Herr Theveßen, wie beurteilen Sie die Ehec-Berichterstattung deutscher Medien?
Elmar Theveßen: Die Medien, die gerne mit den dicken Lettern agieren, haben genauso wie früher zumindest Aufregung erzeugt mit ihren Schlagzeilen. Viele andere, die großen Tageszeitungen und auch die elektronischen Medien waren aber vorsichtiger. Vielleicht auch, weil man etwas gelernt hatte aus den Berichten über die Schweinegrippe, zum Beispiel, dass man mehr darüber nachdachte, wann es Sondersendungen geben sollte und wann es besser war, im Regelprogramm zu bleiben.
Viele andere, die großen Tageszeitungen und auch die elektronischen Medien, die keine Nachrichtenkanäle waren, waren aber vorsichtiger.
Was waren denn die Hauptschwierigkeiten bei der Ehec-Berichterstattung?
Das Schlimmste war das Kompetenzgewirr der Behörden. Auch unter den Forschern gab es sehr unterschiedliche Ansichten. Erschwerend kam hinzu, dass � anders als bei anderen Erkrankungen wie Grippe oder Rotaviren � bei Ehec so schnell nicht identifiziert werden konnte, woher es kam. Das machte das Thema für uns so schwer zu greifen.
Gerade das Fernsehen muss sich oft den Vorwurf gefallen lassen, Sachverhalte trotz guter personeller Ausstattung nicht genug zu hinterfragen.
Wir haben durch die Vorgänge der letzten Jahre gelernt, dass es wichtig ist, sich schnell zu vernetzen � und das nicht nur bei Wissenschaftsthemen, sondern auch bei Wirtschafts- oder Sportthemen. Dieses Taskforce-Wesen haben wir vor vier Jahren intensiviert, um so die vielen Experten in unserem Haus zu den unterschiedlichsten Komplexen besser anzapfen zu können.
Wie behelfen Sie sich, wenn Sie eine nötige Qualifikation im Hause mal nicht vorfinden?
Das kommt schon mal vor. Bei Japan zum Beispiel haben wir bei der Max-Planck-Gesellschaft nachgefragt, die uns einen jungen Kollegen für drei Wochen abgestellt hat, der hier mitten in unserem Newshighway saß, bzw. beim �heute journal�, und für alle Ansprechpartner war.
Welche Rolle spielen Zeit- oder Nachrichtendruck bei Themen wie Ehec?
Eine große Rolle. Deswegen muss man auch zugeben, dass es immer zu Fehlern kommen kann. Wenn vielleicht ein Kollege von einer Pressekonferenz kommt und die Infos zu einem komplexen wissenschaftlichen Thema in sein Stück einbaut, ist das für den Kollegen im Studio nicht wirklich zu überprüfen. Dann wird vielleicht auch mal was Falsches gesendet, aber das sind Ausnahmefälle.
Unsichere Botschaften lassen sich ja schlecht in Nachrichten verpacken. Wie gehen Sie mit Ungewissheiten um?
Dass lässt sich am Fall einer Pressekonferenz verdeutlichen, als vom zuständigen Minister zum ersten Mal auf die Sprossen hingewiesen wurde. Die ARD ist da mit einer �Tagesschau extra� live draufgegangen. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, weil wir das lieber erst gegenchecken wollten. Also haben wir nicht live berichtet, sondern erst in der 19-Uhr-Sendung, allerdings mit einem sehr verhaltenen Duktus. Die Unsicherheit der Befundlage war eine unserer Botschaften speziell auch in diesem Stück.
Welche Regeln sollten für Berichte wie die über Ehec immer gelten?
Ich glaube, dass es erstens unerlässlich ist, sich mehrere wissenschaftliche Quellen zu holen. Zweitens: Dass man bei Unwägbarkeiten klar macht, dass es diese gibt. Drittens � und das betrifft natürlich besonders uns Fernsehsender: Dass man genau überlegt, wann man eine Sondersendung macht, weil in der Regel ein �Brennpunkt� bei der ARD oder ein �ZDF spezial� ja schon eine gewisse Aufregung signalisiert. Und viertens: Dass man, wenn irgendetwas nicht richtig war, auch die Größe hat, das einzugstehen und zu sagen. Und zwar schnell und mit klaren Worten.
Ich sehe eine Tendenz in der Medienlandschaft in Deutschland, dass Medien zunehmend etwas verbreiten und � wenn sich das dann als nicht ganz richtig herausstellt � einfach etwas anderes sagen. Fehler werden einfach unter den Teppich gekehrt, so dass Zuschauer gerade bei Nachrichtenkanälen manchmal nicht wissen, was nun stimmte oder nicht.
Ein Beispiel war der Umgang mit den Verschwörungstheorien. Als die Frage eines Bio-terrorismus im Internet herumgeisterte, sind wir extrem zurückhaltend damit umgegangen. Da ist es übrigens auch von großem Vorteil, dass in unserer Taskforce alle Fäden zusammenlaufen. So können auch schnell allen die Regeln vorgeben werden: Wenn jemand einen Hinweis zum Beispiel auf einen möglichen Bioterrorismus bekommt, wird in dieser Gruppe besprochen und entschieden, wie und ob wir so etwas berichten. Zentrale Koordination und Anordnungen sind bei Berichten, die schnell alarmierend werden können, von großem Vorteil.
Wie sind Sie dann letztlich mit den Verschwörungstheorien umgegangen?
Wir haben es zwar in die Recherche einbezogen und alle Gesprächspartner sehr intensiv danach gefragt, in der TV-Berichterstattung aber ignoriert. Wir haben das Thema jedoch später in einem Blog aufgegriffen: Ich habe in einem Videoblog unseren Zuschauern erklärt, warum wir dazu keine Sondersendung machen und auch kurz was zu Bioterrorismus gesagt. Nach unseren Recherchen gab es eben keine belastbaren Hinweise darauf. Und das haben wir auch gesagt. Interessant war die Reaktion: Die überwältigende Mehrheit der Leute hat unsere Entscheidung unterstützt, keine Sondersendung zu diesen Spekulationen zu machen. Die meisten fanden es gut, dass von uns und anderen keine Panikmache betrieben wurde.
Erschienen in Ausgabe 07+08/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 38 bis 38 Autor/en: Interview: Katy Walther. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.