Frau Wille, empfinden Sie Ihren Job als angenehm oder als unangenehm?
Karola Wille: Das Intendantenamt ist etwas Besonderes, nicht nur ein „Job“. Insofern betrachte ich meine neue Funktion als Herausforderung. Mit anstrengenden Seiten und mit Seiten, die Freude machen.
Eigentlich können Sie ja beim MDR nicht mehr viel kaputt machen.
Ihre Einschätzung kann ich nicht teilen. Es gibt viele Dinge im MDR, die mich zuversichtlich stimmen. Es gibt beim MDR tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die engagiert jeden Tag gute Arbeit machen. Es gibt eine neue, hoch motivierte und kompetente Führungsmannschaft. Und wir haben starke Gremien.
Von außen betrachtet wäre es nicht schlecht, wenn der MDR bei null anfinge.
Wie kommen Sie zu diesem Urteil? Der MDR und unsere Programmangebote sind in Mitteldeutschland in weiten Teilen der Bevölkerung verwurzelt. Das MDR-Fernsehen ist in seinem Sendegebiet das beliebteste Dritte. Unsere Hörfunkprogramme erreichen Millionen von Menschen.
Und dann gab es noch den Fall des Sportchefs Wilfried Mohren, der Programmplätze verkaufte, den Millionenbetrug im Kika-Fall, und dann sind da die Ermittlungen wegen Betrugs gegen den Ex-Unterhaltungschef Udo Foht. Komplett wird das Bild des MDR durch seinen Ruf als CDU-, Schunkel- und Ostalgiesender. Wie wollen Sie diesen Eindruck zerstören?
Das muss man differenzierter betrachten. Sie sprechen hier kriminelle Handlungen an. Einen Zusammenhang mit der Frage, wie das Programmangebot inhaltlich ausgerichtet ist, sehe ich nicht. Das ist ein ganz anderer Aspekt. Was die Verlässlichkeit und die Anständigkeit dieses Hauses anbelangt, so bin ich überzeugt, dass wir Vertrauen zurückgewinnen müssen. Sowohl extern bei unseren Zuschauerinnen und Zuschauern als auch intern bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Und deswegen habe ich von Anfang an gesagt, dass ich den Aufklärungsprozess entschieden vorantreiben werde. Das betreibe ich als Chefsache.
Den frischen Blick von außen haben Sie nach 20 Jahren im MDR aber nicht. Was kann man denn da als Intendantin anders machen?
Bereits vor fünf Jahren hatten wir nach dem Fall Mohren verschiedene Compliance-Instrumente wie strengere Regularien, einen Korruptionsbeauftragten und eine Ombudsfrau eingeführt. Ich habe mir die Frage gestellt, warum trotzdem Vorgänge stattgefunden haben, die nicht den Regeln entsprechen. Der Fall Mohren ist zwar nicht direkt vergleichbar mit dem Fall Kika, und der ist nicht vergleichbar mit dem Fall Foht. Allerdings muss man sich ja in allen Fällen fragen, warum existierende Regularien verletzt wurden. In meinen Augen ist wesentlich, dass wir im Haus Verantwortungskultur entwickeln. Alle Untersuchungen über die Wirksamkeit von Compliance-Instrumenten zeigen, dass sie nur dort funktionieren, wo auch die Unternehmenskultur entsprechend entwickelt ist. Deshalb brauchen wir neben der Frage, ob wir die richtigen Regularien hatten und haben, auch – das ist mindestens genauso wichtig – die Entwicklung einer neuen Unternehmenskultur.
Wie füllen Sie das mit Inhalt?
Dazu gehört eine ganze Menge. Dazu gehört etwa ein Sich-Verantwortlich-Fühlen. Und dazu gehört der grundsätzliche Respekt vor Regeln und eine Sensibilität für Unregelmäßigkeiten. Dazu gehört dann auch das konsequente Ahnden von Verstößen. Es bedeutet, eine Kultur zu entwickeln, in der alle im Sender genau hinschauen.
Bislang haben also auch die Mitarbeiter nicht genau hingesehen? Oder konnten sie nicht, weil sich Einzelne – etwa Udo Foht – abgeschottete Herrschaftsgebiete errichtet hatten?
Wir sind noch bei der Analyse und Aufklärung. Aber sicherlich sind da mehrere Faktoren zusammengekommen.
Beginnt Verantwortungskultur bei den Mitarbeitern oder auf der Führungsebene?
Die Verantwortungskultur muss vorgelebt werden. Das fängt bei mir an, geht über die Direktoren- und Hauptabteilungsleiterebene und setzt sich über die Führungskräfte bis in alle Ebenen fort.
Mit welchen Maßnahmen wollen Sie ein solches verantwortliches Verhalten durchsetzen?
Das ist ein längerer Prozess, der kontinuierlich stattfinden muss. Wir werden auf der Direktorenebene, gemeinsam mit der Intendantin, ein Schulungsprogramm zur Korruptionsprävention durchführen. Aber es geht auch um die Diskussion miteinander, um die Vorbildwirkung von Führungskräften. Es geht darum, wie wir Dinge thematisieren, problematisieren, hinterfragen.
Sie sprechen auch davon, Transparenz schaffen zu wollen. Heißt das: miteinander reden?
Transparenz gehört dazu, na klar. Die Bereitschaft, Fehler mitzuteilen, setzt natürlich voraus, dass diese Fehler dann nicht unter den Teppich gekehrt werden.
Aber sind das nicht recht weiche Begriffe von Kontrolle, nach dem Motto: Man verlässt sich darauf, dass Leute verantwortlich handeln?
Es gibt natürlich zwei Seiten. Strukturen, Regelungen, Systeme sind das Eine. Die Regeln, die Unternehmensphilosophie auch in den Köpfen zu verankern, ist der zweite Teil, der aus meiner Sicht dringend dazugehört, um das ganze Vorhaben nachhaltig zu machen.
Welche Strukturen wollen Sie ändern?
Zunächst warten wir dafür die Ergebnisse der weiteren Untersuchungen ab.
Ein Bericht liegt mittlerweile vor. Da ist etwa die Rede von Rechnungen, die ohne Auftrag bezahlt wurden, oder davon, dass Verträge nachträglich geschlossen wurden. Welche Maßnahmen ergeben sich daraus?
Der Bericht der Untersuchungskommission ist im Verwaltungsrat vorgestellt worden. Als eine erste Konsequenz aus dem Bericht habe ich in der Intendanz eine Stabsstelle eingerichtet, von der aus die Aktivitäten zur Aufklärung noch offener Fragen und zur Verbesserung des internen Kontrollsystems zentral gesteuert werden.
Ihr Vorgänger Udo Reiter sagt, Sie seien im Gegensatz zu ihm über die Vorgänge etwa im Fall Foht nicht schon 2009 informiert gewesen. Aber warum nicht? Hat er Sie nicht ernstgenommen, hat er Sie geschützt, oder gehörten Sie einfach nicht zum Inner Circle?
Das müssen Sie schon Udo Reiter fragen …
Aber Sie waren doch seine Stellvertreterin.
Richtig ist, dass ich seine Abwesenheitsvertreterin war. In diesem Rahmen gab es kein Vier-Augen-Prinzip zwischen dem Intendanten und mir. Eine gemeinsame Postschau oder so etwas gehörte nicht dazu.
Was gehörte dazu?
Ich habe Udo Reiter zum Beispiel bei Terminen vertreten, wenn er nicht da war. Das gehörte dazu.
Umfasste die Vertretung alle Aufgaben oder eher die repräsentativen, etwa das Händeschütteln?
Ich weiß nicht, was Sie mit „alle Aufgaben“ meinen. Aber ja, die repräsentativen gehörten natürlich dazu. Grundsätzlich ist es nicht möglich, in einer kurzen Vertretungszeit in die Vorgänge des ganzen Hauses einzudringen.
Ich meine alles, was der Intendant sonst macht – eben auch die Post öffnen.
Wenn ich Post bekommen habe, habe ich sie gelesen.
Wollen Sie am bisherigen Stellvertreterprinzip festhalten oder haben Sie vor, Ihren Stellvertreter auch als Ihre Kontrolle zu installieren?
Es bleibt zunächst einmal: Für die Abwesenheitsvertretung gibt es eine Rechtsgrundlage. Gleichwohl bin ich dabei, Dinge zu verändern. Ich möchte meinen Vertreter in den Arbeitsfluss einbinden und damit die regelmäßige wechselseitige Information sicherstellen. Und ich werde, was Zahlungsflüsse anbelangt, ein Vier-Augen-Prinzip haben.
Das heißt: Zwei Leute schauen sich Zahlungsflüsse an statt wie bisher nur einer?
Ja, zwei Leute. Wenn ich zum Beispiel eine Dienstreise mache, gibt es noch jemanden, der auf die Abrechnung schaut, sie kontrolliert und genehmigt.
Dass Sie das intern neu regeln, ist das eine.Gibt es auch verstärkt Transparenz nach außen?
Die erste Pressekonferenz war ja schon ein Zeichen, dass wir Transparenz schaffen wollen. Speziell zum Programm gab es aber auch bisher schon eine gute Kommunikation nach außen.
Aber wollen Sie zum Beispiel auch Dokumente veröff
entlichen, die bisher nicht veröffentlicht wurden? Zumindest Abschlussberichte?
Wir werden im Einzelfall prüfen, was wir nach außen geben können und was nicht. Was nicht geht, und da bitte ich um Verständnis: Wenn schwebende Verfahren anhängig oder Rechtspositionen noch nicht geklärt sind, können wir den Ergebnissen der Verfahren nicht vorgreifen oder Risiken für die Rechtsposition des MDR erzeugen.
Kommen wir zum Programm. Ihr neuer Fernsehdirektor widersprach dem Eindruck, der MDR sei ein Schunkelsender. Sie fallen ihm jetzt nicht in den Rücken, oder?
Ich teile die Einschätzung des Fernsehdirektors. Was das klischeehafte Bild vom Schunkelsender anbelangt: Das finde ich völlig einseitig. Wolf-Dieter Jacobi hat dargestellt, was alles zum MDR-Programm gehört – jenseits dieser großen Unterhaltungsshows, die wir auch in die ARD einbringen und über die sich offensichtlich unser Image besonders stark definiert. Wir haben einen sehr hohen Informationsanteil, der Dokumentations- und Reportageanteil wird weiter ausgebaut. Wir haben anspruchsvolle Filme in unserem Programm. Leider wird unser Programmangebot, zumindest in der medialen Berichterstattung, anders gesehen. Offensichtlich müssen wir da etwas tun, damit unser Angebot auch in seiner Breite wahrgenommen wird.
Noch ein Argument von Jacobi leuchtet ein: dass die Nutzer in den drei MDR-Ländern demografisch eher älter sind und der MDR nicht zum Jugendkanal wird.
Knapp 50 Prozent der Bevölkerung in unserem Sendegebiet sind über 50 Jahre alt, ein Viertel ist älter als 65 Jahre. Mitteldeutschland hat die älteste Bevölkerungsstruktur in Deutschland!
Drehen wir das um: 50 Prozent sind unter 50, drei Viertel jünger als 65. Welche Programme richten sich explizit an ein jüngeres Publikum? Ich habe im Fernsehen keines gefunden.
Auch im MDR-Fernsehen gibt es Formate, mit denen wir bei jüngeren Menschen beliebt sind. Zum Beispiel „Sport im Osten“, was ja auch ins Internet verlängert wird. Oder Informationsmagazine wie „Umschau“ und „exakt“.
An ein in erster Linie junges Publikum richten die sich nicht.
Gleichwohl ist es schwierig, den Spagat hinzubekommen: Welche Themen, welche Sendungen und Formate interessieren Jüngere wie Ältere? Eines können wir nicht: Wir können angesichts der Bevölkerungsstruktur nicht ältere Zuschauer ausschließen und sagen, tut uns leid, ihr seid nur ein Viertel der Bevölkerung. Das werden wir nicht machen.
Aber Jüngere kann man ausschließen?
Wir müssen alle ansprechen. Das kann mit Reportagen oder Dokumentationen sein, und die „Geschichte Mitteldeutschlands“ ist ja auch nicht nur für das eine Viertel über 65. Das Nachwuchsproblem haben im Übrigen alle ARD-Fernsehanstalten in den Dritten Programmen und auch das Erste Deutsche Fernsehen. Deswegen frage ich mich, ob man nicht ein Gesamtangebot entwickeln muss – weshalb ich neu über einen ARD-Jugendkanal diskutieren möchte.
Wie wäre es stattdessen mit einem ARD-Seniorenkanal?
(lacht) So weit war ich noch nicht in meinen Gedankengängen. Aber wissen Sie: Was historisch gewachsen ist, das gesamte Nutzungsverhalten etwa, das können Sie nicht einfach über den Haufen werfen.
Ist denn im Dritten Programm wirklich kein Platz für ein oder zwei Wagnisse?
In meinem Konzept, mit dem ich zur Intendantenwahl angetreten bin, steht zum Beispiel ein digitales Experimentierlabor für junge Redakteure. Das ist noch nicht zu Ende gedacht, man kann auch noch in ganz andere Richtungen denken, wie man Kreativität fördert und Entwicklungsarbeit leistet, um auch jüngeren Programmen eine Chance zu geben
Thüringens CDU-Fraktionschef Mike Mohring, der im Rundfunkrat sitzt, sagte, dass er das „Ostalgiegehampel“ im MDR nicht aushalte.
Ich finde, der Begriff wird dem Programmangebot nicht gerecht. Unabhängig davon ist es mir ein Anliegen, dass die moderne Lebenswirklichkeit der Menschen in unserem Sendegebiet stärker im Programm reflektiert und sichtbar gemacht wird. Dazu gehört etwa eine frische Anmutung, dazu gehören Gesichter. Das werden wir tun, und zwar so, dass man spürt: Aha, das ist ein modernes Programm aus diesen drei neuen Ländern.
Erschienen in Ausgabe 12/2011 in der Rubrik „Medien.“ auf Seite 34 bis 35 Autor/en: Interview: Klaus Raab. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.