Der neue Redaktionsalltag

Die vergangenen zwei Jahre waren von einem internationalen Boom bei der Nutzung von Smartphones und Tablet-PCs geprägt, sodass die große Mehrheit der traditionellen Zeitungsleser mittlerweile auch täglich die Online-Ausgabe ihrer Zeitung über App-fähige mobile Geräte aufruft. Nach Angaben von „Forrester Research“ greifen acht von zehn Besitzern internetfähiger Mobilgeräte täglich auf Nachrichten-Apps zu.

Da Verlage nun also erkannt haben, dass mobile Anwendungen zu einem immer wichtigeren Vertriebskanal für kostenpflichtige Inhalte werden, investieren viele in Mitarbeiter für den Mobilbereich, um sie in ihre bestehenden Arbeitsabläufe einzubinden.

Gearbeitet wird nachts

Aber wer diese Teams aufbaut, die sich speziell um mobile Inhalte kümmern sollen, wird mit einigen Hürden konfrontiert werden. Denn zum ersten Mal stehen Zeitungen vor der Herausforderung, Inhalte zu entwickeln, die man lesen, anschauen und sogar anfassen kann. Redakteure müssen nun also Teams anleiten und führen, die gleichermaßen Inhalte für die Augen als auch für die Finger entwickeln sollen. Meistens richten Verlage diese Redaktionsteams nach dem Prinzip der neuen „Heiligen Dreifaltigkeit“ aus, sodass sie aus einem Redakteur, einem Grafikdesigner und einem Entwickler bestehen, die dann zusammenarbeiten, wobei sich ihre Rollen im redaktionellen und digitalen Produktionsbereich häufig vermischen (siehe Grafik rechts).

„Unser Team für mobile Inhalte ist für das iPad zuständig“, erklärt Justin Ferrell, Director of Digital, Mobile & New Product Design bei der „Washington Post“. „Wir haben einen verantwortlichen Redakteur, der sich tagsüber mit einem Team aus vier Leuten um unser mobiles Internet kümmert. Die anderen Team-Mitglieder springen in der Nacht und am Wochenende für den iPad-Redakteur ein. Wir haben einen Designer für mobile respektive neue Produkte, den wir im Laufe der Entwicklung unserer App eingestellt haben“, erläutert Ferrell. „Der Redakteur entscheidet über die tägliche Artikelauswahl und arbeitet abteilungsübergreifend, also mit den Grafikern, den Leuten aus der Technikabteilung und so weiter, um inhaltsspezifische Funktionen und neue Instrumente für die Berichterstattung zu entwickeln“, so Ferrell weiter. „Der stellvertretende Design Director, der Designer für mobile Inhalte und ich arbeiten mit dem Redakteur und dem Mitarbeiter der Technikabteilung zusammen, um neue Formate zu entwickeln und auszuarbeiten.“

Und während die Entwicklung von redaktionellen Inhalten und Designs bei den meisten Zeitungen strikt firmenintern abläuft, haben viele Verlage die Entwicklung des Software-Codes ausgelagert. So auch bei der „Washington Post“: „Das Design der App haben wir komplett firmenintern geschaffen. Wir haben die Entwicklung ausgelagert, aber unsere IT-Abteilung hat auch maßgeblich dazu beigetragen, die Feeds zu liefern, die wir brauchten. Teilweise haben intern bis zu zwölf Personen daran gearbeitet – und zwar aus den Bereichen Technik, Design, Redaktion, Projektmanagement und so weiter“, sagt Justin Ferrell.

Das Team bei der US-amerikanischen „Financial Times“ ist ähnlich aufgestellt. „Wir haben zwei Personen aus dem redaktionellen Bereich, zwei bis drei Entwickler, einen Designer, einen Produktmanager“, sagt Bede McCarthy, Geschäftsführer von ft.com. „Wir haben einen iPad-Redakteur, der für die App zuständig ist und sicherstellt, dass alles dort ist, wo es sein soll, etwa, dass der Inhalt in der richtigen Reihenfolge angezeigt wird und die Reihenfolge der Berichte stimmt. Er ändert auch zugleich Titel ab und sorgt dafür, dass alle Bilder am richtigen Platz sind. Er überwacht, wie die Inhalte auf dem iPad umgesetzt werden, nimmt gegebenenfalls die nötigen Anpassungen vor und macht sozusagen den Feinschliff. Er arbeitet nachts und ist erst dann mit der Arbeit fertig, wenn die Inhalte am Morgen bereits online gehen. Später kann es möglicherweise im Laufe des Tages noch Aktualisierungen über RSS-Feeds geben.“ Die „Financial Times“ hat sich dafür entschieden, Apples kostenpflichtige iTunes-Plattform zu umgehen, indem sie als erste Zeitung eine webbasierte App bietet, die vollautomatisch funktioniert und der FT ermöglicht, alle Kundendaten sowie alle Einnahmen selbst zu behalten. Aber bei der „Times“ aus London wurde schon früh die Entscheidung getroffen, genau das Gegenteil zu tun, nämlich jeden Tag eine extra editierte Version anzubieten, was ihre Belegschaft und Arbeitsabläufe offensichtlich enorm in die Höhe getrieben hat.

Laut Jon Hill, Design Editor bei der Londoner „Times“, gibt es in seinem Haus mittlerweile rund zehn Mitarbeiter vom Stammpersonal, die hauptsächlich für das iPad zuständig sind, darunter Designer und Bildredakteure – die Mehrheit, erklärt Hill, kümmere sich um die redaktionelle Bearbeitung der Inhalte. Der Grund für diese Arbeitsorganisation sei, so Hill, „dass die App nicht einfach ein Feed ist und die Vorlagen nicht nur Eigenschaften wie rauf, runter, rechts, links beinhalten. Es ist ein bisschen mehr Handarbeit dabei, vielleicht möchte man einige Bilder größer oder gar nicht haben.“ Und das gehört auch zur Imagepflege der Zeitung: „Eine grundlegende Entscheidung war, eine von Hand editierte Ausgabe der, Times‘ zu bieten, und keine automatisierte“, sagt Hill.

Die vier wichtigsten Tipps:

Um die Arbeitsprozesse für mobiles Internet von Grund auf richtig aufzustellen, sollte in jeder Nachrichtenredaktion für mobiles Internet idealerweise ein Entwickler auf fünf Journalisten kommen. Das obenstehende Diagramm zeigt einige der wichtigsten Aufgaben und Arbeitsabläufe, die notwendig sind, um in einer bestehenden Nachrichtenredaktion ein solches Team aufzubauen.

Wir sind der festen Überzeugung, dass

1. es von wesentlicher Bedeutung ist, die Integration journalistischer, grafischer und technologischer Profile innerhalb einer Nachrichtenredaktion zu fördern, um auch alle Möglichkeiten ausschöpfen zu können, die sich durch die neuen Technologien bieten;

2. Nachrichtenredaktionen zu Ideenschmieden und Inkubatoren für Apps werden müssen;

3. Redaktionen auf Flexibilität achten, das Erlebnis für die Nutzer verbessern und das IT-Personal schulen und so organisieren sollten, dass sie sich problemlos ums Tagesgeschäft kümmern können;

4. man eine Multimedia-Nachrichtenredaktion benötigt, um Inhalte für neue Formate schaffen zu können, da Tablet-PCs eine weitere Evolutionsstufe bei der Entwicklung von Multimedia-Plattformen darstellen. Ein zusätzliches Team aufzubauen erhöht lediglich die redaktionellen sowie die Produktionskosten. Teams für mobiles Internet sollten besser komplett in die bestehenden Arbeitsabläufe integriert werden.

Nicht wieder die alten Fehler

Es ist äußerst wichtig, dass diese Teams, die sich um die mobilen Inhalte kümmern, nicht unabhängig und getrennt von bestehenden Nachrichten-Teams arbeiten. Sonst stehen die Nachrichtenredaktionen wieder vor demselben Problem wie damals, als sie separate Teams von Journalisten und IT-Personal gebildet hatten, um Beiträge auf ihren Webseiten zu veröffentlichen. Und diese Kluft ist bis heute in manchen Redaktionen nicht überwunden.

LESE:tipp

Der Text ist aus dem Buch „Zeitungs-Innovationen Weltreport“, das im Dezember 2011 im Verlag Oberauer erscheint; es kostet 19,50 Euro. Bestellung: vertrieb@oberauer.com

Der iPad-Redakteur: Er braucht vielleicht die praktische Unterstützung eines App-Entwicklers.

Er ändert all jene Texte, die menschliches Eingreifen erfordern, und stellt sicher, dass das Endprodukt stimmig und qualitativ hochwertig ist.

Das muss er mitbringen:

Erfahrung in Nachrichtenredaktionen und in der Aufbereitung multimedialer Inhalte (Video, Photoshop).

Der Entw
ickler/Techniker:

Er verwaltet unterschiedliche Feeds und bereitet Inhalte vor, die Texte, Bilder und Videos verbinden.

Er taggt die Inhalte unterschiedlicher Nachrichten-Feeds, etwa Texte, Bilder und Videos.

Das muss er mitbringen:

Erfahrung mit gängigen Feed-Modellen.

Der Designer:

Er plant und entwirft Titelseiten, Grafiken und Berichte.

Er stellt produkt- und themenspezifische Inhalte zusammen, etwa animierte Grafiken, Galerien, Videos, interaktive Beiträge.

Das muss er mitbringen:

HTML5, CSS, JavaScript.

Die Redaktionssimulation

Ein bisschen Star-Trek-Feeling: So sieht Autor Juan Señor von der Zeitungsagentur „Innovation“ den idealen Redaktionsraum. In der Mitte der „Superdesk“, an dem alles zusammenläuft, mit CvDs, Designern, Graphikern und Nachrichtenredakteuren. Das A und O ist, dass bei dieser Art der Redaktionsorganisation alle Zielgruppen und alle Verbreitungskanäle zusammen in die Planung einbezogen werden und nicht separiert voneinander arbeiten.

Erschienen in Ausgabe 12/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 46 bis 49 Autor/en: Mitarbeit: Jussi Ahiroth. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.