Praxis: Die neuen Kuratier-Tools

Um interessante Blogposts, Twitter-Meldungen und Youtube-Clips zu einem Thema zu bündeln, sind die neuen Mikroblogging-Dienste perfekt. Ihre Stärke: Sie helfen beim Kuratieren von Netzinhalten. Wir stellen die wichtigsten vor und erklären, wie Redaktionen diese Tools gezielt einsetzen können.

von Ulrike Langer

Es kursiert ein neues Wort: Der Akt, Beiträge von Mediennutzern zu sammeln, sortieren, gewichten und präsentieren, nennt sich neuerdings Kuratieren, angelehnt an das englische „curating“. Und es gibt Mikroblogging-Dienste, die speziell entwickelt wurden, um das Kuratieren zu erleichtern.
Auch Journalisten haben diese Tools für sich entdeckt. Einer der bekanntesten kuratierenden Journalisten ist Andy Carvin, Community- Chef des amerikanischen National Public Radio, der per Twitter Informationen von Korrespondenten, ihm bekannten Bloggern und anderen Informanten zusammenstellt.
Nicht alle finden das sinnvoll. Kritiker wie Daniel Weber, Chefredakteur der Schweizer Zeitschrift „NZZ Folio“, sind der Meinung, dass Kuratieren kein Journalismus sei: „Wer kuratieren will, soll ins Museum. Journalisten sollen schreiben“, so Weber. Doch die Kritiker erliegen einem Trugschluss: Indem Carvin die relevantesten und vertrauenswürdigsten Tweets wiederholt („retweetet“) und somit für seine eigenen mehr als 56.000 Follower sichtbar macht, nimmt er den am Fortlauf der Ereignisse in Ägypten, Libyen oder Syrien interessierten Nutzern die Mühe ab, den endlosen Strom von Echtzeit- Statusmeldungen selbst durchforsten zu müssen. Er hilft ihnen, Informationen einzuordnen. Und das ist eine elementare journalistische Aufgabe.

Zum zehnten Jahrestag der Anschläge vom 11. September lud etwa die „New York Times“(NYT) ihre Online-Nutzer ein, auf einem eigenen Youtube-Kanal ihre Erinnerungen und Videoclips von damals hochzuladen; die NYT ergänzte die Clips durch eigenes Archivmaterial und neue Videos. „Auf diese Weise können wir sehr persönliche Beiträge von viel mehr Nutzern integrieren, als durch Interviews möglich wäre“, betont Lexi Mainland, Social-Media- Redakteurin der NYT. Entstanden ist eine vielfältige Videocollage, welche die NYT mit Hilfe des Dienstleisters „Storyful“ zusammenstellte und anschließend in ihr redaktionelles Special zu 9/11 integrierte.
Ein Beispiel aus Deutschland: Die Dortmunder Redaktion der „Ruhr Nachrichten“ (RN) stand am 19. August 2011 vor einem Problem. Nach einem heißen Sonntag hatte sich plötzlich ein heftiges Gewitter entladen. Straßen und Keller liefen voll, Bäume stürzten um, die Leitstellen von Polizei und Feuerwehr waren anderthalb Stunden lang nicht erreichbar. Um ihre Nutzer dennoch bestmöglich zu informieren, rief die RN diese zur Mithilfe per Twitter auf. Die Redaktion erhielt mehr als 100 Kurzmeldungen zum Thema. Sie wurden, wenn möglich, verifiziert, und wenn sie zwar wichtig erschienen, aber ungesichert blieben, als solche gekennzeichnet. Die Tweets der Nutzer füllten einen Live-Ticker, einen mit „Storify“ erstellten eigenen Bereich auf der Homepage und bildeten auch die Grundlage für die Berichterstattung am nächsten Morgen in der Zeitung.
„Storify“ und „Storyful“ gehören zu den Tools, die sich etabliert haben. Sie laufen browserbasiert und sind kostenfrei nutzbar – und zwar nicht nur von Journalisten, sondern von allen Internetnutzern, die anderen das Relevanteste von dem zugänglich machen wollen, was Dritte bereits publiziert haben.

Hier sind die interessantesten:

 

1. Storify.com

Mit Storify lassen sich gezielt ausgewählte Inhalte aus sozialen Netzwerken chronologisch in einem gemeinsamen Bereich darstellen. Inhalte aus Twitter, Facebook, Youtube, Audioboo, Flickr und Blogs können damit aggregiert werden. Die kuratierten Inhalte können auf einer Webseite mit einer eigenen URL für sich alleine stehen oder in einem Frame auf der Webseite des Journalisten / des Mediums eingebettet werden. Das Tool ist noch in der Beta-Phase und funktioniert nicht immer stabil.

So geht’s:
Die Anmeldung funktioniert mit dem Twitter-Account. Eine neue „Story“ erstellt man, indem man per Drag&Drop Tweets, Youtube-Videos sowie Audioboos (= kurze Audiodateien), Facebook-Statusnachrichten, RSS-Feeds usw. in ein Feld zieht. Diese Elemente werden dann durch eigenen Text verbunden und ergänzt und veröffentlicht. Hier das Storify-Erklärvideo.

Tipps:
Kuratieren mit Storify ist kein Ersatz für die eigene Analyse. Im Gegenteil: Ohne begleitende dramturgische Erklärungen, warum die ausgewählten Inhalte im Zeitstrahl erscheinen, kann aus Storify schnell eine Halde zusammenhangloser Schnipsel aus dem sozialen Netz werden. Deshalb: Erst die eigene Geschichte planen, dann gezielt nach ergänzenden externen Elementen suchen.

Beispiele:
Oliver Kochs Storify zum Hamburger Webkongress Scoopcamp 2011.
Berliner Morgenpost“ mit Tweets zum Stromausfall im Bundestag.
Die „Washington Post“ mit einem Vergleich der Tweets des New Yorker und des Washingtoner Bürgermeisters zur Schneekatastrophe im vergangenen Winter.
Eine Multimedia-Story zur Katastrophe von Fukushima.

 

2. Storyful.com

Mit Storyful können ähnlich wie mit Storify per Drag and Drop Geschichten aus dem Netz kuratiert werden, allerdings stehen weniger Quellen zur Verfügung , weder Facebook noch Audioboo. Dafür sehen per Storyful eingebettete Bereiche eleganter aus, zumal sie in einzelne Abschnitte gegliedert werden können. Das ist vor allem bei längeren Geschichten sinnvoll. Medien und Journalisten scheinen sich momentan noch nicht so recht mit diesem Tool anzufreunden.
Näheres zu „Storyful“ gibt es auf dem hauseigenen Blog.

Beispiele:
Proteste in Syrien.
Erinnerungen an die Berliner Mauer.

 

3. Scoop.it

Mit diesem Tool lassen sich kuratierte Beiträge aus dem Netz wie auf einem Leuchttisch anordnen.

So geht’s:
Die Anmeldung läuft über ein Twitter oder Facebook Account. Derzeit ist Scoop.it allerdings noch in der geschlossenen Betaphase. Mit einer kurzen Nachricht an Scoop.it kann man begründen, warum man jetzt schon dabei sein möchte. Nach der Wahl eines Thema, zu dem man Beiträge kuratieren möchte und dem Ausfüllen eines kurzen Profils, bietet Scoop.It dem Neuling ein Browser-Bookmarklet an, mit dem komfortabel Fundstücke auf die eigene Scoop.It Seite ziehen. Scoop.it macht Vorschläge für die Befüllung (die sind um so besser, je exakter man sein Profil ausgefüllt hat). Man kann aber auch selbst Webseiten „scoopen“, wobei ein kurzes Snippet im Rahmen erzeugt wird. Die einzelnen Elemente können an jede beliebige Position gezogen und mit eigenen Anmerkungen ergänzt werden.
Hier das Erklärvideo.

Beispiele:
Heiko Idensen kuratiert alles über Journalismus 2.0.
Seite von Webdesigner Henry Zeitler.
Donna Lipman gibt Tipps übers Vorträge Halten.

 

4. Curated.by

Anders als bei den anderen Diensten können Nutzer hier nicht nur ein Thema abonnieren, sondern einem Nutzer mit all seinen Themen folgen. Beiträge, die man kuratiert, werden in sogenannten „Bundles“ abgelegt. Auf der Homepage des jeweiligen Nutzers werden die Links zu den Bundles der Nutzer angezeigt, denen man folgt. Curated.by ist damit eine Mischung zwischen Twitter und Storify bzw. Storyful. Für Medien bietet dieser Dienst den Vorteil, ihre Themenvielfalt abbilden zu können. Nachteil: Momentan unterstützt dieser Dienst nur Twitter, weitere Plattformen sollen folgen.

So geht’s:
Anmelden mit oder ohne Twitter-Account. Der Schritt-für-Schritt-Anleitung folgen. Hilfe gibt es unter: http://www.curated.by/help

Beispiel:
Seite des schwedischen Social-Media-Experten Hans Kullin.

 

5. Intersect.com

Mit Intersect können Geschichten mit Zeit- und Ortsdaten verknüpft und als Zeitstrahl und Karte dargestellt und eingeordnet werden. Nutzer können sich anzeigen lassen, welche anderen Berichte sich auf den gleichen Zeitraum oder auf einen Ort in der Nähe beziehen. Die Grundidee ist vor allem für die Anwendung im Lokaljournalismus interessant. Allerdings lebt das Tool davon, dass viele verschiedene Berichte und Quellen angezeigt werden. Und das ist bisher fast nur in den USA der Fall.

So geht’s:
Nach der Anmeldung werden Story und Überschrift eingetragen, mit Datum und Ort und wahlweise mit Fotos und Videos aus gängigen sozialen Plattformen ergänzt. Bei YouTube gibt es dazu ein Einführungsvideo.

Beispiele:
Einfach die Namen internationaler Metropolen im Suchfeld eingeben und dann den Zeitstrahl variieren.

 

6. Pinterest.com

Die Plattform existiert bisher nur als geschlossene Beta-Version. Pinterest nennt sich selbst eine „Online-Pinnwand“ und sieht auch so aus. Sehr schön für kleinere grafisch gestaltete Elemente, die auf einer einzigen Webseite präsentiert werden sollen. Eines „der heißesten Startups online“, sagen manche.

So geht’s:

Auf der Startseite per Buttonklick um eine Einladung bitten. Nutzer tragen Elemente bei, indem sie auf ein Bookmarklet in ihrem Browser klicken, wenn sie eine passende Abbildung sehen. Einzelne Pinterest-Seiten oder auch alle Seiten von einem Nutzer sind abonnierbar, so dass man keinen Eintrag („Pin“) verpasst. Einzelne Pins können per Embedded-Code auf anderen Webseiten (z. B. WordPress-Blogs) eingebettet werden.

Beispiele:

Am besten auf die Startseite gehen und sich durch die Profile klicken.

 

7. Tumblr.com

Tumblr ist eigentlich eine elegante und leicht zu bedienende Mikroblogging-Plattform. Es gibt bei Tumblr aber eine Funktion namens „Submissions“, mit der Beiträge von anderen Nutzern auf dem eigenen Blog kuratiert werden können. In solch einem Tumblr-Blog steht nicht mehr der Autor, sondern die Community im Mittelpunkt.

So geht’s:
Die Funktion muss zunächst in den Einstellungen aktiviert werden. Beiträge von anderen („Submissions“) laufen dann auf der „Messages“-Seite ein, wo sie vom Blog-Administrator vor der Veröffentlichung freigeschaltet werden müssen.

Beispiele:

Tumblr der BBC-America-Serie „Doctor Who“.
Tumblr des „New York Times“-Magazines.
Tumblr der Mitgründerin des preisgekrönten Modeblogs „LesMads“ Jessie Weiß.

 

Der Text erschien als Praxistipp in der Printausgabe 10-11/2011.