Herr Tichy, Sie haben als Juror den beiden �Bild�-Autoren Nikolaus Blome und Paul Ronzheimer den Quandt-Preis für Wirtschaftsjournalismus zuerkannt.Warum halten Sie deren umstrittene Serie �Geheimakte Griechenland� für preiswürdig?
Roland Tichy: Diese Serie widmet sich einer entscheidenden Weichenstellung der europäischen Politik: In diesen fünf Beiträgen wird mit originären Quellen und Interviews nachvollzogen � präziser als das, was wir ansonsten gelesen haben � wie Griechenland beim Beitritt zur Eurozone geschummelt hat und wie sich europäische, besonders deutsche Politiker gerne haben beschwindeln lassen und somit Teil des Problems sind. Wie wir heute wissen, rächt sich die Fehlentscheidung von damals. Sie gefährdet das Projekt Euro und die Europäische Einigung gleichermaßen. Es ist richtig, sich damit intensiver auseinanderzusetzen.
Auch in dem Stil von �Bild� und in der prämierten Serie �Die Euro-Lüge: So haben uns die Griechen reingelegt�? Selbst der Ex-Chef der �Bild am Sonntag�, Michael Spreng, kritisiert, �Bild� versuche die Leser in einer Form gegen die Griechen aufzuwiegeln, die an Volksverhetzung grenze.
Der Quandt-Preis zeichnet nie ein Blatt oder seine Linie aus, sondern immer nur einzelne Beiträge und deren Autoren. In der �Bild�-Serie war die Sprache zurückhaltend, andere Blätter wie die �Süddeutsche Zeitung� waren in der Wortwahl eher noch schärfer. Denn mittlerweile überholt die Wirklichkeit die Schlagzeilen. Die Verkürzung auf �die Griechen� ist sicherlich ein Problem, das aber nicht auf �Bild� beschränkt ist, sondern durch die gesamte Presse und elektronischen Medien geht. Man sollte aber nicht den Überbringer der Nachricht hinrichten wie in der griechischen Sage, sondern sich kritisch mit den Verursachern auseinandersetzen. Das ist nicht die �Bild�-Zeitung, das sind die Politiker. Angesicht der Belastungen, die als Folgen der politischen Fehlentscheidungen auf die deutsche Bevölkerung zukommen, darf man als Journalist auch scharf werden. Wir helfen nicht Europa, wenn wir den Schonwaschgang einschalten und so tun, als sei alles gut. Diese europa-politische Korrektheit schadet Europa, weil sie versucht, eine kritische öffentlichen Debatte zu tabuisieren.
Nikolaus Blome kündigte die Fortsetzung des Serien-Formats an. Begrüßt die Jury das?
Wir finden es durchaus gut, dass die Auseinandersetzung über grundsätzliche Fehler und Entwicklungen der Wirtschaftspolitik stärker auch in einer Boulevardzeitung stattfindet. Denn die Entwicklung dort � weg von Sex & Crime hin zu Wachstum & Bruttosozialprodukt � ist doch eine ganz erstaunliche.
War Ihnen eigentlich die kritische �Bild�-Studie der Otto-Brenner-Stiftung zum Zeitpunkt Ihrer Juryentscheidung bekannt?
Nein. Sie hätte mein Votum allerdings auch nicht beeinflusst. Denn die Berichterstattung, die wir ausgezeichnet haben, ist qualitativ sicherlich dieser Studie mit ihrer inhaltlichen Tendenz überlegen. Ich werfe der Studie vor, dass sie eine politisch missliebige Stimme elementar zum Stillschweigen bringen will, indem sie ihr das Recht abspricht, sich überhaupt im Schutz der Pressefreiheit zu bewegen. Das ist eine Ausgrenzungspolitik, die ich als Journalist immer abgelehnt habe und immer ablehnen werde. So etwas halte ich prinzipiell für fragwürdig. Ich würde mich freuen, wenn demokratisch gesinnte Journalisten, die den Schutz des Grundgesetzes im Artikel 5 genießen, sich gemeinsam dafür einsetzen, dass nicht missliebige Stimmen ausgegrenzt werden. Die Meinungsfreiheit ist immer auch die Meinungsfreiheit der anderen.
Gegensätzliche Meinungen zur Eurokrise gibt es auch in ihrem eigenen Verlag: Gabor Steingart, der den Kauf griechischer Staatsanleihen empfohlen hat, Sie dagegen als früher Warner. Sehen Sie sich da als Gewinner?
Ich freue mich in einem Verlag arbeiten zu dürfen, in dem ausgeprägte unterschiedliche Persönlichkeiten ihre Argumente vortragen können. Auch wenn man sehr früh über einen Sachverhalt berichtet, weiß man am Ende doch nie, wer Recht behält. Rechthaberei ist nicht meine Sache. Ich schätze eher die Auseinandersetzung, und eine Auseinandersetzung muss möglich sein. Bei manchen Kritikern vermisse ich die Bereitschaft zum Diskurs. Europa wird aus dem gesellschaftlichen Diskurs ausgenommen. Das hilft Europa sicherlich nicht weiter.
Und was hilft Griechenland in Ihren Augen?
Wir haben von Anfang an kritisiert, dass es letztendlich eine Politik ist zur Sanierung von Banken. Für die griechische Bevölkerung wäre es mit Sicherheit besser gewesen, wenn Griechenland frühzeitig wieder eine eigene Währung eingeführt hätte, die der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes Rechnung tragen kann. Das wäre trotz der Umstellungsschwierigkeiten leichter gewesen als die Bevormundung Griechenlands jetzt durch die Gläubigerstaaten und die ungeheuren Anpassungslasten, die diese Gesellschaft tragen muss. Ich kann mir übrigens nicht vorstellen, dass deutsche Beamte Gehaltsabschläge von 30% oder deutsche Rentner Kürzungen ihrer Bezüge um 20% hinnehmen würden. Insofern bewundere ich das griechische Volk. Es ist eher Opfer in dieser Situation als Täter und die Wut der griechischen Bevölkerung verstehe ich sehr gut.
medium:online
Die Laudatio von Roland Tichy und die Rede von Nikolaus Blome (seit 1. Juli stv. Chefredakteur von �Bild�) zur Verleihung des Herbert Quandt Preises für Wirtschaftsjournalismus (s.a. Seite 64) ist dokumentiert unter www.mediummagazin.de;
Die Studie der Otto-Brenner-Stiftung: www.bild-studie.de/bild-studie-der-obs/
Erschienen in Ausgabe 07+08/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 28 bis 28 Autor/en: Interview: Annette Milz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.