Er hätte da noch ein paar Fragen

„Wollen Sie unser Mann in Paris sein?“ Mit dieser Frage ging die Fernseh-Karriere für den jungen Radioreporter los, einen gebürtigen Österreicher mit amerikanischem Pass und Liebe zur deutschen Sprache, der in Paris lebte und damals voller Zweifel war, wo es mit ihm hingehen sollte, wie er es schaffen sollte, „jemand“ zu werden. Für Georg Stefan Troller kam die Anfrage des Deutschen Fernsehens damals genau zum richtigen Zeitpunkt, die Zeit des legendären „Pariser Journals“ begann. Das war 1962.

Von Anfang an beeindruckte Troller die Zuschauer mit seiner Stimme, seinen kompromisslosen Geschichten. Er wurde einer der prägendsten Filmemacher des deutschen Fernsehens, hat mit seinen Arbeiten eine Generation von TV-Dokumentaristen beeinflusst. Nun wird Georg Stefan Troller 90. Und seine alten Filme sprühen auch heute noch vor zeitloser Lebendigkeit.

Für Troller war der Anruf des WDR 1962 auch die Erlösung aus existenzieller Verunsicherung, Rollenzweifeln und auch aus der Einsamkeit des Radiomannes. Zwischen 1962 und 1971 entstehen an die 50 „Pariser Journale“, eine Magazinsendung, jeweils knapp eine Stunde lang, mit ihm als Autor und Moderator. Der Erfolg ist phänomenal. Zuschauer machen sich auf, um auf den Spuren Troller’scher Berichte Paris zu entdecken. Und Troller macht sich auf, auch die dreckigen Ecken des glamourösen Paris‘ zu zeigen. Ihm geht es im Besonderen um die Menschen, kleine, große oder gar keine Berühmtheiten, er sucht sie, um ihnen seine drängenden Fragen zu stellen, will wissen, warum die große Chanson-Sängerin den kleinen Friseur ehelicht, warum der Dichter mit den Nazis gemeinsame Sache gemacht hat, wie die Bordellbesitzerin am Ende so respektabel geworden ist.

Troller selbst hatte ein filmreifes Leben. Aufgewachsen ist Troller als Kind einer bürgerlichen jüdischen Familie in Wien. Mit 17 Jahren muss er vor den Nazis fliehen, kommt auf Umwegen nach Paris. Nach langer Zeit der Angst zieht Troller das große Los. Ein amerikanischer Konsul in Südfrankreich gibt ihm ein Visum für die USA mit den Worten: „Amerika braucht junge Soldaten“ – Überleben als Glücksspiel. Jahre später kommt Troller als amerikanischer Soldat zurück nach Europa. Aber es fällt ihm schwer, sich heimisch zu fühlen. Er spürt den Verlust der alten Heimat, der Sprache seiner Kindheit, der prägenden Kultur. „Man fühlt sich unnötig“, beschreibt es Troller: „Wozu bist denn du überhaupt da?“ Er ist ein Fremder, ein Emigrant geworden. Das Fernsehen habe ihm geholfen, dieses Gefühl zu überwinden.

Troller ist auf einmal jemand, nämlich „der Mann vom Fernsehen“. Und er, der ausgesprochen Schüchterne, hat nun Teamkollegen, ist nicht mehr alleine unterwegs. „Das ist überhaupt das Schönste an der ganzen Sache“, so Troller. „Auch weil man nie den Mut hat, diese Fragen zu stellen, die ich stellen wollte, wenn man das Team nicht hinter sich weiß. Aber auch, dass man nicht verlassen ist, nicht gottverlassen ist auf dieser Welt.“

Überleben ist möglich

Anfang der Siebziger Jahre wechselt Troller zum ZDF. Dort erfindet er sich neu, als Dokumentarfilmer mit einer eigenen Reihe. Von seinen „Personenbeschreibungen“ entstehen zwischen 1972 und 1993 insgesamt 70 Folgen.

Der Filmemacher Troller verfeinert und vollendet seinen Stil. Troller fragt oft bis jenseits der Schmerzgrenze, auf der Spur einer individuellen Wahrheit: Vom querschnittsgelähmten Krüppel will er wissen, wie es mit den Frauen steht, einen amerikanischen schwarzen Bürgerrechtler fragt er, wie es wäre, wenn er ihn „Nigger“ nennt, er porträtiert Boxlegende Muhammad Ali und Untergrundliterat Charles Bukowksi, er begleitet Mörder und Vergewaltiger bei deren Versuch, das Unglück anderer zu verhindern, rührt mit der Geschichte eines versoffenen irischen Dichters, der dem Religionskrieg nur seine Gedichte entgegensetzen kann. Dass bei Dreharbeiten mit Vertretern der IRA, der gefürchteten katholisch-irischen Terrororganisation, das eigene Hotel in die Luft gejagt wird, nimmt Troller nicht nur hin, sondern nutzt es effektsicher für seinen Film; denn wenn die Filme Trollers etwas auszeichnet, dann ist es die Virtuosität, das Lebendige.

Schon allein deshalb stehen sie im krassen Gegensatz zu den drögen Dokumentationen jener Jahre. Langeweile verbreiten, das sollen die anderen.

Troller spielte mit dem Medium. Das, was man heute modern „Hybrid-Fernsehen“ nennen würde, hat er schon damals zum Arbeitsprinzip erhoben, Mischformen hervorgebracht. Er textet mit Lust und so, als ob der Text gerade im Moment zu den Bildern erfunden worden sei; dass hinter diesem spontanen Tonfall viel Arbeit steckt, hört man bei ihm nie durch. Immer spürt man den Autor im Film.

Er schrieb auch Drehbücher für Fernsehspiele, darunter die Trilogie „Wohin und zurück“ (mit Axel Corti, 1982-86), in der Troller sein eigenes Leben, die Erfahrung der Emigration zum Thema macht. Selbst nach der Pensionierung hört Troller nicht auf, produziert Filme über Hollywoodlegenden und Menschen, die aus Liebe morden. Gut 170 Filme hat er in seinem Leben gemacht, ein Riesenwerk.

Schaut man dann noch auf die vielen Bücher, die er daneben geschrieben hat, dann drängt sich der Verdacht auf, hier will einer nicht nur arbeiten, er muss es tun, etwas treibt ihn an, das sich nicht durch Banalitäten wie Arbeitszeitverordnungen und eine Pensionierung stoppen lässt. Wahrscheinlich liegt es an der Kernfrage seines Schaffens: Er will wissen, wie man fertig werden kann mit den Wunden, die einem das Leben schlägt.

Und das Publikum, wir alle, teilen seine Neugierde, weil wir alle wissen wollen: Wie wandelt sich ein Mensch, wie zieht er sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf, wie wendet man seine Schwäche in Stärke? Fernsehmachen wird zu einer Lebensform für Troller, mit deren Hilfe er Antworten auf seine und unsere ureigensten Fragen sucht, dabei Menschen nahe kommt, wie kaum ein anderer und die Grenzen des traditionellen Journalismus hinter sich lässt.

Mit dieser Haltung begegnet er Menschen wie Ron Kovic, dem amerikanischen Vietnamveteran, der Kameraden versehentlich tötete, querschnittsgelähmt aus dem Krieg in die USA zurückkehrte, der wütender Kriegsgegner wurde und so zum Außenseiter. Ein Mann, der inzwischen einen Plastikschlauch am Penis hat, den selbst die billigsten Huren ablehnen. Wo andere wegsehen, schaut Troller genau hin. So auch hier. Er will es wissen: Wie kann einer wie Kovic glücklich sein und seinen Frieden finden?

Dass Georg Stefan Troller immer noch aktiv in der Welt steht, immer noch wissen will, wie man in dieser verrückten Welt überleben kann, überrascht da kaum. Aber über die Jahre hat sich etwas bei ihm geändert: Er staunt über sein eigenes Leben. Er gewann, verwundert, die Einsicht: Überleben ist möglich. Es kann auch gut ausgehen.

Vita

Georg Stefan Troller

geboren am 10. Dezember 1921 in Wien. Der Fernsehmacher, Dokumentarfilmer, Autor und Radiomann Troller wurde bekannt durch seine „Pariser Journale“ in den Sechziger Jahren für die ARD, in den Siebzigern wechselte er zum ZDF und etablierte seine Reihe „Personenbeschreibungen“. Zu Trollers festem Traumteam gehörten der Kameramann Carl Franz Hutterer und die Cutterin Elfi Kreiter. Sie erhielten zusammen viele Fernsehpreise. Für Troller gab es mehrere Grimme-Preise, den Bambi und 1987 sogar eine Oscar-Nominierung, für „Welcome in Vienna“.

Erschienen in Ausgabe 10-11/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 32 bis 33 Autor/en: Bodo Witzke | Foto: Bodo Witzke. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.