Frau Rados, zuletzt berichteten Sie im August aus Libyen. Wann geht es wieder los?
Antonia Rados: Ich fahre übermorgen wieder hin. Ich war beim Sturz Gaddafis dabei, jetzt reizt es mich, in Libyen zu sein, wenn er gefunden wird. Wer weiß, wie lange ich dort sein werde. So begrüßenswert die Umbrüche in der arabischen Welt sind: Darüber zu berichten ist aus Reportersicht oft frustrierend. Syrien ist quasi unzugänglich, das sind fast schon nordkoreanische Verhältnisse.
Wie viele Reportagen konnten Sie nicht machen, weil es zu gefährlich gewesen wäre?
Jede Menge. Einen Teil der Reportagen macht man nicht, weil andere daran gescheitert sind. Bei anderen wird man von den Umständen gezwungen, etwa weil man kein Visum kriegt oder keine Drehgenehmigung. Für meine Reportage über Somalia habe ich zwei Jahre recherchiert, es dauerte herauszufinden, wie ich dort arbeiten könnte. Nach Somalia zu fahren, sich dort zu verstecken und so zu tun, als wäre alles sehr gefährlich, reicht ja nicht. Aber das Wort „aufgeben“ kenne ich nicht.
Mit der Reportage über Somalia waren Sie gerade für den Emmy nominiert, gewonnen hat ein anderer; im März schauten alle auf Sie, weil Sie ein Interview mit Muammar al-Gaddafi führten. Tangiert Sie diese Aufmerksamkeit?
Zunächst: Es gibt größere Tragödien im Leben, als einen Preis nicht zu bekommen. Und es gehört zur Tugend eines Reporters, eine Geschichte abzuhaken, sobald sie fertig ist, die Nachwehen zu ignorieren. Es war übrigens überraschend leicht, das Gespräch mit Gaddafi zu bekommen.
Im Nahen Osten können sich Frauen oft nicht ohne Kopftuch zeigen. Wie verändert Sie diese Art der Verschleierung?
Man muss unterscheiden: In gewissen Ländern muss eine Frau Kopftuch tragen, in anderen kann man es tragen. In einigen brenzligen Situationen wiederum setzt man es freiwillig auf, um sich selbst zu schützen, um unauffälliger zu sein, im wahrsten Sinne des Wortes „unterzutauchen“. Ich persönlich trage das Kopftuch nicht gerne, aber ich fahre nicht auf Reportage, um irgendwelche Sachen gerne zu tun oder nicht, sondern um zu berichten. Und wenn es der Berichterstattung dient, mache ich da Konzessionen, obwohl ich mich oft wortreich dagegen wehre.
Haben Sie auch schon mal Burka getragen?
Ja, in Afghanistan. Vor vielen Jahren. Um illegal über die Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan zu kommen.
Sie sagen, im Krieg agieren Reporterinnen wie Männer. Gibt es also keinen weiblichen Blick?
So eine Frage würde man einem Arzt auch nie stellen: Operiert eine weibliche Chirurgin anders als ihr männlicher Kollege? Eine gewisse Professionalität macht alle gleich. Doch Krieg ist, mehr als Operieren, eine Testosteron-Angelegenheit. Debatten darüber, wie Krieg geführt wird und warum, haben bei männlichen Kollegen oft etwas Mechanisches an sich. Ich könnte auch sagen, der Krieg fasziniert einige über alle Maßen. Männliche Kollegen identifizieren sich relativ schnell mit Militärs oder einer der Kriegsparteien. Ich habe schon Reporter gesehen, die in trauter Gemeinsamkeit mit Soldaten Waffen ausprobieren. So etwas würde eine Frau nie machen. Diese Nähe zur militärischen Ebene, wie sie manche Männer haben, hat eine Frau einfach nicht. Das bedeutet auch, dass Kriegsreporterinnen viel mehr lernen müssen, weil sie ja in der Sandkiste nie Schlachten geführt haben.
Hätte also auch ein Mann Reportagen wie „Frauen in Angst“ machen können?
Ob sie gemacht werden können, weiß ich nicht, aber sie werden nicht gemacht. Vielleicht fallen die Themen Männern auch einfach nicht ein. Das „Mitleiden“ für den Zustand der Frauen ist bei einer Frau einfach größer als bei einem Mann. Es stimmt, ich kann leichter in die Welt der Frauen eindringen, aber ich bin mir nicht sicher, ob das ein Mann nicht genauso machen könnte. Mein sachliches Argument für diese Art von Reportagen ist: Obwohl man es gerne vergisst, machen Frauen in den meisten Ländern 50 Prozent der Bevölkerung aus. Warum soll man nicht über die Hälfte der Menschheit berichten?
Ihre Arbeit ist stets von einer Gefahrenrealität geprägt, ob Selbstmordkommandos oder Gefechte. Haben Sie ein Testament?
Nein. Auf diese Idee bin ich noch nicht gekommen. Außerdem wäre das Testament-Machen vor einer Reportage von einem gewissen dunklen Pessimismus geprägt. Aber Triumph ist in Kriegsgebieten ohnehin keine Option. Mehr als Überleben ist nicht drin.
ZUR PERSON
Antonia Rados, geboren 1953, berichtet seit fast 20 Jahren als Auslandskorrespondentin für RTL; 2008 wechselte sie kurz zum ZDF. Für ihre Arbeit wurde sie bereits mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet.
Ihr Blog: newsblog.rtl.de/antonia-rados
Langfassung des Interviews hier.
Erschienen in Ausgabe Journalistin 2011 in der Rubrik „Medien“: Interview: Katy Walther | Foto: RTL. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.