Die Medien haben den Rechtsextremismus verpennt, findet die taz-Redakteurin Astrid Geisler.
Ein Kommentar.
Am Tag, bevor Deutschland den Rechtsextremismus wiederentdeckt, kommen in Düsseldorf zwei Männer vor Gericht. Sie sollen einen obdachlosen Vietnamesen zu Tode geprügelt haben. Einer der Angeklagten trägt Hakenkreuz-Tattoos auf der Brust, steht mit Neonazis in Kontakt und hält Ausländer für „Kanacken“. Die meisten Nachrichtenredaktionen widmen dem Fall eine Kurzmeldung, wenn überhaupt.
Wenn Verharmlosung zum Vorbild wird
Ein mutmaßlich rechtsextrem motivierter Mord – kein großes Thema. So war das noch vor kurzem. Man möchte es kaum glauben. Inzwischen überbieten sich Kommentatoren mit Schuldzuweisungen: Wie konnten Verfassungsschutz und Kriminalämter die rechte Gewalt in Deutschland bloß so sträflich unterschätzen? Dabei müssten sich auch die meisten Redaktionen ehrlicherweise fragen: Wie konnten wir das Thema derart verschlafen?
Oft haben nicht mal mehr Lokalredaktionen Neonazi-Übergriffe in ihrer Region zum Thema gemacht. Auch nicht in jenen ostdeutschen Gegenden, wo rechte Gewalt seit Jahren erschütternd alltäglich ist. Bundesweit 806 rechte Gewalttaten registrierte die Polizei im vergangenen Jahr. Wenige waren irgendeiner Redaktion mehr als eine Meldung wert.
Unter Hysterieverdacht
Auch ein paar Neonazis in ostdeutschen Landesparlamenten galten ja längst als normal. Als der NPD Anfang September der Wiedereinzug in den Schweriner Landtag gelang, fanden das bei weitem nicht mehr alle Nachrichtenredaktionen dramatisch. Die FAZ beispielsweise meldete sogar, die NPD habe „nicht reüssieren“ können. Schließlich habe sie im Vergleich zu 2006 ein Drittel ihrer Wählerschaft verloren. Neonazis? Folklore! Wer sich noch über Rechtsextremisten empörte, stand unter Hysterieverdacht. „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann mokierte sich schon 2007 in seinem Buch „Der große Selbstbetrug“ auf mehreren Seiten über die „Heribert Prantls dieser Republik“ und beklagte den „ritualisierten Ablauf, den jeder – auch nur vermeintlich – rechtsradikale Vorfall in Gang setzt“. Man sollte die Vorbildwirkung solcher Verharmlosungen nicht unterschätzen. Welcher (Lokal-)Reporter ärgert sich schon gern mit Neonazis herum, wenn ihm dafür der Spott der Großen droht?
Natürlich leisten sich einige Zeitungen wie der Berliner „Tagesspiegel“ oder Sender wie der NDR noch Journalisten, die nicht erst bei Wikipedia nachlesen müssen, was wohl der „Thüringer Heimatschutz“ sein könnte. Ihr Kreis ist aber überschaubar.
Gerade in Regionen, wo Rechtsextremisten das Alltagsleben prägen, fehlen Lokaljournalisten, die sich engagiert mit der rechten Parallelwelt in ihrer Umgebung auseinandersetzen. Bei der „Sächsischen Zeitung“ in Riesa gab es bis vor ein paar Monaten einen jungen Journalisten, Thomas Trappe, der nebenbei auch in seinem Blog hinreißende Stücke über die absurden Facetten der Neonazi-Szene veröffentlichte. Doch Trappe ist inzwischen nach Berlin gezogen.
Lokaljournalisten als Frühwarnsystem
Wenn Medienhäuser ihren gesellschaftlichen Auftrag ernst nähmen, dann müsste ihnen die Berichterstattung über die rechte Szene eigentlich ein Anliegen sein – vor allem in Landstrichen wie Ostvorpommern, wo Neonazis in einigen Gemeinden schon mehrheitsfähig sind. Ehrgeizige Lokaljournalisten könnten schnell mehr Durchblick haben als die Sicherheitsbehörden. Sie könnten jenes „Frühwarnsystem“ sein, das der Verfassungsschutz gern wäre, aber viel zu selten ist. Doch vielen Lokalredaktionen ist das Thema Rechtsextremismus erstaunlich egal.
Ein Beispiel: Als der Gemeinderat im ostvorpommerschen Bargischow über eine Anti-Rechts-Klausel für den von Neonazis dominierten Jugendclub berät, sitzt zwar eine Mitarbeiterin des „Nordkurier“ im Gemeindesaal. Nur sucht man in ihrem Artikel ausgerechnet den Tagesordnungspunkt Rechtsextremismus vergeblich.
Natürlich haben es Reporter der überregionalen Presse in einiger Hinsicht leichter. Nach der Provinzrecherche verschwinden sie wieder in der Anonymität der Großstadt. Lokaljournalisten begegnen den Neonazi-Schlägern, denen sie nachrecherchieren, im Zweifelsfall auch mal beim Abendspaziergang wieder. Gewiss keine schöne Vorstellung.
Aber ist die Angst vor Racheakten der militanten Kameradschaftsszene schon so groß, dass sich Lokalreporter lieber erst gar nicht mit ihr befassen? Dann wäre das auf jeden Fall eine Geschichte.
ZUR PERSON:
Astrid Geisler recherchiert als taz-Reporterin seit Jahren in der rechtsextremen Szene. Im Frühjahr 2011 veröffentliche sie mit Christoph Schultheis das Buch „Heile Welten. Rechter Alltag in Deutschland„.
Erschienen in Ausgabe 12/2011 in der Rubrik „Standpunkt“ auf Seite 10 bis 11. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.