der Streit um das Forum zur Grundsatzfrage: Wo verläuft die Grenze zwischen Bloggern und Journalisten? Viele Gerichte haben sich mit ihren jüngsten Entscheidungen schon positioniert: Es gibt keine Grenze. Nun will sich auch die Politik an einer Grenzziehung versuchen. Mitte Mai soll die neue Projektgruppe „Kultur, Medien, Öffentlichkeit“ der Internet-Enquete des deutschen Bundestages ihre Arbeit aufnehmen; Mitglieder sind unter anderem Medienrechtler Wolfgang Schulz und Viva-Gründer Dieter Gorny.

„Das Internet aufräumen“

Nicht zuletzt der Fall Frison zeigt: Blogger und Forenbetreiber sind in ihrer Kommunikation nicht mehr frei wie ein Vogel. Längst haben sich Anwälte darauf spezialisiert, das Internet nach abmahnfähigen Beiträgen zu durchforsten. „Blogger sind die Ersten, die einknicken. Verlage sind da wesentlich zäher“, behauptet Ralf Höcker. Der Kölner Jurist arbeitet sich noch immer an der Reputation seines prominenten Mandanten Jörg Kachelmann ab. In der Hochphase des Prozesses wegen mutmaßlicher Vergewaltigung setzte seine Kanzlei Alert-Dienste ein, um Worte wie „Peitsche“, die Kachelmanns Intimsphäre verletzen, im Netz aufzustöbern und dagegen juristisch vorzugehen. „Wir holen nicht immer gleich die Dicke Berta heraus“, sagt Höcker gleichwohl. Manchmal reiche ein Anruf „inklusive erklärendem Sonderprogramm“, und der Blogger lösche seinen Artikel. „Oft hilft das richtige Maß an Fingerspitzengefühl.“

Anders als sein Kollege in Berlin fürchtet Höcker Shitstorms, also die scheinbar unkontrollierbare Streuung von Inhalten im Netz, nicht. Seine Erfahrung habe gezeigt, dass man durchaus „das Internet aufräumen“ könne. Ob Fotos von Kindern prominenter Models oder aufgekochte alte Affären von Fußballern – er habe schon häufig die unerlaubte Weiterverbreitung effektiv stoppen können. Abmahnungen an Blogger seien heute keine Sensation mehr, sondern Alltag.

Teurer Alltag. Deutschland gehört zu den wenigen Ländern, in denen man schon für den Erhalt einer Abmahnung zur Kasse gebeten wird. Die Abmahnkosten liegen je nach Streitwert (20.000 bis 50.000 Euro sind üblich) zwischen 850 und 1.400 Euro plus Mehrwertsteuer. Buskeist Schälike sieht in dieser Praxis eine „Fehlentwicklung des Systems“: „Gerichtsverhandlungen sind zu reinen Honorarverhandlungen verkommen.“ Nichts zu haben, von Hartz IV zu leben, könne guter Schutz gegen ein solches Geschäftsfeld sein. Er selbst ist pekuniär optimal ausgestattet, um seine Meinung vor Gericht durchzufechten. Allein 50.000 Euro habe ihn die jahrelange Auseinandersetzung mit Anwalt Schertz gekostet, sagt Schälike und ergänzt nicht ohne Stolz, dass sein Kontrahent mehr als das Doppelte habe blechen müssen.

Blogger nicht wehrlos

Inzwischen kennt Schälike juristische Tricks, wie man sich erfolgreich gegen Abmahner wehrt: „Gewinne ich im Hauptsacheverfahren und der Kläger geht in Berufung, beantragt mein Anwalt umgehend die Zurückweisung. Nimmt der Kläger die Berufung auf Anraten des Gerichts von sich aus zurück, so bekommt mein Anwalt locker an die 500 Euro für nur ein kleines Schreiben.“ Auch so kann man Anwälte reich machen.

Zweimal schon zog Schälike es allerdings vor, publicityträchtig in den Knast zu gehen, statt Ordnungsgeld zu zahlen, um auf Missstände im Justizwesen aufmerksam zu machen. Als ungeheuerlichen Justizskandal bezeichnet er den Fall des Bloggers Peter Niehenke: Weil er wiederholt Adressbuchbetrüger in Verbraucherportalen an den Pranger stellte, verbüßt Niehenke derzeit sogar 17 Monate Ordnungshaft. Gegen diese „unverhältnismäßige Härte“ hat der 62-Jährige eine Petition beim Bundestag eingereicht.

„Viele Blogger ha
ben aufgegeben, sich mit Anwälten und Richtern auseinanderzusetzen – es ist schlicht zu teuer“, weiß Schälike, der auch bloggende Kollegen berät. Die, die sich nicht mundtot klagen lassen wollen, bekommen bald Hilfe. Noch für diesen Mai plant eine Truppe um Heddesheimblogger Hardy Prothmann die Gründung eines „Vereins gegen den Abmahnwahn“, um Blogger und freie Journalisten finanziell, juristisch und publizistisch zu unterstützen.

Nicht zuletzt Prothmann selbst könnte von der geballten Manpower aus Anwälten, Journalisten und Sponsoren profitieren. Elf Abmahnungen hat der bloggende Lokaljournalist bislang kassiert. Die elfte Abmahnung kam von prominenter Stelle: Grünen-Politiker Christian Ströbele beschwerte sich über einen nicht ganz korrekten Prothmann-Bericht, zog dann aber zurück, nachdem bundesweit intensiv über die „Fischfutter-Affäre“ berichtet worden war. Dem Medienmagazin „Zapp“ gestand Ströbele: „Mein Versuch, das aus der Öffentlichkeit rauszuhalten, ist ja kläglich gescheitert, das muss man einfach sagen.“ Dieser Satz könnte auch von Christian Schertz stammen.

Senta Krasser ist freie Journalistin in Köln.

senta@krasserjournalismus.de

LINK:TIPPS

1. Der Blog von Rolf Schälike:

www.buskeismus.de

2. Der Kongress zur Krisenkommunikation:

www.krisenkommunikationsgipfel.de

3. Eine Dokumentation über den Fall Michael Frison:

http://20832.com/prozess/

Erschienen in Ausgabe 04+05/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 42 bis 43 Autor/en: Senta Krasser. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.